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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Eure Klagen über die allgemeine Seichtigkeit,
Gedankenlosigkeit, und Verflossenheit, über den
Klugdünkel, und das unversiegbare Geschwäz,
über die Verachtung des Ernstes und der
Gründlichkeit in allen Ständen mögen wahr
seyn, wie sie es denn sind. Aber welcher
Stand ist es denn, der diese Stände insge¬
sammt erzogen hat, der ihnen alles wissen¬
schaftliche in ein Spiel verwandelt, und
von der frühsten Jugend an zu jenem Klug¬
dünkel und jenem Geschwäze sie angeführt
hat? Wer ist es denn, der auch die der
Schule entwachsenen Geschlechter noch immer¬
fort erzieht? Der in die Augen fallendste
Grund der Dumpfheit des Zeitalters ist der,
daß es sich dumpf gelesen hat, an den Schrif¬
ten, die ihr geschrieben habt. Warum laßt ihr
dennoch immerforr euch so angelegen seyn,
dieses müßige Volk zu unterhalten, ohnerach¬
tet ihr wißt, daß es nichts gelernt hat, und
nichts lernen will; nennt es Publikum, schmei¬
chelt ihm als eurem Richter, hezt es auf gegen
eure Mitbewerber, und sucht diesen blinden
und verworrnen Haufen durch jedes Mittel

Eure Klagen uͤber die allgemeine Seichtigkeit,
Gedankenloſigkeit, und Verfloſſenheit, uͤber den
Klugduͤnkel, und das unverſiegbare Geſchwaͤz,
uͤber die Verachtung des Ernſtes und der
Gruͤndlichkeit in allen Staͤnden moͤgen wahr
ſeyn, wie ſie es denn ſind. Aber welcher
Stand iſt es denn, der dieſe Staͤnde insge¬
ſammt erzogen hat, der ihnen alles wiſſen¬
ſchaftliche in ein Spiel verwandelt, und
von der fruͤhſten Jugend an zu jenem Klug¬
duͤnkel und jenem Geſchwaͤze ſie angefuͤhrt
hat? Wer iſt es denn, der auch die der
Schule entwachſenen Geſchlechter noch immer¬
fort erzieht? Der in die Augen fallendſte
Grund der Dumpfheit des Zeitalters iſt der,
daß es ſich dumpf geleſen hat, an den Schrif¬
ten, die ihr geſchrieben habt. Warum laßt ihr
dennoch immerforr euch ſo angelegen ſeyn,
dieſes muͤßige Volk zu unterhalten, ohnerach¬
tet ihr wißt, daß es nichts gelernt hat, und
nichts lernen will; nennt es Publikum, ſchmei¬
chelt ihm als eurem Richter, hezt es auf gegen
eure Mitbewerber, und ſucht dieſen blinden
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[476/0482] Eure Klagen uͤber die allgemeine Seichtigkeit, Gedankenloſigkeit, und Verfloſſenheit, uͤber den Klugduͤnkel, und das unverſiegbare Geſchwaͤz, uͤber die Verachtung des Ernſtes und der Gruͤndlichkeit in allen Staͤnden moͤgen wahr ſeyn, wie ſie es denn ſind. Aber welcher Stand iſt es denn, der dieſe Staͤnde insge¬ ſammt erzogen hat, der ihnen alles wiſſen¬ ſchaftliche in ein Spiel verwandelt, und von der fruͤhſten Jugend an zu jenem Klug¬ duͤnkel und jenem Geſchwaͤze ſie angefuͤhrt hat? Wer iſt es denn, der auch die der Schule entwachſenen Geſchlechter noch immer¬ fort erzieht? Der in die Augen fallendſte Grund der Dumpfheit des Zeitalters iſt der, daß es ſich dumpf geleſen hat, an den Schrif¬ ten, die ihr geſchrieben habt. Warum laßt ihr dennoch immerforr euch ſo angelegen ſeyn, dieſes muͤßige Volk zu unterhalten, ohnerach¬ tet ihr wißt, daß es nichts gelernt hat, und nichts lernen will; nennt es Publikum, ſchmei¬ chelt ihm als eurem Richter, hezt es auf gegen eure Mitbewerber, und ſucht dieſen blinden und verworrnen Haufen durch jedes Mittel

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/482>, abgerufen am 24.11.2024.