müthlichkeit; die Hähne schreien, und über den Pfuhl hin schnat- tern und segeln die Enten mit komischer Gravität.
So ist Dorf Saalow jetzt, schlicht und einfach genug, aber doch ein Platz voll einladender Heiterkeit, verglichen mit dem, was es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war. Aus Lehmwänden und Strohdächern, die im Laufe der Zeit zu Moosdächern gewor- den waren, baute sich damals die Dorfstraße auf, und ein weiß gestrichenes Häuschen, das auf den Platz und den Wasserpfuhl hinaussah, während Obstgarten und Ziehbrunnen in seinem Rücken lagen, hatte nichts als die weiße Tünche seiner Wände, als eine Zitzgardine und einen Zeisigbauer hinter'm Fenster vor dem Rest der Hütten und Häuser voraus.
In diesem Hause wohnte der Schneider des Dorfes, Hans Schadow mit Namen. Wir treten bei ihm ein. An dem Zu- schneidetisch, dessen weit vorspringende Holzplatte bis in die Mitte des Zimmers reicht, steht ein knochiger und breitschultriger Mann, dessen Figur eher an Hammer und Ambos, als an Nadel und Scheere erinnert, und blickt auf das ausgerollte Stück Tuch, das vor ihm liegt. Es ist blaues Tuch; märkische Bauern tragen nur blaue Röcke. Meister Schadow hat ein Stück Kreide in der Hand, und wie ein Baumeister, der seinen Plan entwirft und die Di- stancen absteckt, tupft er bald hier, bald da auf das ausgerollte Stück Tuch, mustert die weißen Tüpfelchen, die er gemacht, und zieht dann, zwischen den Punkten, die geraden und die geschweiften Linien, wie es Schooß und Rückenstück erfordern. Völlige Stille ist um den Meister her; der Zeisig im Bauer singt weder, noch springt er auf den Sprossen auf und ab; selbst die Fliegen gönnen sich Ruhe, und nur aus dem halbdunklen Ofen- winkel hervor klingt es und schrammt es leise, wie wenn Jemand geschäftig mit einem Griffel über eine Schiefertafel fährt. Dem ist auch so. Auf der niedrigen Ofenbank hockt ein sechsjähriger Blond- kopf und die beiden Beinchen wie ein schräges Pult vor sich, an das er seine Tafel gelehnt hat, tupft er, ganz nach Art des Va- ters, allerhand Markirpunkte auf die Tafel und zieht dann, zwi-
müthlichkeit; die Hähne ſchreien, und über den Pfuhl hin ſchnat- tern und ſegeln die Enten mit komiſcher Gravität.
So iſt Dorf Saalow jetzt, ſchlicht und einfach genug, aber doch ein Platz voll einladender Heiterkeit, verglichen mit dem, was es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war. Aus Lehmwänden und Strohdächern, die im Laufe der Zeit zu Moosdächern gewor- den waren, baute ſich damals die Dorfſtraße auf, und ein weiß geſtrichenes Häuschen, das auf den Platz und den Waſſerpfuhl hinausſah, während Obſtgarten und Ziehbrunnen in ſeinem Rücken lagen, hatte nichts als die weiße Tünche ſeiner Wände, als eine Zitzgardine und einen Zeiſigbauer hinter’m Fenſter vor dem Reſt der Hütten und Häuſer voraus.
