Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Strohdächer mit Storchennest und schief stehendem Schornstein
überhoben den Besucher, trotz der zwei Bürgermeister, die Wer-
neuchen damals besaß, der heiklen Frage, ob "Dorf, ob Stadt."
Keine uniformirte Schützengilde paradirte mit Sang und Klang
durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein
Schuß fiel, so wußte man, daß es die Büchse des Försters sei,
der am Gamen-Grund, wo der Weg nach Freienwalde hin ab-
zweigt, sein in Tannen geborgenes Häuschen hatte.

Keine Schützengilde gab es damals, auch keinen Veteranen-
Verein (denn all die Schlachten, die zwischen Groß-Görschen und
Belle-Alliance liegen, waren noch ungeschlagen); aber etwas An-
deres gab es dafür im Dorf, eine Curiosität, eine Restchen Vehm-
gericht, das sich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüssen des
nivellirenden vorigen Jahrhunderts zum Trotz, an diesem stillen
Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die soge-
nannte "Wröh." Zu festgesetzten Zeiten (aber nur im Sommer)
versammelten sich die Bürger-Bauern des Orts auf einem von
alten Linden überschatteten Platz, der ziemlich in der Mitte zwischen
dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer lag. Unter den Bäumen
dieses Platzes, nach der Kirchhofs-Seite zu, lagen vier große ab-
geplattete Feldsteine, die man durch aufgelegte Bretter zu eben so
vielen Bänken machte, wenn eine "Wröh" abgehalten werden
sollte. Was in alten Zeiten in diesen Geschwornen-Gerichten be-
sprochen und bestimmt wurde, ob jemals ein Werneuchener Bürger-
Bauer das bekannte Messer in den Baum am Kreuzweg gebohrt
hat oder nicht, wird nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen,
unsere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener "Wröh"
datirt erst aus den unromantischen Zeiten des Allgemeinen Land-
rechts her, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die "Wröh"
unter die stille Superintendenz eines Magistrats und zweier
Bürgermeister gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der "Wröh"
war eine enge geworden und beschränkte sich darauf, in wöchent-
lichen oder monatlichen Sitzungen den Schadenersatz festzustellen,
den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder

18*

Strohdächer mit Storchenneſt und ſchief ſtehendem Schornſtein
überhoben den Beſucher, trotz der zwei Bürgermeiſter, die Wer-
neuchen damals beſaß, der heiklen Frage, ob „Dorf, ob Stadt.“
Keine uniformirte Schützengilde paradirte mit Sang und Klang
durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein
Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe des Förſters ſei,
der am Gamen-Grund, wo der Weg nach Freienwalde hin ab-
zweigt, ſein in Tannen geborgenes Häuschen hatte.

Keine Schützengilde gab es damals, auch keinen Veteranen-
Verein (denn all die Schlachten, die zwiſchen Groß-Görſchen und
Belle-Alliance liegen, waren noch ungeſchlagen); aber etwas An-
deres gab es dafür im Dorf, eine Curioſität, eine Reſtchen Vehm-
gericht, das ſich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüſſen des
nivellirenden vorigen Jahrhunderts zum Trotz, an dieſem ſtillen
Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die ſoge-
nannte „Wröh.“ Zu feſtgeſetzten Zeiten (aber nur im Sommer)
verſammelten ſich die Bürger-Bauern des Orts auf einem von
alten Linden überſchatteten Platz, der ziemlich in der Mitte zwiſchen
dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer lag. Unter den Bäumen
dieſes Platzes, nach der Kirchhofs-Seite zu, lagen vier große ab-
geplattete Feldſteine, die man durch aufgelegte Bretter zu eben ſo
vielen Bänken machte, wenn eine „Wröh“ abgehalten werden
ſollte. Was in alten Zeiten in dieſen Geſchwornen-Gerichten be-
ſprochen und beſtimmt wurde, ob jemals ein Werneuchener Bürger-
Bauer das bekannte Meſſer in den Baum am Kreuzweg gebohrt
hat oder nicht, wird nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen,
unſere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener „Wröh“
datirt erſt aus den unromantiſchen Zeiten des Allgemeinen Land-
rechts her, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die „Wröh“
unter die ſtille Superintendenz eines Magiſtrats und zweier
Bürgermeiſter gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der „Wröh“
war eine enge geworden und beſchränkte ſich darauf, in wöchent-
lichen oder monatlichen Sitzungen den Schadenerſatz feſtzuſtellen,
den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder

