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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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"Sind denn Gäste da?"

"Versteiht sich. Wat arme Lüd' sinn, na, de bliewen to Huus, awers Oll-Kunicke kümmt, un denn kümmt Orth ook. Un wenn Orth kümmt, denn kümmt ook Quaas un Mietzel. Geihen's man in. Se tempeln all wedder."



Eine Stunde später war der Reisende, Herr Szulski, der eigentlich ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den National-Polen erst mit dem polnischen Sammtrock sammt Schnüren und Knebelknöpfen angezogen hatte, der Mittelpunkt der kleinen, auch heute wieder in der Weinstube versammelten Tafelrunde. Das Geschäftliche war in Gegenwart von Quaas und Kunicke rasch abgemacht und die hochaufgelaufene Schuldsumme, ganz wie gewollt, durch Barzahlung und kleine Wechsel beglichen worden, was dem Pseudo-Polen, der eine so rasche Regulirung kaum erwartet haben mochte, Veranlassung gab, einiges von dem von seiner Firma gelieferten Ruster bringen zu lassen.

"Jch kenne die Jahrgänge, meine Herren, und bitt' um die Ehr'."

Die Bauern stutzten einen Augenblick, sich so zu Gaste geladen zu sehen, aber sich rasch erinnernd, daß einige von ihnen bis ganz vor Kurzem noch zu den Kunden der Krakauer Firma gehört hatten, sahen sie das Anerbieten schließlich als einen bloßen Geschäftsakt an, den man sich gefallen lassen könne. Was aber den Ausschlag gab, war, daß man durchaus von dem eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte, von Diebitsch und Paskewitsch, und vor allem, ob es nicht bald wieder losgehe.

Szulski, wenn irgendwer, mußte davon wissen.

Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte, war es ein paar Wochen vor Ausbruch der Jnsurrektion gewesen. Alles, was er damals als nah bevorstehend prophezeit hatte, war eingetroffen und lag jetzt zurück, Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt, welchem Sturme der zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski zum mindesten als Augenzeuge, vielleicht auch als Mitkämpfer (er ließ dies vorsichtig im Dunkel) beigewohnt hatte. Das alles traf sich trefflich für unsere Tschechiner, und Szulski, der als guter Weinreisender natürlich auch ein guter Erzähler war, schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen Heldenthaten, wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten, deren sich die Russen schuldig gemacht hatten. Eine Haus-Erstürmung in der Dlugastraße, just da, wo diese mit ihren zwei schmalen Ausläufern die Weichsel berührte, war dabei sein Paradepferd.

"Wie hieß die Straße?" fragte Mietzel, der nach Art aller verquienten Leute bei Kriegsgeschichten immer hochroth wurde.

"Dlugastraße," wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe. "Dluga, Herr Mietzel. Und das Eckhaus, um das es sich in meiner Geschichte handelt, stand dicht an der Weichsel, der Vorstadt Praga grad' gegenüber, und war von unseren Akademikern und Polytechnikern besetzt, das heißt von den Wenigen, die von ihnen noch übrig waren, denn die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde. Gleichviel indeß, was von ihnen noch lebte, das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen Hause, von Treppe zu Treppe bis unters Dach. Auf dem abgedeckten Dach aber befanden sich Frauen und Kinder, die sich hier hinter Balkenlagen verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten. Als nun die Russen, es war das Regiment Kaluga, bis dicht heran waren, rührten sie die Trommel zum Angriff. Und so stürmten sie dreimal, immer umsonst, immer mit schwerem Verlust, so dicht fiel der Steinhagel auf sie nieder. Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Thür, stießen sie mit Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf. Jmmer höher zogen sich unsere Tapfern zurück, bis sie zuletzt, mit den Frauen und Kindern und im bunten Durcheinander mit diesen, auf dem abgedeckten Dache standen. Da sah ich jeden Einzelnen so deutlich vor mir, wie ich Sie jetzt sehe, Bauer Mietzel!" - dieser fuhr zurück - "denn ich hatte meine Wohnung in dem Hause gegenüber und sah, wie sie die Konfederatka schwenkten, und hörte, wie sie unser Lied sangen: ,Noch ist Polen nicht verloren.' Und bei meiner Ehre, hier, an dieser Stelle, hätten sie sich trotz aller Uebermacht des Feindes gehalten, wenn nicht plötzlich, von der Seite her, ein Hämmern und Schlagen hörbar geworden wäre, ein Hämmern und Schlagen sag' ich, wie von Aexten und Beilen."

