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Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

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senen Luft gegen die Atmosphärische, und den Grad
ihrer Schnelligkeit berechnen; auch noch ehe er wuss-
te, ob er eine Luftart finden würde, die um den er-
forderlichen Grad leichter sey, als die Atmosphärische:
und Archimedes konnte die Maschine, durch welche
er den Erdball aus seiner Stelle bewegen wollte, be-
rechnen, ob er gleich sicher wusste, dass er keinen
Platz ausserhalb der Anziehungskraft derselben finden
würde, von welchem aus er sie könnte wirken lassen. --
So unsere eben beschriebene Wissenschaft. Sie ist, als
solche, nicht etwas, das unabhängig von uns, und
ohne unser Zuthun existiere, sondern das erst durch
die Freiheit unsers nach einer bestimmten Richtung hin
wirkenden Geistes hervorgebracht werden soll; wenn
es eine solche Freiheit giebt, wie wir gleichfalls noch
nicht wissen können. Bestimmen wir diese Richtung
vorher; machen wir uns einen deutlichen Begriff da-
von, was unser Werk werden soll! Ob wir es hervor-
bringen können oder nicht, das wird sich erst daraus
ergeben, ob wir es wirklich hervorbringen. Jetzt ist
nicht davon die Frage, sondern davon, was wir eigent-
lich machen wollen; und das bestimmt unsere Defini-
tion.

1) Die beschriebene Wissenschaft soll zuförderst
eine Wissenschaft der Wissenschaft überhaupt seyn. Jede
mögliche Wissenschaft hat einen Gründsatz, der in ihr
nicht erwiesen werden kann, sondern vor ihr vorher
gewiss seyn muss. Wo soll nun dieser Grundsatz er-
wiesen werden? Ohne Zweifel in derjenigen Wissen-
schaft, welche alle möglichen Wissenschaften zu begrün-
den hat. -- Die Wissenschaftslehre hätte in dieser

Rück-
B 2

ſenen Luft gegen die Atmoſphäriſche, und den Grad
ihrer Schnelligkeit berechnen; auch noch ehe er wuſs-
te, ob er eine Luftart finden würde, die um den er-
forderlichen Grad leichter ſey, als die Atmoſphäriſche:
und Archimedes konnte die Maſchine, durch welche
er den Erdball aus ſeiner Stelle bewegen wollte, be-
rechnen, ob er gleich ſicher wuſste, daſs er keinen
Platz auſſerhalb der Anziehungskraft derſelben finden
würde, von welchem aus er ſie könnte wirken laſſen. —
So unſere eben beſchriebene Wiſſenſchaft. Sie iſt, als
ſolche, nicht etwas, das unabhängig von uns, und
ohne unſer Zuthun exiſtiere, ſondern das erſt durch
die Freiheit unſers nach einer beſtimmten Richtung hin
wirkenden Geiſtes hervorgebracht werden ſoll; wenn
es eine ſolche Freiheit giebt, wie wir gleichfalls noch
nicht wiſſen können. Beſtimmen wir dieſe Richtung
vorher; machen wir uns einen deutlichen Begriff da-
von, was unſer Werk werden ſoll! Ob wir es hervor-
bringen können oder nicht, das wird ſich erſt daraus
ergeben, ob wir es wirklich hervorbringen. Jetzt iſt
nicht davon die Frage, ſondern davon, was wir eigent-
lich machen wollen; und das beſtimmt unſere Defini-
tion.

1) Die beſchriebene Wiſſenſchaft ſoll zuförderſt
eine Wiſſenſchaft der Wiſſenſchaft überhaupt ſeyn. Jede
mögliche Wiſſenſchaft hat einen Gründſatz, der in ihr
nicht erwieſen werden kann, ſondern vor ihr vorher
gewiſs ſeyn muſs. Wo ſoll nun dieſer Grundſatz er-
wieſen werden? Ohne Zweifel in derjenigen Wiſſen-
ſchaft, welche alle möglichen Wiſſenſchaften zu begrün-
den hat. — Die Wiſſenſchaftslehre hätte in dieſer

Rück-
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[19/0027] ſenen Luft gegen die Atmoſphäriſche, und den Grad ihrer Schnelligkeit berechnen; auch noch ehe er wuſs- te, ob er eine Luftart finden würde, die um den er- forderlichen Grad leichter ſey, als die Atmoſphäriſche: und Archimedes konnte die Maſchine, durch welche er den Erdball aus ſeiner Stelle bewegen wollte, be- rechnen, ob er gleich ſicher wuſste, daſs er keinen Platz auſſerhalb der Anziehungskraft derſelben finden würde, von welchem aus er ſie könnte wirken laſſen. — So unſere eben beſchriebene Wiſſenſchaft. Sie iſt, als ſolche, nicht etwas, das unabhängig von uns, und ohne unſer Zuthun exiſtiere, ſondern das erſt durch die Freiheit unſers nach einer beſtimmten Richtung hin wirkenden Geiſtes hervorgebracht werden ſoll; wenn es eine ſolche Freiheit giebt, wie wir gleichfalls noch nicht wiſſen können. Beſtimmen wir dieſe Richtung vorher; machen wir uns einen deutlichen Begriff da- von, was unſer Werk werden ſoll! Ob wir es hervor- bringen können oder nicht, das wird ſich erſt daraus ergeben, ob wir es wirklich hervorbringen. Jetzt iſt nicht davon die Frage, ſondern davon, was wir eigent- lich machen wollen; und das beſtimmt unſere Defini- tion. 1) Die beſchriebene Wiſſenſchaft ſoll zuförderſt eine Wiſſenſchaft der Wiſſenſchaft überhaupt ſeyn. Jede mögliche Wiſſenſchaft hat einen Gründſatz, der in ihr nicht erwieſen werden kann, ſondern vor ihr vorher gewiſs ſeyn muſs. Wo ſoll nun dieſer Grundſatz er- wieſen werden? Ohne Zweifel in derjenigen Wiſſen- ſchaft, welche alle möglichen Wiſſenſchaften zu begrün- den hat. — Die Wiſſenſchaftslehre hätte in dieſer Rück- B 2

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/27>, abgerufen am 28.04.2024.