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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

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stanz des realen Daseins auf den flüchtigen Stoff der
Wahrnehmungen und Vorstellungen eines einzelnen Sinnes
reducirt, verlieren wir den Boden der realen Welt unter
den Füßen; dadurch, daß wir selbst an einer Wirklichkeits¬
gestaltung mit keinem größeren Theil unseres Organismus
betheiligt sind, als erforderlich ist, um jene Wahrneh¬
mungen und Vorstellungen entstehen zu lassen, kommen
wir uns in unserem eigenen Dasein herabgesetzt und gleich¬
sam darauf beschränkt vor, der Schauplatz zu sein, auf
dem gespensterhafte Bilder sichtbarer Dinge entstehen und
vergehen, in bunter wechselvoller Menge ihr phantastisch¬
willkürliches Spiel treiben.

Die Thatsache, daß der Künstler zu einer mechanischen
Thätigkeit greift, sich der mühevollen Bearbeitung eines
Stoffes unterzieht, um ein Sichtbares herzustellen, läßt
sich nur erklären, wenn man eben bedenkt, wie unselbst¬
ständig und befangen die Sichtbarkeit der Natur bleibt,
so lange sie sich nur in Wahrnehmungen oder in einem
inneren Vorstellungsverlauf darstellt. Zunächst kann sich
nur in der Thätigkeit das Interesse an der Sichtbarkeit
eines Dinges so isoliren, daß die Vorstellung eines Gegen¬
standes, an dem die Sichtbarkeit erscheint, gänzlich schwindet
und diese letztere zu einer selbstständigen Form des Seins
wird. Der Künstler wird an sich die Erfahrung machen.
Je mehr und mehr er sich nicht mehr bloß mit dem Auge
oder mit der Einbildungskraft, sondern mit seiner ganzen
Person, mit der Empfindungsfähigkeit seines ganzen Kör¬
pers, mit der Thätigkeit seiner Hände in den Vorgang

ſtanz des realen Daſeins auf den flüchtigen Stoff der
Wahrnehmungen und Vorſtellungen eines einzelnen Sinnes
reducirt, verlieren wir den Boden der realen Welt unter
den Füßen; dadurch, daß wir ſelbſt an einer Wirklichkeits¬
geſtaltung mit keinem größeren Theil unſeres Organismus
betheiligt ſind, als erforderlich iſt, um jene Wahrneh¬
mungen und Vorſtellungen entſtehen zu laſſen, kommen
wir uns in unſerem eigenen Daſein herabgeſetzt und gleich¬
ſam darauf beſchränkt vor, der Schauplatz zu ſein, auf
dem geſpenſterhafte Bilder ſichtbarer Dinge entſtehen und
vergehen, in bunter wechſelvoller Menge ihr phantaſtiſch¬
willkürliches Spiel treiben.

Die Thatſache, daß der Künſtler zu einer mechaniſchen
Thätigkeit greift, ſich der mühevollen Bearbeitung eines
Stoffes unterzieht, um ein Sichtbares herzuſtellen, läßt
ſich nur erklären, wenn man eben bedenkt, wie unſelbſt¬
ſtändig und befangen die Sichtbarkeit der Natur bleibt,
ſo lange ſie ſich nur in Wahrnehmungen oder in einem
inneren Vorſtellungsverlauf darſtellt. Zunächſt kann ſich
nur in der Thätigkeit das Intereſſe an der Sichtbarkeit
eines Dinges ſo iſoliren, daß die Vorſtellung eines Gegen¬
ſtandes, an dem die Sichtbarkeit erſcheint, gänzlich ſchwindet
und dieſe letztere zu einer ſelbſtſtändigen Form des Seins
wird. Der Künſtler wird an ſich die Erfahrung machen.
Je mehr und mehr er ſich nicht mehr bloß mit dem Auge
oder mit der Einbildungskraft, ſondern mit ſeiner ganzen
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[128/0140] ſtanz des realen Daſeins auf den flüchtigen Stoff der Wahrnehmungen und Vorſtellungen eines einzelnen Sinnes reducirt, verlieren wir den Boden der realen Welt unter den Füßen; dadurch, daß wir ſelbſt an einer Wirklichkeits¬ geſtaltung mit keinem größeren Theil unſeres Organismus betheiligt ſind, als erforderlich iſt, um jene Wahrneh¬ mungen und Vorſtellungen entſtehen zu laſſen, kommen wir uns in unſerem eigenen Daſein herabgeſetzt und gleich¬ ſam darauf beſchränkt vor, der Schauplatz zu ſein, auf dem geſpenſterhafte Bilder ſichtbarer Dinge entſtehen und vergehen, in bunter wechſelvoller Menge ihr phantaſtiſch¬ willkürliches Spiel treiben. Die Thatſache, daß der Künſtler zu einer mechaniſchen Thätigkeit greift, ſich der mühevollen Bearbeitung eines Stoffes unterzieht, um ein Sichtbares herzuſtellen, läßt ſich nur erklären, wenn man eben bedenkt, wie unſelbſt¬ ſtändig und befangen die Sichtbarkeit der Natur bleibt, ſo lange ſie ſich nur in Wahrnehmungen oder in einem inneren Vorſtellungsverlauf darſtellt. Zunächſt kann ſich nur in der Thätigkeit das Intereſſe an der Sichtbarkeit eines Dinges ſo iſoliren, daß die Vorſtellung eines Gegen¬ ſtandes, an dem die Sichtbarkeit erſcheint, gänzlich ſchwindet und dieſe letztere zu einer ſelbſtſtändigen Form des Seins wird. Der Künſtler wird an ſich die Erfahrung machen. Je mehr und mehr er ſich nicht mehr bloß mit dem Auge oder mit der Einbildungskraft, ſondern mit ſeiner ganzen Perſon, mit der Empfindungsfähigkeit ſeines ganzen Kör¬ pers, mit der Thätigkeit ſeiner Hände in den Vorgang

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Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/140>, abgerufen am 16.05.2024.