"Wie? Was? Von Aexten und Beilen?" wiederholte Mietzel, dem sein bischen Haar nachgerade zu Berge stand. "Was war es?"

"Ja, was war es? Vom Nachbarhause her ging man vor; jetzt war ein Loch da, jetzt eine Bresche, und durch die Bresche hin drang das russische Regiment auf den Dachboden vor. Was ich da gesehen habe, spottet jeder Beschreibung. Wer einfach niedergeschossen wurde, konnte von Glück sagen, die meisten aber wurden durch einen Bajonettstoß auf die Straße geschleudert. Es war ein Graus, meine Herren. Eine Frau wartete das Massacre, ja, vielleicht Schimpf und Entehrung (denn dergleichen ist vorgekommen) nicht erst ab; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und stürzte sich mit ihnen in den Fluß."

"Alle Wetter," sagte Kunicke, "das ist stark! Jch habe doch auch ein Stück Krieg mitgemacht und weiß wohl, wo man Holz fällt, fallen Spähne. So war es bei Möckern, und ich sehe noch unsren alten Krosigk, wie der den Marinekaptän über den Haufen stach, und wie dann das Kolbenschlagen losging, bis alle dalagen. Aber Frauen und Kinder! Alle Wetter, Szulski, das is scharf. Js es denn auch wahr?"

"Ob es wahr ist? Verzeihung, aber ich bin kein Aufschneider, Herr Kunicke. Kein Pole schneidet auf, das verachtet er. Und ich auch. Aber was ich gesehn habe, das hab' ich gesehn, und eine Thatsache bleibt eine Thatsache, sie sei, wie sie sei. Die Dame, die da heruntersprang (und ich schwör' Jhnen, meine Herren, es war eine Dame), war eine schöne Frau, keine 36, und so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich hätt' ihr was Bessres gewünscht, als diese naßkalte Weichsel."

Kunicke schmunzelte, während der neben anderen Schwächen und Leiden auch an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin konnte, seiner nervösen Erregtheit plötzlich eine ganz neue Richtung zu geben. Szulski selbst aber war viel zu sehr von sich und seiner Geschichte durchdrungen, um nebenher noch zu Zweideutigkeiten Zeit zu haben, und fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: "Eine schöne Frau, sagt' ich, und hingemordet. Und was das Schlimmste dabei, nicht hingemordet durch den Feind, nein, durch uns selbst; hingemordet, weil wir verrathen waren. Hätte man uns freie Hand gelassen, kein Russe wäre je über die Weichsel gekommen. Das Volk war gut, Bürger und Bauer waren gut, alles einig, alles da mit Gut und Blut. Aber der Adel! Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge verschachert, bloß weil er an sein Geld und seine Güter dachte. Und wenn der Mensch erst an sein Geld denkt, ist er verloren."

"Kann ich nicht zugeben," sagte Kunicke. "Jeder denkt an sein Geld. Alle Wetter, Szulski, das sollt' unsrem Hradscheck schon gefallen, wenn der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn alle November hier vorspräch' und nie an Geld dächte. Nicht wahr, Hradscheck, da ließe sich bald auf einen grünen Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder Schwägerin zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden."

"Ah, Erbschaft," wiederholte Szulski. "So, so; da her. Nun, gratuliere. Habe neulich auch einen Brocken geerbt und in Lemberg angelegt. Lemberg ist besser als Krakau. Ja, das muß wahr sein, Erbschaft ist die beste Art zu Gelde zu kommen, die beste und eigentlich auch die anständigste ..."

