Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

zu seyn sowohl gegen das gleichzeitige Ausland
als gegen das Alterthum, ungerecht gewesen
sind gegen sich selbst. Wiederum giebt es an¬
dere Völker, denen ihr eng in sich selbst ver¬
wachsenes Selbst niemals die Freiheit gestat¬
tet, sich zu kalter und ruhiger Betrachtung des
fremden abzusondern, und die daher zu glauben
genöthigt sind, es gebe nur eine einzige mögliche
Weise als gebildeter Mensch zu bestehen, und
dies sey jedesmal die, welche in diesem Zeit¬
punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬
fen; alle übrige Menschen in der Welt hätten
keine andere Bestimmung, denn also zu wer¬
den, wie sie sind, und sie hätten ihnen den
größten Dank abzustatten, wenn sie die Mühe
über sich nehmen wollten, sie also zu bilden.
Zwischen Völkern der ersten Art findet eine der
Ausbildung zum Menschen überhaupt höchst
wohlthätige Wechselwirkung der gegenseitigen
Bildung und Erziehung statt, und eine Durch¬
dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem
guten Willen des andern, sich selbst gleich bleibt.
Völker von der zweiten Art vermögen nichts
zu bilden, denn sie vermögen nichts in seinem

vor¬

zu ſeyn ſowohl gegen das gleichzeitige Ausland
als gegen das Alterthum, ungerecht geweſen
ſind gegen ſich ſelbſt. Wiederum giebt es an¬
dere Voͤlker, denen ihr eng in ſich ſelbſt ver¬
wachſenes Selbſt niemals die Freiheit geſtat¬
tet, ſich zu kalter und ruhiger Betrachtung des
fremden abzuſondern, und die daher zu glauben
genoͤthigt ſind, es gebe nur eine einzige moͤgliche
Weiſe als gebildeter Menſch zu beſtehen, und
dies ſey jedesmal die, welche in dieſem Zeit¬
punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬
fen; alle uͤbrige Menſchen in der Welt haͤtten
keine andere Beſtimmung, denn alſo zu wer¬
den, wie ſie ſind, und ſie haͤtten ihnen den
groͤßten Dank abzuſtatten, wenn ſie die Muͤhe
uͤber ſich nehmen wollten, ſie alſo zu bilden.
Zwiſchen Voͤlkern der erſten Art findet eine der
Ausbildung zum Menſchen uͤberhaupt hoͤchſt
wohlthaͤtige Wechſelwirkung der gegenſeitigen
Bildung und Erziehung ſtatt, und eine Durch¬
dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem
guten Willen des andern, ſich ſelbſt gleich bleibt.
Voͤlker von der zweiten Art vermoͤgen nichts
zu bilden, denn ſie vermoͤgen nichts in ſeinem

vor¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0438" n="432"/>
zu &#x017F;eyn &#x017F;owohl gegen das gleichzeitige Ausland<lb/>
als gegen das Alterthum, ungerecht gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Wiederum giebt es an¬<lb/>
dere Vo&#x0364;lker, denen ihr eng in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver¬<lb/>
wach&#x017F;enes Selb&#x017F;t niemals die Freiheit ge&#x017F;tat¬<lb/>
tet, &#x017F;ich zu kalter und ruhiger Betrachtung des<lb/>
fremden abzu&#x017F;ondern, und die daher zu glauben<lb/>
geno&#x0364;thigt &#x017F;ind, es gebe nur eine einzige mo&#x0364;gliche<lb/>
Wei&#x017F;e als gebildeter Men&#x017F;ch zu be&#x017F;tehen, und<lb/>
dies &#x017F;ey jedesmal die, welche in die&#x017F;em Zeit¬<lb/>
punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬<lb/>
fen; alle u&#x0364;brige Men&#x017F;chen in der Welt ha&#x0364;tten<lb/>
keine andere Be&#x017F;timmung, denn al&#x017F;o zu wer¬<lb/>
den, wie &#x017F;ie &#x017F;ind, und &#x017F;ie ha&#x0364;tten ihnen den<lb/>
gro&#x0364;ßten Dank abzu&#x017F;tatten, wenn &#x017F;ie die Mu&#x0364;he<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ich nehmen wollten, &#x017F;ie al&#x017F;o zu bilden.<lb/>
Zwi&#x017F;chen Vo&#x0364;lkern der er&#x017F;ten Art findet eine der<lb/>
Ausbildung zum Men&#x017F;chen u&#x0364;berhaupt ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
wohltha&#x0364;tige Wech&#x017F;elwirkung der gegen&#x017F;eitigen<lb/>
Bildung und Erziehung &#x017F;tatt, und eine Durch¬<lb/>
dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem<lb/>
guten Willen des andern, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gleich bleibt.<lb/>
Vo&#x0364;lker von der zweiten Art vermo&#x0364;gen nichts<lb/>
zu bilden, denn &#x017F;ie vermo&#x0364;gen nichts in &#x017F;einem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vor¬<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[432/0438] zu ſeyn ſowohl gegen das gleichzeitige Ausland als gegen das Alterthum, ungerecht geweſen ſind gegen ſich ſelbſt. Wiederum giebt es an¬ dere Voͤlker, denen ihr eng in ſich ſelbſt ver¬ wachſenes Selbſt niemals die Freiheit geſtat¬ tet, ſich zu kalter und ruhiger Betrachtung des fremden abzuſondern, und die daher zu glauben genoͤthigt ſind, es gebe nur eine einzige moͤgliche Weiſe als gebildeter Menſch zu beſtehen, und dies ſey jedesmal die, welche in dieſem Zeit¬ punkte gerade ihnen irgend ein Zufall angewor¬ fen; alle uͤbrige Menſchen in der Welt haͤtten keine andere Beſtimmung, denn alſo zu wer¬ den, wie ſie ſind, und ſie haͤtten ihnen den groͤßten Dank abzuſtatten, wenn ſie die Muͤhe uͤber ſich nehmen wollten, ſie alſo zu bilden. Zwiſchen Voͤlkern der erſten Art findet eine der Ausbildung zum Menſchen uͤberhaupt hoͤchſt wohlthaͤtige Wechſelwirkung der gegenſeitigen Bildung und Erziehung ſtatt, und eine Durch¬ dringung, bei welcher dennoch jeder, mit dem guten Willen des andern, ſich ſelbſt gleich bleibt. Voͤlker von der zweiten Art vermoͤgen nichts zu bilden, denn ſie vermoͤgen nichts in ſeinem vor¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/438
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/438>, abgerufen am 22.11.2024.