Wir haben die Feldsteinbrücke passirt und die Gasse führt uns an freundlichen Wohnungen vorbei bis in die Mitte des Dorfs. Hier begegnen wir endlich auch dem Anblick, den Herz und Auge seit einer halben Stunde herbeigewünscht haben. Krippen lehnen sich an die Wand, ein Planwagen steht zur Seite, auf dem ein Spitz die Wache hält, und von der Thür des Hauses her grüßt uns das Wörtchen "Gasthaus" mit seinem einladenden Klang. Die Stufen führen uns in den Flur und der Flur in die Küche. Auf dem großen Herde loht es und knistert es, und das Wasser, das überkocht, fährt zischend in die Flamme. Wir zählen im Nu sieben Töpfe, die sich dicht um die Flamme gruppiren, und un- klare Vorstellungen von einem "hier ist es gut sein" ziehen durch unser Gemüth. Wir tragen der Wirthin unser Anliegen vor: ein Abendbrod, ein Zimmer, ein paar Betten, und verfolgen nicht ohne Bangen den Ausdruck der Verlegenheit, der auf dem freundlichen Gesicht der jungen Frau den Vortrag unserer Wünsche begleitet. Die Verlegenheit findet endlich Worte. Ein Abendbrod wird zu beschaffen sein, aber Zimmer und Betten sind vergeben; anderer Besuch kam uns zuvor. Wir bitten und beschwören, alles vergeb- lich; endlich führen wir die letzten Reserven unserer Liebenswür- digkeit in's Feld und der verzweifelte Stand unserer Angelegen- heiten bessert sich wenigstens in so weit, daß uns ein Strohlager und zwei Deckbetten zugestanden werden. Ultra posse nemo obligatur; wir danken der Wirthin für ihren guten Willen, be- urlauben uns auf eine halbe Stunde und machen unsern ersten Gang in den Park.
Die Zeit des Sonnenuntergangs und die Dämmerungsviertel- stunde, die ihm folgt, ist gewiß die geeignetste, diesen schönen Park zu durchschreiten. Die grauen Schleier des Abends sind es, die ihm kleiden. Es giebt andere Parks, die man bei Sonnenlicht be- suchen muß. Wo Springquellen hoch in die Luft steigen und des Lichts bedürfen, um in Farben zu schillern, wo Blumenstücke in den Rasen eingewoben sind oder Statuen in den grünen Nischen stehen, da ist es gerathen, in Morgenfrühe auf und ab zu schrei-
Wir haben die Feldſteinbrücke paſſirt und die Gaſſe führt uns an freundlichen Wohnungen vorbei bis in die Mitte des Dorfs. Hier begegnen wir endlich auch dem Anblick, den Herz und Auge ſeit einer halben Stunde herbeigewünſcht haben. Krippen lehnen ſich an die Wand, ein Planwagen ſteht zur Seite, auf dem ein Spitz die Wache hält, und von der Thür des Hauſes her grüßt uns das Wörtchen „Gaſthaus“ mit ſeinem einladenden Klang. Die Stufen führen uns in den Flur und der Flur in die Küche. Auf dem großen Herde loht es und kniſtert es, und das Waſſer, das überkocht, fährt ziſchend in die Flamme. Wir zählen im Nu ſieben Töpfe, die ſich dicht um die Flamme gruppiren, und un- klare Vorſtellungen von einem „hier iſt es gut ſein“ ziehen durch unſer Gemüth. Wir tragen der Wirthin unſer Anliegen vor: ein Abendbrod, ein Zimmer, ein paar Betten, und verfolgen nicht ohne Bangen den Ausdruck der Verlegenheit, der auf dem freundlichen Geſicht der jungen Frau den Vortrag unſerer Wünſche begleitet. Die Verlegenheit findet endlich Worte. Ein Abendbrod wird zu beſchaffen ſein, aber Zimmer und Betten ſind vergeben; anderer Beſuch kam uns zuvor. Wir bitten und beſchwören, alles vergeb- lich; endlich führen wir die letzten Reſerven unſerer Liebenswür- digkeit in’s Feld und der verzweifelte Stand unſerer Angelegen- heiten beſſert ſich wenigſtens in ſo weit, daß uns ein Strohlager und zwei Deckbetten zugeſtanden werden. Ultra posse nemo obligatur; wir danken der Wirthin für ihren guten Willen, be- urlauben uns auf eine halbe Stunde und machen unſern erſten Gang in den Park.