18*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0293" n="275"/>
Strohdächer mit Storchenne&#x017F;t und &#x017F;chief &#x017F;tehendem Schorn&#x017F;tein<lb/>
überhoben den Be&#x017F;ucher, trotz der zwei Bürgermei&#x017F;ter, die Wer-<lb/>
neuchen damals be&#x017F;aß, der heiklen Frage, ob &#x201E;Dorf, ob Stadt.&#x201C;<lb/>
Keine uniformirte Schützengilde paradirte mit Sang und Klang<lb/>
durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein<lb/>
Schuß fiel, &#x017F;o wußte man, daß es die Büch&#x017F;e des För&#x017F;ters &#x017F;ei,<lb/>
der am Gamen-Grund, wo der Weg nach Freienwalde hin ab-<lb/>
zweigt, &#x017F;ein in Tannen geborgenes Häuschen hatte.</p><lb/>
          <p>Keine Schützengilde gab es damals, auch keinen Veteranen-<lb/>
Verein (denn all die Schlachten, die zwi&#x017F;chen Groß-Gör&#x017F;chen und<lb/>
Belle-Alliance liegen, waren noch unge&#x017F;chlagen); aber etwas An-<lb/>
deres gab es dafür im Dorf, eine Curio&#x017F;ität, eine Re&#x017F;tchen Vehm-<lb/>
gericht, das &#x017F;ich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflü&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
nivellirenden vorigen Jahrhunderts zum Trotz, an die&#x017F;em &#x017F;tillen<lb/>
Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die &#x017F;oge-<lb/>
nannte &#x201E;Wröh.&#x201C; Zu fe&#x017F;tge&#x017F;etzten Zeiten (aber nur im Sommer)<lb/>
ver&#x017F;ammelten &#x017F;ich die Bürger-Bauern des Orts auf einem von<lb/>
alten Linden über&#x017F;chatteten Platz, der ziemlich in der Mitte zwi&#x017F;chen<lb/>
dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer lag. Unter den Bäumen<lb/>
die&#x017F;es Platzes, nach der Kirchhofs-Seite zu, lagen vier große ab-<lb/>
geplattete Feld&#x017F;teine, die man durch aufgelegte Bretter zu eben &#x017F;o<lb/>
vielen Bänken machte, wenn eine &#x201E;Wröh&#x201C; abgehalten werden<lb/>
&#x017F;ollte. Was in <hi rendition="#g">alten</hi> Zeiten in die&#x017F;en Ge&#x017F;chwornen-Gerichten be-<lb/>
&#x017F;prochen und be&#x017F;timmt wurde, ob jemals ein Werneuchener Bürger-<lb/>
Bauer das bekannte Me&#x017F;&#x017F;er in den Baum am Kreuzweg gebohrt<lb/>
hat oder nicht, wird nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen,<lb/>
un&#x017F;ere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener &#x201E;Wröh&#x201C;<lb/>
datirt er&#x017F;t aus den unromanti&#x017F;chen Zeiten des Allgemeinen Land-<lb/>
rechts her, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die &#x201E;Wröh&#x201C;<lb/>
unter die &#x017F;tille Superintendenz eines Magi&#x017F;trats und <hi rendition="#g">zweier</hi><lb/>
Bürgermei&#x017F;ter gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der &#x201E;Wröh&#x201C;<lb/>
war eine enge geworden und be&#x017F;chränkte &#x017F;ich darauf, in wöchent-<lb/>
lichen oder monatlichen Sitzungen den Schadener&#x017F;atz fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen,<lb/>
den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">18*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0293] Strohdächer mit Storchenneſt und ſchief ſtehendem Schornſtein überhoben den Beſucher, trotz der zwei Bürgermeiſter, die Wer- neuchen damals beſaß, der heiklen Frage, ob „Dorf, ob Stadt.“ Keine uniformirte Schützengilde paradirte mit Sang und Klang durch die Straßen, und wenn draußen in Wald oder Feld ein Schuß fiel, ſo wußte man, daß es die Büchſe des Förſters ſei, der am Gamen-Grund, wo der Weg nach Freienwalde hin ab- zweigt, ſein in Tannen geborgenes Häuschen hatte. Keine Schützengilde gab es damals, auch keinen Veteranen- Verein (denn all die Schlachten, die zwiſchen Groß-Görſchen und Belle-Alliance liegen, waren noch ungeſchlagen); aber etwas An- deres gab es dafür im Dorf, eine Curioſität, eine Reſtchen Vehm- gericht, das ſich aus unvordenklicher Zeit, allen Einflüſſen des nivellirenden vorigen Jahrhunderts zum Trotz, an dieſem ſtillen Ort erhalten hatte. Dies Vehmgericht im Kleinen war die ſoge- nannte „Wröh.“ Zu feſtgeſetzten Zeiten (aber nur im Sommer) verſammelten ſich die Bürger-Bauern des Orts auf einem von alten Linden überſchatteten Platz, der ziemlich in der Mitte zwiſchen dem Pfarrhaus und der Kirchhofsmauer lag. Unter den Bäumen dieſes Platzes, nach der Kirchhofs-Seite zu, lagen vier große ab- geplattete Feldſteine, die man durch aufgelegte Bretter zu eben ſo vielen Bänken machte, wenn eine „Wröh“ abgehalten werden ſollte. Was in alten Zeiten in dieſen Geſchwornen-Gerichten be- ſprochen und beſtimmt wurde, ob jemals ein Werneuchener Bürger- Bauer das bekannte Meſſer in den Baum am Kreuzweg gebohrt hat oder nicht, wird nie mehr zur Kunde der Nachwelt gelangen, unſere Kenntniß über die Sitzungen der Werneuchener „Wröh“ datirt erſt aus den unromantiſchen Zeiten des Allgemeinen Land- rechts her, wo ganz Werneuchen und natürlich auch die „Wröh“ unter die ſtille Superintendenz eines Magiſtrats und zweier Bürgermeiſter gekommen war. Die Gerichtsbarkeit der „Wröh“ war eine enge geworden und beſchränkte ſich darauf, in wöchent- lichen oder monatlichen Sitzungen den Schadenerſatz feſtzuſtellen, den das Vieh des einen Bürgers oder Bauern den Feldern oder 18*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/293
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/293>, abgerufen am 17.06.2024.