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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Klöden hat den früheren Zustand dieser Luchgegenden sehr
schön und mit poetischer Anschaulichkeit geschildert. Er schreibt:
"es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur sie gebildet
hatte, ein Seitenstück zu den Urwäldern Südamerika's, nur kleiner
und nicht Wald, sondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus-
dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen.
Weit und breit bedeckte ein Rasen aus zusammengefilzter Wurzel-
decke von bräunlich-grüner Farbe die wassergleiche Ebene, deren
kurze Grashalme besonders den Riedgräsern angehören. In jedem
Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwasser
auf, die Rasendecke hob sich in die Höhe, bildete eine schwimmende,
elastische Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einsank,
während sich ringsum ein flach trichterförmig ansteigender Abhang
bildete. Andere Stellen, die sich nicht in die Höhe heben konnten,
sogenannte Lanken, wurden überschwemmt, und so glich das Luch
in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Rasen-
stellen wie grüne, schwimmende Inseln hervorragten, während an
anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüsch sich im Wasser
spiegelten, oder da, wo sie auf einzelnen Sandhügeln, den soge-
nannten Horsten, gewachsen waren, kleine Wald-Eilande darstell-
ten. Solcher Horsten gab es mehrere, von denen einige mitten im
Havelländischen Luche lagen. Die umliegenden Ortschaften versuchten
es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß sie ihre
Kühe darin weiden ließen und das freilich schlechte und saure
Gras, so gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh-
seligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken
schwimmen, um Grasstellen zu finden, oder es sank in die weiche
Decke tief ein, zertrat dieselbe, daß bei jedem Fußtritt der braune
Moderschlamm hervorquoll, ja daß es sich oft nur mit großer
Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraste
stecken und ward nach unsäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank
wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu schwer hielt, an dem
Orte, wo sie versunken war, geschlachtet und zerstückt heraus-
getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung

Klöden hat den früheren Zuſtand dieſer Luchgegenden ſehr
ſchön und mit poetiſcher Anſchaulichkeit geſchildert. Er ſchreibt:
„es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur ſie gebildet
hatte, ein Seitenſtück zu den Urwäldern Südamerika’s, nur kleiner
und nicht Wald, ſondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus-
dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen.
Weit und breit bedeckte ein Raſen aus zuſammengefilzter Wurzel-
decke von bräunlich-grüner Farbe die waſſergleiche Ebene, deren
kurze Grashalme beſonders den Riedgräſern angehören. In jedem
Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwaſſer
auf, die Raſendecke hob ſich in die Höhe, bildete eine ſchwimmende,
elaſtiſche Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einſank,
während ſich ringsum ein flach trichterförmig anſteigender Abhang
bildete. Andere Stellen, die ſich nicht in die Höhe heben konnten,
ſogenannte Lanken, wurden überſchwemmt, und ſo glich das Luch
in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Raſen-
ſtellen wie grüne, ſchwimmende Inſeln hervorragten, während an
anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüſch ſich im Waſſer
ſpiegelten, oder da, wo ſie auf einzelnen Sandhügeln, den ſoge-
nannten Horſten, gewachſen waren, kleine Wald-Eilande darſtell-
ten. Solcher Horſten gab es mehrere, von denen einige mitten im
Havelländiſchen Luche lagen. Die umliegenden Ortſchaften verſuchten
es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß ſie ihre
Kühe darin weiden ließen und das freilich ſchlechte und ſaure
Gras, ſo gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh-
ſeligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken
ſchwimmen, um Grasſtellen zu finden, oder es ſank in die weiche
Decke tief ein, zertrat dieſelbe, daß bei jedem Fußtritt der braune
Moderſchlamm hervorquoll, ja daß es ſich oft nur mit großer
Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraſte
ſtecken und ward nach unſäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank
wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu ſchwer hielt, an dem
Orte, wo ſie verſunken war, geſchlachtet und zerſtückt heraus-
getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung

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[174/0192] Klöden hat den früheren Zuſtand dieſer Luchgegenden ſehr ſchön und mit poetiſcher Anſchaulichkeit geſchildert. Er ſchreibt: „es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur ſie gebildet hatte, ein Seitenſtück zu den Urwäldern Südamerika’s, nur kleiner und nicht Wald, ſondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus- dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen. Weit und breit bedeckte ein Raſen aus zuſammengefilzter Wurzel- decke von bräunlich-grüner Farbe die waſſergleiche Ebene, deren kurze Grashalme beſonders den Riedgräſern angehören. In jedem Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwaſſer auf, die Raſendecke hob ſich in die Höhe, bildete eine ſchwimmende, elaſtiſche Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einſank, während ſich ringsum ein flach trichterförmig anſteigender Abhang bildete. Andere Stellen, die ſich nicht in die Höhe heben konnten, ſogenannte Lanken, wurden überſchwemmt, und ſo glich das Luch in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Raſen- ſtellen wie grüne, ſchwimmende Inſeln hervorragten, während an anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüſch ſich im Waſſer ſpiegelten, oder da, wo ſie auf einzelnen Sandhügeln, den ſoge- nannten Horſten, gewachſen waren, kleine Wald-Eilande darſtell- ten. Solcher Horſten gab es mehrere, von denen einige mitten im Havelländiſchen Luche lagen. Die umliegenden Ortſchaften verſuchten es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß ſie ihre Kühe darin weiden ließen und das freilich ſchlechte und ſaure Gras, ſo gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh- ſeligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken ſchwimmen, um Grasſtellen zu finden, oder es ſank in die weiche Decke tief ein, zertrat dieſelbe, daß bei jedem Fußtritt der braune Moderſchlamm hervorquoll, ja daß es ſich oft nur mit großer Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraſte ſtecken und ward nach unſäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu ſchwer hielt, an dem Orte, wo ſie verſunken war, geſchlachtet und zerſtückt heraus- getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/192>, abgerufen am 26.05.2024.