zwischen den Hügeln aber dehnt sich jedes Mal ein grüner Streifen (Sumpfland, das von Riedgras überwachsen ist) und mitten im Grün ruht eine kaum gekräuselte Wasserfläche, die mal dunkel wie ein Teich, mal blau wie ein See zu uns aufblickt. Alles Leben- dige scheint diese Oede zu meiden, keine Lerche wiegt sich in Lüf- ten, kein Storch stolzirt am Sumpf entlang, nur eine Krähe fliegt gleichgültig über die Landschaft hin, wie ein Bote zwischen dem vor uns liegenden Wald und dem Biesenthaler Kirchthurm in unserm Rücken. Die Krähe passirt diese Gegenden wie wir, sie wohnt nicht darin.
Ein halbstündiger Gang (es watet sich schwer im mahlenden Sande) hat uns endlich an eine tiefere Thalschlucht geführt, und die andre Seite derselben hinaufsteigend, treten wir ein in die Stille des Waldes. Das Wellen-Terrain bleibt dasselbe, aber der Boden ist anders geworden und die rothen Fichtenstämme steigen in schlanker Schönheit auf, während das Fehlen alles Unterholzes einen Blick weit waldeinwärts gestattet und den grünen Moos- teppich in überraschender Frische zeigt. Der Forst ist von großer Längenausdehnung, aber von wenig Tiefe; so sehen wir denn bald es lichter werden zwischen den Bäumen und fühlen jenen veränderten Luftzug, der den Ausgang des Waldes verräth. Eh' wir ihn erreicht haben, hören wir ein leises Geräusch zu unsrer Linken, und einen hohen Brombeerbusch passirend, der eben noch unsren Blick in den Wald hinein begrenzte, gewahren wir einen Alten, der Reisig sammelt und die zerbrochenen Zweige auf seine Karre wirft. Neben ihm liegt ein alter Spaten am Boden, vielleicht um Wurzeln auszugraben, und an der obersten Karren- sprosse hängt ein Korb, drin er die gelben Pfefferlinge und die schönen fleischfarbigen Reizker sammelt, die ihm sein gutes Glück als Zugabe in den Weg führt.
Der Alte selbst trägt Strohhut und Leinwandjacke, und sein Gesicht verräth nichts Auffälliges, als das Fehlen jeder Spur von Oberlippe, so daß mich die Frage beschleicht: wo blieb der Schnur- bart, wenn er jemals einen hatte? Inzwischen haben wir uns guten Tag geboten, und ich frag' ihn, ob er aus Prenden sei?
zwiſchen den Hügeln aber dehnt ſich jedes Mal ein grüner Streifen (Sumpfland, das von Riedgras überwachſen iſt) und mitten im Grün ruht eine kaum gekräuſelte Waſſerfläche, die mal dunkel wie ein Teich, mal blau wie ein See zu uns aufblickt. Alles Leben- dige ſcheint dieſe Oede zu meiden, keine Lerche wiegt ſich in Lüf- ten, kein Storch ſtolzirt am Sumpf entlang, nur eine Krähe fliegt gleichgültig über die Landſchaft hin, wie ein Bote zwiſchen dem vor uns liegenden Wald und dem Bieſenthaler Kirchthurm in unſerm Rücken. Die Krähe paſſirt dieſe Gegenden wie wir, ſie wohnt nicht darin.
