jenige, der von den beiden Invaliden, die ein freundliches Häus- chen neben Kirche und Kirchhof innehaben, irgend welchen Aufschluß erwartet. Sie wissen absolut nichts von jenem Schlachtfeld, das jahraus jahrein zu ihren Füßen liegt und dessen bestellte Wächter sie sind; nichts von jenem Kirchhof, um dessen Besitz so heiß gekämpft wurde und den sie selber nun bewohnen. Ein wahres Glück ist es, daß Beide taub sind, der Eine halb, der Andere ganz. Wenn Fremde kommen und ihre Fragen unbeantwortet finden, so werden sie's auf die Schwerhörigkeit der beiden Alten schieben und viel- leicht die freundliche Vorstellung mit heim nehmen, daß der "Schlachtendonner" die Trommelfelle der beiden Helden für immer zum Schweigen gebracht habe. Wir sollten es aber doch auf so freundliche Interpretationen nicht ankommen lassen.
Aber noch einmal, das Schlachtfeld von Groß-Beeren ist es nicht, auf das ich heute vorhabe, den Leser hinauszuführen. Auch die neue Kirche, nach einem Schinkel'schen Plane gefällig, aber nüchtern erbaut, soll uns nicht fesseln; eben so wenig das gußeiserne Monument, das sich rechts am Eingange des Dorfes erhebt und die Inschrift trägt: "Die gefallenen Helden ehrt dank- bar König und Vaterland." Der Punkt, dem wir heute zuschrei- ten, liegt vielmehr der Kirche schräg gegenüber an der andern Seite der Dorfgasse, wo wir, über die Feldsteinmauer hinweg, ein sau- beres gut erhaltenes Wohnhaus schimmern sehen, das seine weißen Wände hinter einer Baumgruppe des Gartens nur halb verbirgt.
Hier hauste vor sechszig Jahren der "Geist von Beeren." Das klingt gespenstisch und darf so klingen, wenn zwischen Ge- spenstern und Kobolden irgend welche Verwandtschaft ist. "Geist von Beeren" war ein Kobold; nebenher war er auch Besitzer von Groß- und Klein-Beeren und der Letzte aus jenem alten Geschlecht der Beeren oder Berne, das vier Jahrhunderte lang die ge- nannten beiden Güter inne hatte.
Von diesem Hans Heinrich Arnold v. Beeren, dem Letzten seines Geschlechts, will ich erzählen.
Um's Jahr 1785 hatte er beim Könige die Erlaubniß nach-
jenige, der von den beiden Invaliden, die ein freundliches Häus- chen neben Kirche und Kirchhof innehaben, irgend welchen Aufſchluß erwartet. Sie wiſſen abſolut nichts von jenem Schlachtfeld, das jahraus jahrein zu ihren Füßen liegt und deſſen beſtellte Wächter ſie ſind; nichts von jenem Kirchhof, um deſſen Beſitz ſo heiß gekämpft wurde und den ſie ſelber nun bewohnen. Ein wahres Glück iſt es, daß Beide taub ſind, der Eine halb, der Andere ganz. Wenn Fremde kommen und ihre Fragen unbeantwortet finden, ſo werden ſie’s auf die Schwerhörigkeit der beiden Alten ſchieben und viel- leicht die freundliche Vorſtellung mit heim nehmen, daß der „Schlachtendonner“ die Trommelfelle der beiden Helden für immer zum Schweigen gebracht habe. Wir ſollten es aber doch auf ſo freundliche Interpretationen nicht ankommen laſſen.