"Und namentlich auch die leichteste," bestätigte Kunicke. "Ja, das liebe Geld. Und wenn's viel ist, das heißt sehr viel, dann darf man auch dran denken! Nicht wahr, Szulski?"

"Natürlich," lachte dieser. "Natürlich, wenn's viel ist. Aber, Bauer Kunicke, denken und denken ist ein Unterschied. Man muß wissen, daß man's hat, soviel ist richtig, das ist gut und ein angenehmes Gefühl und stört nicht ..."

"Nein, nein, stört nicht."

"Aber meine Herren, ich muß es wiederholen, denken und denken ist ein Unterschied. An Geld immer denken, bei Tag und bei Nacht, das ist soviel, wie sich immer drum ängstigen. Und ängstigen soll man sich nicht. Wer auf Reisen ist und immer an seine Frau denkt, der ängstigt sich um seine Frau."

"Freilich," schrie Kunicke. "Quaas ängstigt sich auch immer."

Alle lachten unbändig, und nur Szulski selbst, der auch darin durchaus Anekdoten- und Geschichten-Erzähler von Fach war, daß er sich nicht gern unterbrechen ließ, fuhr mit allem erdenklichen Ernste fort: "Und wie mit der Frau, meine Herren, so mit dem Geld. Nur nicht ängstlich; haben muß man's, aber man muß nicht ewig

„Sind denn Gäste da?“

„Versteiht sich. Wat arme Lüd’ sinn, na, de bliewen to Huus, awers Oll-Kunicke kümmt, un denn kümmt Orth ook. Un wenn Orth kümmt, denn kümmt ook Quaas un Mietzel. Geihen’s man in. Se tempeln all wedder.“



Eine Stunde später war der Reisende, Herr Szulski, der eigentlich ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den National-Polen erst mit dem polnischen Sammtrock sammt Schnüren und Knebelknöpfen angezogen hatte, der Mittelpunkt der kleinen, auch heute wieder in der Weinstube versammelten Tafelrunde. Das Geschäftliche war in Gegenwart von Quaas und Kunicke rasch abgemacht und die hochaufgelaufene Schuldsumme, ganz wie gewollt, durch Barzahlung und kleine Wechsel beglichen worden, was dem Pseudo-Polen, der eine so rasche Regulirung kaum erwartet haben mochte, Veranlassung gab, einiges von dem von seiner Firma gelieferten Ruster bringen zu lassen.

„Jch kenne die Jahrgänge, meine Herren, und bitt’ um die Ehr’.“

Die Bauern stutzten einen Augenblick, sich so zu Gaste geladen zu sehen, aber sich rasch erinnernd, daß einige von ihnen bis ganz vor Kurzem noch zu den Kunden der Krakauer Firma gehört hatten, sahen sie das Anerbieten schließlich als einen bloßen Geschäftsakt an, den man sich gefallen lassen könne. Was aber den Ausschlag gab, war, daß man durchaus von dem eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte, von Diebitsch und Paskewitsch, und vor allem, ob es nicht bald wieder losgehe.

Szulski, wenn irgendwer, mußte davon wissen.

Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte, war es ein paar Wochen vor Ausbruch der Jnsurrektion gewesen. Alles, was er damals als nah bevorstehend prophezeit hatte, war eingetroffen und lag jetzt zurück, Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt, welchem Sturme der zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski zum mindesten als Augenzeuge, vielleicht auch als Mitkämpfer (er ließ dies vorsichtig im Dunkel) beigewohnt hatte. Das alles traf sich trefflich für unsere Tschechiner, und Szulski, der als guter Weinreisender natürlich auch ein guter Erzähler war, schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen Heldenthaten, wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten, deren sich die Russen schuldig gemacht hatten. Eine Haus–Erstürmung in der Dlugastraße, just da, wo diese mit ihren zwei schmalen Ausläufern die Weichsel berührte, war dabei sein Paradepferd.

„Wie hieß die Straße?“ fragte Mietzel, der nach Art aller verquienten Leute bei Kriegsgeschichten immer hochroth wurde.