Ein halbſtündiger Gang (es watet ſich ſchwer im mahlenden Sande) hat uns endlich an eine tiefere Thalſchlucht geführt, und die andre Seite derſelben hinaufſteigend, treten wir ein in die Stille des Waldes. Das Wellen-Terrain bleibt daſſelbe, aber der Boden iſt anders geworden und die rothen Fichtenſtämme ſteigen in ſchlanker Schönheit auf, während das Fehlen alles Unterholzes einen Blick weit waldeinwärts geſtattet und den grünen Moos- teppich in überraſchender Friſche zeigt. Der Forſt iſt von großer Längenausdehnung, aber von wenig Tiefe; ſo ſehen wir denn bald es lichter werden zwiſchen den Bäumen und fühlen jenen veränderten Luftzug, der den Ausgang des Waldes verräth. Eh’ wir ihn erreicht haben, hören wir ein leiſes Geräuſch zu unſrer Linken, und einen hohen Brombeerbuſch paſſirend, der eben noch unſren Blick in den Wald hinein begrenzte, gewahren wir einen Alten, der Reiſig ſammelt und die zerbrochenen Zweige auf ſeine Karre wirft. Neben ihm liegt ein alter Spaten am Boden, vielleicht um Wurzeln auszugraben, und an der oberſten Karren- ſproſſe hängt ein Korb, drin er die gelben Pfefferlinge und die ſchönen fleiſchfarbigen Reizker ſammelt, die ihm ſein gutes Glück als Zugabe in den Weg führt.
Der Alte ſelbſt trägt Strohhut und Leinwandjacke, und ſein Geſicht verräth nichts Auffälliges, als das Fehlen jeder Spur von Oberlippe, ſo daß mich die Frage beſchleicht: wo blieb der Schnur- bart, wenn er jemals einen hatte? Inzwiſchen haben wir uns guten Tag geboten, und ich frag’ ihn, ob er aus Prenden ſei?
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zwiſchen den Hügeln aber dehnt ſich jedes Mal ein grüner Streifen
(Sumpfland, das von Riedgras überwachſen iſt) und mitten im
Grün ruht eine kaum gekräuſelte Waſſerfläche, die mal dunkel wie
ein Teich, mal blau wie ein See zu uns aufblickt. Alles Leben-
dige ſcheint dieſe Oede zu meiden, keine Lerche wiegt ſich in Lüf-
ten, kein Storch ſtolzirt am Sumpf entlang, nur eine Krähe fliegt
gleichgültig über die Landſchaft hin, wie ein Bote zwiſchen dem vor
uns liegenden Wald und dem Bieſenthaler Kirchthurm in unſerm
Rücken. Die Krähe paſſirt dieſe Gegenden wie wir, ſie wohnt nicht darin.
Ein halbſtündiger Gang (es watet ſich ſchwer im mahlenden
Sande) hat uns endlich an eine tiefere Thalſchlucht geführt, und
die andre Seite derſelben hinaufſteigend, treten wir ein in die
Stille des Waldes. Das Wellen-Terrain bleibt daſſelbe, aber der
Boden iſt anders geworden und die rothen Fichtenſtämme ſteigen
in ſchlanker Schönheit auf, während das Fehlen alles Unterholzes
einen Blick weit waldeinwärts geſtattet und den grünen Moos-
teppich in überraſchender Friſche zeigt. Der Forſt iſt von großer
Längenausdehnung, aber von wenig Tiefe; ſo ſehen wir denn
bald es lichter werden zwiſchen den Bäumen und fühlen jenen
veränderten Luftzug, der den Ausgang des Waldes verräth. Eh’
wir ihn erreicht haben, hören wir ein leiſes Geräuſch zu unſrer
Linken, und einen hohen Brombeerbuſch paſſirend, der eben noch
unſren Blick in den Wald hinein begrenzte, gewahren wir einen
Alten, der Reiſig ſammelt und die zerbrochenen Zweige auf
ſeine Karre wirft. Neben ihm liegt ein alter Spaten am Boden,
vielleicht um Wurzeln auszugraben, und an der oberſten Karren-
ſproſſe hängt ein Korb, drin er die gelben Pfefferlinge und die
ſchönen fleiſchfarbigen Reizker ſammelt, die ihm ſein gutes Glück
als Zugabe in den Weg führt.
Der Alte ſelbſt trägt Strohhut und Leinwandjacke, und ſein
Geſicht verräth nichts Auffälliges, als das Fehlen jeder Spur von
Oberlippe, ſo daß mich die Frage beſchleicht: wo blieb der Schnur-
bart, wenn er jemals einen hatte? Inzwiſchen haben wir uns
guten Tag geboten, und ich frag’ ihn, ob er aus Prenden ſei?
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/329>, abgerufen am 23.11.2024.
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