Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.Materie zu betrachten. So bald aber die Urtheilskraft Also sieht man schon hier -- welches wir bloss müss-
Materie zu betrachten. So bald aber die Urtheilskraft Alſo ſieht man ſchon hier — welches wir bloſs müſs-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="44"/> Materie zu betrachten. So bald aber die Urtheilskraft<lb/> die Aufgabe erhält, einen beſtimmten Gegenſtand nach<lb/> einem beſtimmten Geſetze <choice><sic>zn</sic><corr>zu</corr></choice> beobachten, um zu ſehen,<lb/> ob und in wie fern er mit demſelben übereinkomme<lb/> oder nicht, iſt ſie nicht mehr frei, ſondern unter einer<lb/> Regel; und wir ſind demnach nicht mehr in der Wiſ-<lb/> ſenſchaftslehre, ſondern auf dem Felde einer andern<lb/> Wiſſenſchaft, welche die Naturwiſſenſchaft heiſst. Die<lb/> Aufgabe überhaupt, jeden in der Erfahrung gegebnen<lb/> Gegenſtand an jedes in unſerm Geiſte gegebnes Natur-<lb/> geſetz zu halten, iſt Grundſatz der Naturwiſſenſchaft:<lb/> ſie beſteht durchgängig aus Experimenten, (nicht aber<lb/> aus dem leidenden Verhalten gegen die regelloſen Ein-<lb/> wirkungen der Natur auf uns) die man ſich willkürlich<lb/> aufgiebt, und denen die Natur entſprechen kann oder<lb/> nicht: und dadurch iſt denn die Naturwiſſenſchaft ge-<lb/> nugſam von der Wiſſenſchaftslehre überhaupt geſchie-<lb/> den.</p><lb/> <p>Alſo ſieht man ſchon hier — welches wir bloſs<lb/> im Vorbeygehen erinnern — warum bloſs die Wiſſen-<lb/> ſchaftslehre abſolute Totalität haben, alle beſondre Wiſ-<lb/> ſenſchaften aber unendlich ſeyn werden. Die Wiſſen-<lb/> ſchaftslehre enthält bloſs das Nothwendige; iſt dies in<lb/> jeder Betrachtung nothwendig, ſo iſt es daſſelbe auch<lb/> in Abſicht der Quantität, d. h., es iſt nothwendig begränzt.<lb/> Alle übrigen Wiſſenſchaften gehen auf die Freyheit, ſo<lb/> wohl die unſers Geiſtes, als die des von uns ſchlecht-<lb/> hin unabhängigen Nicht-Ich. Soll dieſes wirkliche<lb/> Freyheit ſeyn, und ſoll ſie ſchlechthin unter keinem Ge-<lb/> ſetze ſtehen, ſo läſst ſich ihr auch kein Wirkungskreis<lb/> vorſchreiben, welches ja durch ein Geſetz geſchehen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">müſs-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0052]
Materie zu betrachten. So bald aber die Urtheilskraft
die Aufgabe erhält, einen beſtimmten Gegenſtand nach
einem beſtimmten Geſetze zu beobachten, um zu ſehen,
ob und in wie fern er mit demſelben übereinkomme
oder nicht, iſt ſie nicht mehr frei, ſondern unter einer
Regel; und wir ſind demnach nicht mehr in der Wiſ-
ſenſchaftslehre, ſondern auf dem Felde einer andern
Wiſſenſchaft, welche die Naturwiſſenſchaft heiſst. Die
Aufgabe überhaupt, jeden in der Erfahrung gegebnen
Gegenſtand an jedes in unſerm Geiſte gegebnes Natur-
geſetz zu halten, iſt Grundſatz der Naturwiſſenſchaft:
ſie beſteht durchgängig aus Experimenten, (nicht aber
aus dem leidenden Verhalten gegen die regelloſen Ein-
wirkungen der Natur auf uns) die man ſich willkürlich
aufgiebt, und denen die Natur entſprechen kann oder
nicht: und dadurch iſt denn die Naturwiſſenſchaft ge-
nugſam von der Wiſſenſchaftslehre überhaupt geſchie-
den.
Alſo ſieht man ſchon hier — welches wir bloſs
im Vorbeygehen erinnern — warum bloſs die Wiſſen-
ſchaftslehre abſolute Totalität haben, alle beſondre Wiſ-
ſenſchaften aber unendlich ſeyn werden. Die Wiſſen-
ſchaftslehre enthält bloſs das Nothwendige; iſt dies in
jeder Betrachtung nothwendig, ſo iſt es daſſelbe auch
in Abſicht der Quantität, d. h., es iſt nothwendig begränzt.
Alle übrigen Wiſſenſchaften gehen auf die Freyheit, ſo
wohl die unſers Geiſtes, als die des von uns ſchlecht-
hin unabhängigen Nicht-Ich. Soll dieſes wirkliche
Freyheit ſeyn, und ſoll ſie ſchlechthin unter keinem Ge-
ſetze ſtehen, ſo läſst ſich ihr auch kein Wirkungskreis
vorſchreiben, welches ja durch ein Geſetz geſchehen
müſs-
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