In dieſem Hauſe wohnte der Schneider des Dorfes, Hans Schadow mit Namen. Wir treten bei ihm ein. An dem Zu- ſchneidetiſch, deſſen weit vorſpringende Holzplatte bis in die Mitte des Zimmers reicht, ſteht ein knochiger und breitſchultriger Mann, deſſen Figur eher an Hammer und Ambos, als an Nadel und Scheere erinnert, und blickt auf das ausgerollte Stück Tuch, das vor ihm liegt. Es iſt blaues Tuch; märkiſche Bauern tragen nur blaue Röcke. Meiſter Schadow hat ein Stück Kreide in der Hand, und wie ein Baumeiſter, der ſeinen Plan entwirft und die Di- ſtancen abſteckt, tupft er bald hier, bald da auf das ausgerollte Stück Tuch, muſtert die weißen Tüpfelchen, die er gemacht, und zieht dann, zwiſchen den Punkten, die geraden und die geſchweiften Linien, wie es Schooß und Rückenſtück erfordern. Völlige Stille iſt um den Meiſter her; der Zeiſig im Bauer ſingt weder, noch ſpringt er auf den Sproſſen auf und ab; ſelbſt die Fliegen gönnen ſich Ruhe, und nur aus dem halbdunklen Ofen- winkel hervor klingt es und ſchrammt es leiſe, wie wenn Jemand geſchäftig mit einem Griffel über eine Schiefertafel fährt. Dem iſt auch ſo. Auf der niedrigen Ofenbank hockt ein ſechsjähriger Blond- kopf und die beiden Beinchen wie ein ſchräges Pult vor ſich, an das er ſeine Tafel gelehnt hat, tupft er, ganz nach Art des Va- ters, allerhand Markirpunkte auf die Tafel und zieht dann, zwi-
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müthlichkeit; die Hähne ſchreien, und über den Pfuhl hin ſchnat-
tern und ſegeln die Enten mit komiſcher Gravität.
So iſt Dorf Saalow jetzt, ſchlicht und einfach genug, aber
doch ein Platz voll einladender Heiterkeit, verglichen mit dem, was
es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war. Aus Lehmwänden
und Strohdächern, die im Laufe der Zeit zu Moosdächern gewor-
den waren, baute ſich damals die Dorfſtraße auf, und ein weiß
geſtrichenes Häuschen, das auf den Platz und den Waſſerpfuhl
hinausſah, während Obſtgarten und Ziehbrunnen in ſeinem Rücken
lagen, hatte nichts als die weiße Tünche ſeiner Wände, als eine
Zitzgardine und einen Zeiſigbauer hinter’m Fenſter vor dem Reſt
der Hütten und Häuſer voraus.
In dieſem Hauſe wohnte der Schneider des Dorfes, Hans
Schadow mit Namen. Wir treten bei ihm ein. An dem Zu-
ſchneidetiſch, deſſen weit vorſpringende Holzplatte bis in die Mitte
des Zimmers reicht, ſteht ein knochiger und breitſchultriger Mann,
deſſen Figur eher an Hammer und Ambos, als an Nadel und
Scheere erinnert, und blickt auf das ausgerollte Stück Tuch, das
vor ihm liegt. Es iſt blaues Tuch; märkiſche Bauern tragen nur
blaue Röcke. Meiſter Schadow hat ein Stück Kreide in der Hand,
und wie ein Baumeiſter, der ſeinen Plan entwirft und die Di-
ſtancen abſteckt, tupft er bald hier, bald da auf das ausgerollte
Stück Tuch, muſtert die weißen Tüpfelchen, die er gemacht,
und zieht dann, zwiſchen den Punkten, die geraden und die
geſchweiften Linien, wie es Schooß und Rückenſtück erfordern.
Völlige Stille iſt um den Meiſter her; der Zeiſig im Bauer ſingt
weder, noch ſpringt er auf den Sproſſen auf und ab; ſelbſt die
Fliegen gönnen ſich Ruhe, und nur aus dem halbdunklen Ofen-
winkel hervor klingt es und ſchrammt es leiſe, wie wenn Jemand
geſchäftig mit einem Griffel über eine Schiefertafel fährt. Dem iſt
auch ſo. Auf der niedrigen Ofenbank hockt ein ſechsjähriger Blond-
kopf und die beiden Beinchen wie ein ſchräges Pult vor ſich, an
das er ſeine Tafel gelehnt hat, tupft er, ganz nach Art des Va-
ters, allerhand Markirpunkte auf die Tafel und zieht dann, zwi-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/441>, abgerufen am 23.11.2024.
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