Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

welche letztre hier insbesondre bestimmt ist, die Hand-
lungsart des menschlichen Geistes überhaupt zum Be-
wusstseyn zu erheben; und die Wissenschaftslehre ist
von andern Wissenschaften nur dadurch unterschieden,
dass das Objekt der letztern selbst eine freie Handlung,
das Objekt der erstern aber nothwendige Handlun-
gen sind.

Durch diese freie Handlung wird nun etwas, das
schon an sich Form ist, die nothwendige Handlung
des menschlichen Geistes, als Gehalt in eine neue Form
die Form des Wissens, oder des Bewusstseyns aufge-
nommen, und demnach ist jene Handlung eine Hand-
lung der Reflexion. Jene nothwendigen Handlungen,
werden aus der Reihe, in der sie etwa an sich vorkom-
men mögen, getrennt, und von aller Vermischung rein
aufgestellt; mithin ist jene Handlung auch eine Hand-
lung der Abstraktion. Es ist unmöglich zu reflektiren
ohne abstrahiert zu haben.

Die Form des Bewusstseyns, in welche die noth-
wendigen Handlungsart des menschlichen Geistes über-
haupt aufgenommen werden soll, gehört ohne Zwei-
fel selbst zu den nothwendigen Handlungsarten dessel-
ben, seine Handlungsart wird in sie ohne Zweifel ge-
rade so aufgenommen, wie alles, was darin aufge-
nommen wird: er hätte also an sich keine Schwierig-
keit die Frage zu beantworten: woher denn zum Be-
huf einer möglichen Wissenschaftslehre diese Form kom-
men sollte. Aber, überhebt man sich der Frage über
die Form, so fällt die ganze Schwierigkeit in die Frage
über den Stoff. -- Soll die nothwendige Han[d]lungsart

des

welche letztre hier insbeſondre beſtimmt iſt, die Hand-
lungsart des menſchlichen Geiſtes überhaupt zum Be-
wuſstſeyn zu erheben; und die Wiſſenſchaftslehre iſt
von andern Wiſſenſchaften nur dadurch unterſchieden,
daſs das Objekt der letztern ſelbſt eine freie Handlung,
das Objekt der erſtern aber nothwendige Handlun-
gen ſind.

Durch dieſe freie Handlung wird nun etwas, das
ſchon an ſich Form iſt, die nothwendige Handlung
des menſchlichen Geiſtes, als Gehalt in eine neue Form
die Form des Wiſſens, oder des Bewuſstſeyns aufge-
nommen, und demnach iſt jene Handlung eine Hand-
lung der Reflexion. Jene nothwendigen Handlungen,
werden aus der Reihe, in der ſie etwa an ſich vorkom-
men mögen, getrennt, und von aller Vermiſchung rein
aufgeſtellt; mithin iſt jene Handlung auch eine Hand-
lung der Abſtraktion. Es iſt unmöglich zu reflektiren
ohne abſtrahiert zu haben.

Die Form des Bewuſstſeyns, in welche die noth-
wendigen Handlungsart des menſchlichen Geiſtes über-
haupt aufgenommen werden ſoll, gehört ohne Zwei-
fel ſelbſt zu den nothwendigen Handlungsarten deſſel-
ben, ſeine Handlungsart wird in ſie ohne Zweifel ge-
rade ſo aufgenommen, wie alles, was darin aufge-
nommen wird: er hätte alſo an ſich keine Schwierig-
keit die Frage zu beantworten: woher denn zum Be-
huf einer möglichen Wiſſenſchaftslehre dieſe Form kom-
men ſollte. Aber, überhebt man ſich der Frage über
die Form, ſo fällt die ganze Schwierigkeit in die Frage
über den Stoff. — Soll die nothwendige Han[d]lungsart

