Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Wollen hat, der will, was er will, für alle
Ewigkeit, und er kann in keinem möglichen
Falle anders wollen, denn also, wie er eben
immer will; für ihn ist die Freiheit des Wil¬
lens vernichtet, und aufgegangen in der
Nothwendigkeit. Dadurch eben hat die bis¬
herige Zeit gezeigt, daß sie von Bildung zum
Menschen weder einen rechten Begriff, noch
die Kraft hatte, diesen Begriff darzustellen,
daß sie durch ermahnende Predigten die Men¬
schen bessern wollte, und verdrießlich ward,
und schalt, wenn diese Predigten nichts fruch¬
teten. Wie konnten sie doch fruchten? Der
Wille des Menschen hat schon vor der Er¬
mahnung vorher, und unabhängig von ihr,
seine feste Richtung; stimmt diese zusammen
mit deiner Ermahnung, so kömmt die Er¬
mahnung zu spät, und der Mensch hätte auch
ohne dieselbe gethan, wozu du ihn ermah¬
nest, steht sie mit derselben im Widerspruche,
so magst du ihn höchstens einige Augenblicke
betäuben; wie die Gelegenheit kommt, vergißt
er sich selbst und deine Ermahnung, und folgt
seinem natürlichen Hange. Willst du etwas
über ihn vermögen, so mußt du mehr thun,

Wollen hat, der will, was er will, fuͤr alle
Ewigkeit, und er kann in keinem moͤglichen
Falle anders wollen, denn alſo, wie er eben
immer will; fuͤr ihn iſt die Freiheit des Wil¬
lens vernichtet, und aufgegangen in der
Nothwendigkeit. Dadurch eben hat die bis¬
herige Zeit gezeigt, daß ſie von Bildung zum
Menſchen weder einen rechten Begriff, noch
die Kraft hatte, dieſen Begriff darzuſtellen,
daß ſie durch ermahnende Predigten die Men¬
ſchen beſſern wollte, und verdrießlich ward,
und ſchalt, wenn dieſe Predigten nichts fruch¬
teten. Wie konnten ſie doch fruchten? Der
Wille des Menſchen hat ſchon vor der Er¬
mahnung vorher, und unabhaͤngig von ihr,
ſeine feſte Richtung; ſtimmt dieſe zuſammen
mit deiner Ermahnung, ſo koͤmmt die Er¬
mahnung zu ſpaͤt, und der Menſch haͤtte auch
ohne dieſelbe gethan, wozu du ihn ermah¬
neſt, ſteht ſie mit derſelben im Widerſpruche,
ſo magſt du ihn hoͤchſtens einige Augenblicke
betaͤuben; wie die Gelegenheit kommt, vergißt
er ſich ſelbſt und deine Ermahnung, und folgt
ſeinem natuͤrlichen Hange. Willſt du etwas
uͤber ihn vermoͤgen, ſo mußt du mehr thun,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0059" n="53"/>
Wollen hat, der will, was er will, fu&#x0364;r alle<lb/>
Ewigkeit, und er kann in keinem mo&#x0364;glichen<lb/>
Falle anders wollen, denn al&#x017F;o, wie er eben<lb/>
immer will; fu&#x0364;r ihn i&#x017F;t die Freiheit des Wil¬<lb/>
lens vernichtet, und aufgegangen in der<lb/>
Nothwendigkeit. Dadurch eben hat die bis¬<lb/>
herige Zeit gezeigt, daß &#x017F;ie von Bildung zum<lb/>
Men&#x017F;chen weder einen rechten Begriff, noch<lb/>
die Kraft hatte, die&#x017F;en Begriff darzu&#x017F;tellen,<lb/>
daß &#x017F;ie durch ermahnende Predigten die Men¬<lb/>
&#x017F;chen be&#x017F;&#x017F;ern wollte, und verdrießlich ward,<lb/>
und &#x017F;chalt, wenn die&#x017F;e Predigten nichts fruch¬<lb/>
teten. Wie konnten &#x017F;ie doch fruchten? Der<lb/>
Wille des Men&#x017F;chen hat &#x017F;chon vor der Er¬<lb/>
mahnung vorher, und unabha&#x0364;ngig von ihr,<lb/>
&#x017F;eine fe&#x017F;te Richtung; &#x017F;timmt die&#x017F;e zu&#x017F;ammen<lb/>
mit deiner Ermahnung, &#x017F;o ko&#x0364;mmt die Er¬<lb/>
mahnung zu &#x017F;pa&#x0364;t, und der Men&#x017F;ch ha&#x0364;tte auch<lb/>
ohne die&#x017F;elbe gethan, wozu du ihn ermah¬<lb/>
ne&#x017F;t, &#x017F;teht &#x017F;ie mit der&#x017F;elben im Wider&#x017F;pruche,<lb/>
&#x017F;o mag&#x017F;t du ihn ho&#x0364;ch&#x017F;tens einige Augenblicke<lb/>
beta&#x0364;uben; wie die Gelegenheit kommt, vergißt<lb/>
er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und deine Ermahnung, und folgt<lb/>
&#x017F;einem natu&#x0364;rlichen Hange. Will&#x017F;t du etwas<lb/>
u&#x0364;ber ihn vermo&#x0364;gen, &#x017F;o mußt du mehr thun,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0059] Wollen hat, der will, was er will, fuͤr alle Ewigkeit, und er kann in keinem moͤglichen Falle anders wollen, denn alſo, wie er eben immer will; fuͤr ihn iſt die Freiheit des Wil¬ lens vernichtet, und aufgegangen in der Nothwendigkeit. Dadurch eben hat die bis¬ herige Zeit gezeigt, daß ſie von Bildung zum Menſchen weder einen rechten Begriff, noch die Kraft hatte, dieſen Begriff darzuſtellen, daß ſie durch ermahnende Predigten die Men¬ ſchen beſſern wollte, und verdrießlich ward, und ſchalt, wenn dieſe Predigten nichts fruch¬ teten. Wie konnten ſie doch fruchten? Der Wille des Menſchen hat ſchon vor der Er¬ mahnung vorher, und unabhaͤngig von ihr, ſeine feſte Richtung; ſtimmt dieſe zuſammen mit deiner Ermahnung, ſo koͤmmt die Er¬ mahnung zu ſpaͤt, und der Menſch haͤtte auch ohne dieſelbe gethan, wozu du ihn ermah¬ neſt, ſteht ſie mit derſelben im Widerſpruche, ſo magſt du ihn hoͤchſtens einige Augenblicke betaͤuben; wie die Gelegenheit kommt, vergißt er ſich ſelbſt und deine Ermahnung, und folgt ſeinem natuͤrlichen Hange. Willſt du etwas uͤber ihn vermoͤgen, ſo mußt du mehr thun,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/59
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/59>, abgerufen am 23.11.2024.