Aber noch einmal, das Schlachtfeld von Groß-Beeren iſt es nicht, auf das ich heute vorhabe, den Leſer hinauszuführen. Auch die neue Kirche, nach einem Schinkel’ſchen Plane gefällig, aber nüchtern erbaut, ſoll uns nicht feſſeln; eben ſo wenig das gußeiſerne Monument, das ſich rechts am Eingange des Dorfes erhebt und die Inſchrift trägt: „Die gefallenen Helden ehrt dank- bar König und Vaterland.“ Der Punkt, dem wir heute zuſchrei- ten, liegt vielmehr der Kirche ſchräg gegenüber an der andern Seite der Dorfgaſſe, wo wir, über die Feldſteinmauer hinweg, ein ſau- beres gut erhaltenes Wohnhaus ſchimmern ſehen, das ſeine weißen Wände hinter einer Baumgruppe des Gartens nur halb verbirgt.
Hier hauſte vor ſechszig Jahren der „Geiſt von Beeren.“ Das klingt geſpenſtiſch und darf ſo klingen, wenn zwiſchen Ge- ſpenſtern und Kobolden irgend welche Verwandtſchaft iſt. „Geiſt von Beeren“ war ein Kobold; nebenher war er auch Beſitzer von Groß- und Klein-Beeren und der Letzte aus jenem alten Geſchlecht der Beeren oder Berne, das vier Jahrhunderte lang die ge- nannten beiden Güter inne hatte.
Von dieſem Hans Heinrich Arnold v. Beeren, dem Letzten ſeines Geſchlechts, will ich erzählen.
Um’s Jahr 1785 hatte er beim Könige die Erlaubniß nach-
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jenige, der von den beiden Invaliden, die ein freundliches Häus-
chen neben Kirche und Kirchhof innehaben, irgend welchen Aufſchluß
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jahraus jahrein zu ihren Füßen liegt und deſſen beſtellte Wächter
ſie ſind; nichts von jenem Kirchhof, um deſſen Beſitz ſo heiß gekämpft
wurde und den ſie ſelber nun bewohnen. Ein wahres Glück iſt
es, daß Beide taub ſind, der Eine halb, der Andere ganz. Wenn
Fremde kommen und ihre Fragen unbeantwortet finden, ſo werden
ſie’s auf die Schwerhörigkeit der beiden Alten ſchieben und viel-
leicht die freundliche Vorſtellung mit heim nehmen, daß der
„Schlachtendonner“ die Trommelfelle der beiden Helden für immer
zum Schweigen gebracht habe. Wir ſollten es aber doch auf ſo
freundliche Interpretationen nicht ankommen laſſen.
Aber noch einmal, das Schlachtfeld von Groß-Beeren iſt
es nicht, auf das ich heute vorhabe, den Leſer hinauszuführen.
Auch die neue Kirche, nach einem Schinkel’ſchen Plane gefällig,
aber nüchtern erbaut, ſoll uns nicht feſſeln; eben ſo wenig das
gußeiſerne Monument, das ſich rechts am Eingange des Dorfes
erhebt und die Inſchrift trägt: „Die gefallenen Helden ehrt dank-
bar König und Vaterland.“ Der Punkt, dem wir heute zuſchrei-
ten, liegt vielmehr der Kirche ſchräg gegenüber an der andern Seite
der Dorfgaſſe, wo wir, über die Feldſteinmauer hinweg, ein ſau-
beres gut erhaltenes Wohnhaus ſchimmern ſehen, das ſeine weißen
Wände hinter einer Baumgruppe des Gartens nur halb verbirgt.
Hier hauſte vor ſechszig Jahren der „Geiſt von Beeren.“
Das klingt geſpenſtiſch und darf ſo klingen, wenn zwiſchen Ge-
ſpenſtern und Kobolden irgend welche Verwandtſchaft iſt. „Geiſt
von Beeren“ war ein Kobold; nebenher war er auch Beſitzer von
Groß- und Klein-Beeren und der Letzte aus jenem alten Geſchlecht
der Beeren oder Berne, das vier Jahrhunderte lang die ge-
nannten beiden Güter inne hatte.
Von dieſem Hans Heinrich Arnold v. Beeren, dem
Letzten ſeines Geſchlechts, will ich erzählen.
Um’s Jahr 1785 hatte er beim Könige die Erlaubniß nach-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/412>, abgerufen am 23.11.2024.
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