„Dlugastraße,“ wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe. „Dluga, Herr Mietzel. Und das Eckhaus, um das es sich in meiner Geschichte handelt, stand dicht an der Weichsel, der Vorstadt Praga grad’ gegenüber, und war von unseren Akademikern und Polytechnikern besetzt, das heißt von den Wenigen, die von ihnen noch übrig waren, denn die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde. Gleichviel indeß, was von ihnen noch lebte, das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen Hause, von Treppe zu Treppe bis unters Dach. Auf dem abgedeckten Dach aber befanden sich Frauen und Kinder, die sich hier hinter Balkenlagen verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten. Als nun die Russen, es war das Regiment Kaluga, bis dicht heran waren, rührten sie die Trommel zum Angriff. Und so stürmten sie dreimal, immer umsonst, immer mit schwerem Verlust, so dicht fiel der Steinhagel auf sie nieder. Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Thür, stießen sie mit Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf. Jmmer höher zogen sich unsere Tapfern zurück, bis sie zuletzt, mit den Frauen und Kindern und im bunten Durcheinander mit diesen, auf dem abgedeckten Dache standen. Da sah ich jeden Einzelnen so deutlich vor mir, wie ich Sie jetzt sehe, Bauer Mietzel!“ – dieser fuhr zurück – „denn ich hatte meine Wohnung in dem Hause gegenüber und sah, wie sie die Konfederatka schwenkten, und hörte, wie sie unser Lied sangen: ‚Noch ist Polen nicht verloren.‘ Und bei meiner Ehre, hier, an dieser Stelle, hätten sie sich trotz aller Uebermacht des Feindes gehalten, wenn nicht plötzlich, von der Seite her, ein Hämmern und Schlagen hörbar geworden wäre, ein Hämmern und Schlagen sag’ ich, wie von Aexten und Beilen.“

„Wie? Was? Von Aexten und Beilen?“ wiederholte Mietzel, dem sein bischen Haar nachgerade zu Berge stand. „Was war es?“

„Ja, was war es? Vom Nachbarhause her ging man vor; jetzt war ein Loch da, jetzt eine Bresche, und durch die Bresche hin drang das russische Regiment auf den Dachboden vor. Was ich da gesehen habe, spottet jeder Beschreibung. Wer einfach niedergeschossen wurde, konnte von Glück sagen, die meisten aber wurden durch einen Bajonettstoß auf die Straße geschleudert. Es war ein Graus, meine Herren. Eine Frau wartete das Massacre, ja, vielleicht Schimpf und Entehrung (denn dergleichen ist vorgekommen) nicht erst ab; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und stürzte sich mit ihnen in den Fluß.“

„Alle Wetter,“ sagte Kunicke, „das ist stark! Jch habe doch auch ein Stück Krieg mitgemacht und weiß wohl, wo man Holz fällt, fallen Spähne. So war es bei Möckern, und ich sehe noch unsren alten Krosigk, wie der den Marinekaptän über den Haufen stach, und wie dann das Kolbenschlagen losging, bis alle dalagen. Aber Frauen und Kinder! Alle Wetter, Szulski, das is scharf. Js es denn auch wahr?“

„Ob es wahr ist? Verzeihung, aber ich bin kein Aufschneider, Herr Kunicke. Kein Pole schneidet auf, das verachtet er. Und ich auch. Aber was ich gesehn habe, das hab’ ich gesehn, und eine Thatsache bleibt eine Thatsache, sie sei, wie sie sei. Die Dame, die da heruntersprang (und ich schwör’ Jhnen, meine Herren, es war eine Dame), war eine schöne Frau, keine 36, und so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich hätt’ ihr was Bessres gewünscht, als diese naßkalte Weichsel.“