des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0060" n="52"/>
welche letztre hier insbe&#x017F;ondre be&#x017F;timmt i&#x017F;t, die Hand-<lb/>
lungsart des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes überhaupt zum Be-<lb/>
wu&#x017F;st&#x017F;eyn zu erheben; und die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre i&#x017F;t<lb/>
von andern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften nur dadurch unter&#x017F;chieden,<lb/>
da&#x017F;s das Objekt der letztern &#x017F;elb&#x017F;t eine freie Handlung,<lb/>
das Objekt der er&#x017F;tern aber nothwendige Handlun-<lb/>
gen &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Durch die&#x017F;e freie Handlung wird nun etwas, das<lb/>
&#x017F;chon an &#x017F;ich Form i&#x017F;t, die nothwendige Handlung<lb/>
des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes, als Gehalt in eine neue Form<lb/>
die Form des Wi&#x017F;&#x017F;ens, oder des Bewu&#x017F;st&#x017F;eyns aufge-<lb/>
nommen, und demnach i&#x017F;t jene Handlung eine Hand-<lb/>
lung der Reflexion. Jene nothwendigen Handlungen,<lb/>
werden aus der Reihe, in der &#x017F;ie etwa an &#x017F;ich vorkom-<lb/>
men mögen, getrennt, und von aller Vermi&#x017F;chung rein<lb/>
aufge&#x017F;tellt; mithin i&#x017F;t jene Handlung auch eine Hand-<lb/>
lung der Ab&#x017F;traktion. Es i&#x017F;t unmöglich zu reflektiren<lb/>
ohne ab&#x017F;trahiert zu haben.</p><lb/>
          <p>Die Form des Bewu&#x017F;st&#x017F;eyns, in welche die noth-<lb/>
wendigen Handlungsart des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes über-<lb/>
haupt aufgenommen werden &#x017F;oll, gehört ohne Zwei-<lb/>
fel &#x017F;elb&#x017F;t zu den nothwendigen Handlungsarten de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben, &#x017F;eine Handlungsart wird in &#x017F;ie ohne Zweifel ge-<lb/>
rade &#x017F;o aufgenommen, wie alles, was darin aufge-<lb/>
nommen wird: er hätte al&#x017F;o an &#x017F;ich keine Schwierig-<lb/>
keit die Frage zu beantworten: woher denn zum Be-<lb/>
huf einer möglichen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftslehre die&#x017F;e Form kom-<lb/>
men &#x017F;ollte. Aber, überhebt man &#x017F;ich der Frage über<lb/>
die Form, &#x017F;o fällt die ganze Schwierigkeit in die Frage<lb/>
über den Stoff. &#x2014; Soll die nothwendige Han<supplied>d</supplied>lungsart<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">des</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0060] welche letztre hier insbeſondre beſtimmt iſt, die Hand- lungsart des menſchlichen Geiſtes überhaupt zum Be- wuſstſeyn zu erheben; und die Wiſſenſchaftslehre iſt von andern Wiſſenſchaften nur dadurch unterſchieden, daſs das Objekt der letztern ſelbſt eine freie Handlung, das Objekt der erſtern aber nothwendige Handlun- gen ſind. Durch dieſe freie Handlung wird nun etwas, das ſchon an ſich Form iſt, die nothwendige Handlung des menſchlichen Geiſtes, als Gehalt in eine neue Form die Form des Wiſſens, oder des Bewuſstſeyns aufge- nommen, und demnach iſt jene Handlung eine Hand- lung der Reflexion. Jene nothwendigen Handlungen, werden aus der Reihe, in der ſie etwa an ſich vorkom- men mögen, getrennt, und von aller Vermiſchung rein aufgeſtellt; mithin iſt jene Handlung auch eine Hand- lung der Abſtraktion. Es iſt unmöglich zu reflektiren ohne abſtrahiert zu haben. Die Form des Bewuſstſeyns, in welche die noth- wendigen Handlungsart des menſchlichen Geiſtes über- haupt aufgenommen werden ſoll, gehört ohne Zwei- fel ſelbſt zu den nothwendigen Handlungsarten deſſel- ben, ſeine Handlungsart wird in ſie ohne Zweifel ge- rade ſo aufgenommen, wie alles, was darin aufge- nommen wird: er hätte alſo an ſich keine Schwierig- keit die Frage zu beantworten: woher denn zum Be- huf einer möglichen Wiſſenſchaftslehre dieſe Form kom- men ſollte. Aber, überhebt man ſich der Frage über die Form, ſo fällt die ganze Schwierigkeit in die Frage über den Stoff. — Soll die nothwendige Handlungsart des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/60
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/60>, abgerufen am 10.05.2024.