Die Zeit des Sonnenuntergangs und die Dämmerungsviertel- ſtunde, die ihm folgt, iſt gewiß die geeignetſte, dieſen ſchönen Park zu durchſchreiten. Die grauen Schleier des Abends ſind es, die ihm kleiden. Es giebt andere Parks, die man bei Sonnenlicht be- ſuchen muß. Wo Springquellen hoch in die Luft ſteigen und des Lichts bedürfen, um in Farben zu ſchillern, wo Blumenſtücke in den Raſen eingewoben ſind oder Statuen in den grünen Niſchen ſtehen, da iſt es gerathen, in Morgenfrühe auf und ab zu ſchrei-
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Wir haben die Feldſteinbrücke paſſirt und die Gaſſe führt
uns an freundlichen Wohnungen vorbei bis in die Mitte des
Dorfs. Hier begegnen wir endlich auch dem Anblick, den Herz und
Auge ſeit einer halben Stunde herbeigewünſcht haben. Krippen
lehnen ſich an die Wand, ein Planwagen ſteht zur Seite, auf dem
ein Spitz die Wache hält, und von der Thür des Hauſes her
grüßt uns das Wörtchen „Gaſthaus“ mit ſeinem einladenden Klang.
Die Stufen führen uns in den Flur und der Flur in die Küche.
Auf dem großen Herde loht es und kniſtert es, und das Waſſer,
das überkocht, fährt ziſchend in die Flamme. Wir zählen im Nu
ſieben Töpfe, die ſich dicht um die Flamme gruppiren, und un-
klare Vorſtellungen von einem „hier iſt es gut ſein“ ziehen durch
unſer Gemüth. Wir tragen der Wirthin unſer Anliegen vor: ein
Abendbrod, ein Zimmer, ein paar Betten, und verfolgen nicht ohne
Bangen den Ausdruck der Verlegenheit, der auf dem freundlichen
Geſicht der jungen Frau den Vortrag unſerer Wünſche begleitet.
Die Verlegenheit findet endlich Worte. Ein Abendbrod wird zu
beſchaffen ſein, aber Zimmer und Betten ſind vergeben; anderer
Beſuch kam uns zuvor. Wir bitten und beſchwören, alles vergeb-
lich; endlich führen wir die letzten Reſerven unſerer Liebenswür-
digkeit in’s Feld und der verzweifelte Stand unſerer Angelegen-
heiten beſſert ſich wenigſtens in ſo weit, daß uns ein Strohlager
und zwei Deckbetten zugeſtanden werden. Ultra posse nemo
obligatur; wir danken der Wirthin für ihren guten Willen, be-
urlauben uns auf eine halbe Stunde und machen unſern erſten
Gang in den Park.
Die Zeit des Sonnenuntergangs und die Dämmerungsviertel-
ſtunde, die ihm folgt, iſt gewiß die geeignetſte, dieſen ſchönen Park
zu durchſchreiten. Die grauen Schleier des Abends ſind es, die
ihm kleiden. Es giebt andere Parks, die man bei Sonnenlicht be-
ſuchen muß. Wo Springquellen hoch in die Luft ſteigen und des
Lichts bedürfen, um in Farben zu ſchillern, wo Blumenſtücke in
den Raſen eingewoben ſind oder Statuen in den grünen Niſchen
ſtehen, da iſt es gerathen, in Morgenfrühe auf und ab zu ſchrei-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/254>, abgerufen am 23.11.2024.
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