Kunicke schmunzelte, während der neben anderen Schwächen und Leiden auch an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin konnte, seiner nervösen Erregtheit plötzlich eine ganz neue Richtung zu geben. Szulski selbst aber war viel zu sehr von sich und seiner Geschichte durchdrungen, um nebenher noch zu Zweideutigkeiten Zeit zu haben, und fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: „Eine schöne Frau, sagt’ ich, und hingemordet. Und was das Schlimmste dabei, nicht hingemordet durch den Feind, nein, durch uns selbst; hingemordet, weil wir verrathen waren. Hätte man uns freie Hand gelassen, kein Russe wäre je über die Weichsel gekommen. Das Volk war gut, Bürger und Bauer waren gut, alles einig, alles da mit Gut und Blut. Aber der Adel! Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge verschachert, bloß weil er an sein Geld und seine Güter dachte. Und wenn der Mensch erst an sein Geld denkt, ist er verloren.“

„Kann ich nicht zugeben,“ sagte Kunicke. „Jeder denkt an sein Geld. Alle Wetter, Szulski, das sollt’ unsrem Hradscheck schon gefallen, wenn der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn alle November hier vorspräch’ und nie an Geld dächte. Nicht wahr, Hradscheck, da ließe sich bald auf einen grünen Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder Schwägerin zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden.“

„Ah, Erbschaft,“ wiederholte Szulski. „So, so; da her. Nun, gratuliere. Habe neulich auch einen Brocken geerbt und in Lemberg angelegt. Lemberg ist besser als Krakau. Ja, das muß wahr sein, Erbschaft ist die beste Art zu Gelde zu kommen, die beste und eigentlich auch die anständigste …“

„Und namentlich auch die leichteste,“ bestätigte Kunicke. „Ja, das liebe Geld. Und wenn’s viel ist, das heißt sehr viel, dann darf man auch dran denken! Nicht wahr, Szulski?“

„Natürlich,“ lachte dieser. „Natürlich, wenn’s viel ist. Aber, Bauer Kunicke, denken und denken ist ein Unterschied. Man muß wissen, daß man’s hat, soviel ist richtig, das ist gut und ein angenehmes Gefühl und stört nicht …“

„Nein, nein, stört nicht.“

„Aber meine Herren, ich muß es wiederholen, denken und denken ist ein Unterschied. An Geld immer denken, bei Tag und bei Nacht, das ist soviel, wie sich immer drum ängstigen. Und ängstigen soll man sich nicht. Wer auf Reisen ist und immer an seine Frau denkt, der ängstigt sich um seine Frau.“

„Freilich,“ schrie Kunicke. „Quaas ängstigt sich auch immer.“

Alle lachten unbändig, und nur Szulski selbst, der auch darin durchaus Anekdoten- und Geschichten-Erzähler von Fach war, daß er sich nicht gern unterbrechen ließ, fuhr mit allem erdenklichen Ernste fort: „Und wie mit der Frau, meine Herren, so mit dem Geld. Nur nicht ängstlich; haben muß man’s, aber man muß nicht ewig

