zu seyn sowohl gegen das gleichzeitige Ausland als gegen das Alterthum, ungerecht gewesen sind gegen sich selbst. Wiederum giebt es an¬ dere Völker, denen ihr eng in sich selbst ver¬ wachsenes Selbst niemals die Freiheit gestat¬ tet, sich zu kalter und ruhiger Betrachtung des fremden abzusondern, und die daher zu glauben genöthigt sind, es gebe nur eine einzige mögliche Weise als gebildeter Mensch zu bestehen, und dies sey jedesmal die, welche in diesem Zeit¬ punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬ fen; alle übrige Menschen in der Welt hätten keine andere Bestimmung, denn also zu wer¬ den, wie sie sind, und sie hätten ihnen den größten Dank abzustatten, wenn sie die Mühe über sich nehmen wollten, sie also zu bilden. Zwischen Völkern der ersten Art findet eine der Ausbildung zum Menschen überhaupt höchst wohlthätige Wechselwirkung der gegenseitigen Bildung und Erziehung statt, und eine Durch¬ dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem guten Willen des andern, sich selbst gleich bleibt. Völker von der zweiten Art vermögen nichts zu bilden, denn sie vermögen nichts in seinem
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zu ſeyn ſowohl gegen das gleichzeitige Ausland als gegen das Alterthum, ungerecht geweſen ſind gegen ſich ſelbſt. Wiederum giebt es an¬ dere Voͤlker, denen ihr eng in ſich ſelbſt ver¬ wachſenes Selbſt niemals die Freiheit geſtat¬ tet, ſich zu kalter und ruhiger Betrachtung des fremden abzuſondern, und die daher zu glauben genoͤthigt ſind, es gebe nur eine einzige moͤgliche Weiſe als gebildeter Menſch zu beſtehen, und dies ſey jedesmal die, welche in dieſem Zeit¬ punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬ fen; alle uͤbrige Menſchen in der Welt haͤtten keine andere Beſtimmung, denn alſo zu wer¬ den, wie ſie ſind, und ſie haͤtten ihnen den groͤßten Dank abzuſtatten, wenn ſie die Muͤhe uͤber ſich nehmen wollten, ſie alſo zu bilden. Zwiſchen Voͤlkern der erſten Art findet eine der Ausbildung zum Menſchen uͤberhaupt hoͤchſt wohlthaͤtige Wechſelwirkung der gegenſeitigen Bildung und Erziehung ſtatt, und eine Durch¬ dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem guten Willen des andern, ſich ſelbſt gleich bleibt. Voͤlker von der zweiten Art vermoͤgen nichts zu bilden, denn ſie vermoͤgen nichts in ſeinem
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zu ſeyn ſowohl gegen das gleichzeitige Ausland
als gegen das Alterthum, ungerecht geweſen
ſind gegen ſich ſelbſt. Wiederum giebt es an¬
dere Voͤlker, denen ihr eng in ſich ſelbſt ver¬
wachſenes Selbſt niemals die Freiheit geſtat¬
tet, ſich zu kalter und ruhiger Betrachtung des
fremden abzuſondern, und die daher zu glauben
genoͤthigt ſind, es gebe nur eine einzige moͤgliche
Weiſe als gebildeter Menſch zu beſtehen, und
dies ſey jedesmal die, welche in dieſem Zeit¬
punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬
fen; alle uͤbrige Menſchen in der Welt haͤtten
keine andere Beſtimmung, denn alſo zu wer¬
den, wie ſie ſind, und ſie haͤtten ihnen den
groͤßten Dank abzuſtatten, wenn ſie die Muͤhe
uͤber ſich nehmen wollten, ſie alſo zu bilden.
Zwiſchen Voͤlkern der erſten Art findet eine der
Ausbildung zum Menſchen uͤberhaupt hoͤchſt
wohlthaͤtige Wechſelwirkung der gegenſeitigen
Bildung und Erziehung ſtatt, und eine Durch¬
dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem
guten Willen des andern, ſich ſelbſt gleich bleibt.
Voͤlker von der zweiten Art vermoͤgen nichts
zu bilden, denn ſie vermoͤgen nichts in ſeinem
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/438>, abgerufen am 22.11.2024.
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