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[566/0012] „Sind denn Gäste da?“ „Versteiht sich. Wat arme Lüd’ sinn, na, de bliewen to Huus, awers Oll-Kunicke kümmt, un denn kümmt Orth ook. Un wenn Orth kümmt, denn kümmt ook Quaas un Mietzel. Geihen’s man in. Se tempeln all wedder.“ Eine Stunde später war der Reisende, Herr Szulski, der eigentlich ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den National-Polen erst mit dem polnischen Sammtrock sammt Schnüren und Knebelknöpfen angezogen hatte, der Mittelpunkt der kleinen, auch heute wieder in der Weinstube versammelten Tafelrunde. Das Geschäftliche war in Gegenwart von Quaas und Kunicke rasch abgemacht und die hochaufgelaufene Schuldsumme, ganz wie gewollt, durch Barzahlung und kleine Wechsel beglichen worden, was dem Pseudo-Polen, der eine so rasche Regulirung kaum erwartet haben mochte, Veranlassung gab, einiges von dem von seiner Firma gelieferten Ruster bringen zu lassen. „Jch kenne die Jahrgänge, meine Herren, und bitt’ um die Ehr’.“ Die Bauern stutzten einen Augenblick, sich so zu Gaste geladen zu sehen, aber sich rasch erinnernd, daß einige von ihnen bis ganz vor Kurzem noch zu den Kunden der Krakauer Firma gehört hatten, sahen sie das Anerbieten schließlich als einen bloßen Geschäftsakt an, den man sich gefallen lassen könne. Was aber den Ausschlag gab, war, daß man durchaus von dem eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte, von Diebitsch und Paskewitsch, und vor allem, ob es nicht bald wieder losgehe. Szulski, wenn irgendwer, mußte davon wissen. Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte, war es ein paar Wochen vor Ausbruch der Jnsurrektion gewesen. Alles, was er damals als nah bevorstehend prophezeit hatte, war eingetroffen und lag jetzt zurück, Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt, welchem Sturme der zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski zum mindesten als Augenzeuge, vielleicht auch als Mitkämpfer (er ließ dies vorsichtig im Dunkel) beigewohnt hatte. Das alles traf sich trefflich für unsere Tschechiner, und Szulski, der als guter Weinreisender natürlich auch ein guter Erzähler war, schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen Heldenthaten, wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten, deren sich die Russen schuldig gemacht hatten. Eine Haus–Erstürmung in der Dlugastraße, just da, wo diese mit ihren zwei schmalen Ausläufern die Weichsel berührte, war dabei sein Paradepferd. „Wie hieß die Straße?“ fragte Mietzel, der nach Art aller verquienten Leute bei Kriegsgeschichten immer hochroth wurde. „Dlugastraße,“ wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe. „Dluga, Herr Mietzel. Und das Eckhaus, um das es sich in meiner Geschichte handelt, stand dicht an der Weichsel, der Vorstadt Praga grad’ gegenüber, und war von unseren Akademikern und Polytechnikern besetzt, das heißt von den Wenigen, die von ihnen noch übrig waren, denn die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde. Gleichviel indeß, was von ihnen noch lebte, das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen Hause, von Treppe zu Treppe bis unters Dach. Auf dem abgedeckten Dach aber befanden sich Frauen und Kinder, die sich hier hinter Balkenlagen verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten. Als nun die Russen, es war das Regiment Kaluga, bis dicht heran waren, rührten sie die Trommel zum Angriff. Und so stürmten sie dreimal, immer umsonst, immer mit schwerem Verlust, so dicht fiel der Steinhagel auf sie nieder. Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Thür, stießen sie mit Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf. Jmmer höher zogen sich unsere Tapfern zurück, bis sie zuletzt, mit den Frauen und Kindern und im bunten Durcheinander mit diesen, auf dem abgedeckten Dache standen. Da sah ich jeden Einzelnen so deutlich vor mir, wie ich Sie jetzt sehe, Bauer Mietzel!“ – dieser fuhr zurück – „denn ich hatte meine Wohnung in dem Hause gegenüber und sah, wie sie die Konfederatka schwenkten, und hörte, wie sie unser Lied sangen: ‚Noch ist Polen nicht verloren.‘ Und bei meiner Ehre, hier, an dieser Stelle, hätten sie sich trotz aller Uebermacht des Feindes gehalten, wenn nicht plötzlich, von der Seite her, ein Hämmern und Schlagen hörbar geworden wäre, ein Hämmern und Schlagen sag’ ich, wie von Aexten und Beilen.“ „Wie? Was? Von Aexten und Beilen?“ wiederholte Mietzel, dem sein bischen Haar nachgerade zu Berge stand. „Was war es?“ „Ja, was war es? Vom Nachbarhause her ging man vor; jetzt war ein Loch da, jetzt eine Bresche, und durch die Bresche hin drang das russische Regiment auf den Dachboden vor. Was ich da gesehen habe, spottet jeder Beschreibung. Wer einfach niedergeschossen wurde, konnte von Glück sagen, die meisten aber wurden durch einen Bajonettstoß auf die Straße geschleudert. Es war ein Graus, meine Herren. Eine Frau wartete das Massacre, ja, vielleicht Schimpf und Entehrung (denn dergleichen ist vorgekommen) nicht erst ab; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und stürzte sich mit ihnen in den Fluß.“ „Alle Wetter,“ sagte Kunicke, „das ist stark! Jch habe doch auch ein Stück Krieg mitgemacht und weiß wohl, wo man Holz fällt, fallen Spähne. So war es bei Möckern, und ich sehe noch unsren alten Krosigk, wie der den Marinekaptän über den Haufen stach, und wie dann das Kolbenschlagen losging, bis alle dalagen. Aber Frauen und Kinder! Alle Wetter, Szulski, das is scharf. Js es denn auch wahr?“ „Ob es wahr ist? Verzeihung, aber ich bin kein Aufschneider, Herr Kunicke. Kein Pole schneidet auf, das verachtet er. Und ich auch. Aber was ich gesehn habe, das hab’ ich gesehn, und eine Thatsache bleibt eine Thatsache, sie sei, wie sie sei. Die Dame, die da heruntersprang (und ich schwör’ Jhnen, meine Herren, es war eine Dame), war eine schöne Frau, keine 36, und so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich hätt’ ihr was Bessres gewünscht, als diese naßkalte Weichsel.“ Kunicke schmunzelte, während der neben anderen Schwächen und Leiden auch an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin konnte, seiner nervösen Erregtheit plötzlich eine ganz neue Richtung zu geben. Szulski selbst aber war viel zu sehr von sich und seiner Geschichte durchdrungen, um nebenher noch zu Zweideutigkeiten Zeit zu haben, und fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: „Eine schöne Frau, sagt’ ich, und hingemordet. Und was das Schlimmste dabei, nicht hingemordet durch den Feind, nein, durch uns selbst; hingemordet, weil wir verrathen waren. Hätte man uns freie Hand gelassen, kein Russe wäre je über die Weichsel gekommen. Das Volk war gut, Bürger und Bauer waren gut, alles einig, alles da mit Gut und Blut. Aber der Adel! Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge verschachert, bloß weil er an sein Geld und seine Güter dachte. Und wenn der Mensch erst an sein Geld denkt, ist er verloren.“ „Kann ich nicht zugeben,“ sagte Kunicke. „Jeder denkt an sein Geld. Alle Wetter, Szulski, das sollt’ unsrem Hradscheck schon gefallen, wenn der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn alle November hier vorspräch’ und nie an Geld dächte. Nicht wahr, Hradscheck, da ließe sich bald auf einen grünen Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder Schwägerin zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden.“ „Ah, Erbschaft,“ wiederholte Szulski. „So, so; da her. Nun, gratuliere. Habe neulich auch einen Brocken geerbt und in Lemberg angelegt. Lemberg ist besser als Krakau. Ja, das muß wahr sein, Erbschaft ist die beste Art zu Gelde zu kommen, die beste und eigentlich auch die anständigste …“ „Und namentlich auch die leichteste,“ bestätigte Kunicke. „Ja, das liebe Geld. Und wenn’s viel ist, das heißt sehr viel, dann darf man auch dran denken! Nicht wahr, Szulski?“ „Natürlich,“ lachte dieser. „Natürlich, wenn’s viel ist. Aber, Bauer Kunicke, denken und denken ist ein Unterschied. Man muß wissen, daß man’s hat, soviel ist richtig, das ist gut und ein angenehmes Gefühl und stört nicht …“ „Nein, nein, stört nicht.“ „Aber meine Herren, ich muß es wiederholen, denken und denken ist ein Unterschied. An Geld immer denken, bei Tag und bei Nacht, das ist soviel, wie sich immer drum ängstigen. Und ängstigen soll man sich nicht. Wer auf Reisen ist und immer an seine Frau denkt, der ängstigt sich um seine Frau.“ „Freilich,“ schrie Kunicke. „Quaas ängstigt sich auch immer.“ Alle lachten unbändig, und nur Szulski selbst, der auch darin durchaus Anekdoten- und Geschichten-Erzähler von Fach war, daß er sich nicht gern unterbrechen ließ, fuhr mit allem erdenklichen Ernste fort: „Und wie mit der Frau, meine Herren, so mit dem Geld. Nur nicht ängstlich; haben muß man’s, aber man muß nicht ewig

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/12>, abgerufen am 21.11.2024.