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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Waldemar, dem jüngeren Sohne des Prinzen Wilhelm, Unter-
richt zu geben, trat er gerade in das Zimmer, als sich die beiden
Prinzessinnen lachend über den türkischen Teppich rollten; die Ge-
sichter glühten und die Haarflechten hingen lang herab. Entsetzt
sprangen sie auf, warfen sich aber sofort wieder hin und rollten
lachend mit den Worten weiter: "'s ist ja der alte Schadow." --
Als die Friedensklasse des pour le merite gestiftet wurde, war
es selbstverständlich, daß Schadow den Orden erhielt. Der König
selbst begab sich in die Wohnung des Alten und ließ sich melden.
"Lieber Schadow, ich bringe Ihnen hier den pour le merite."
"Ach Majestät, wat soll ick alter Mann mit'n Orden?" "Aber
lieber Schadow, ich selbst..." "Jut, jut, ick nehm en; aber ene
Bedingung, Majestät -- wenn ick dod bin, muß en mein Wil-
helm kriegen." Der König willigte lachend ein und verzeichnete in
dem Ordensstatut eigenhändig die Bemerkung, daß nach des Alten
Tode der Orden auf Wilhelm Schadow (den berühmten Director
der Düsseldorfer Akademie) überzugehen habe. Wunsch des Vaters
und Verdienst des Sohnes fielen hier zusammen.

Durch das ganze Schaffen des Alten ging ein vaterländischer
Zug hindurch. Dinge, die sich jetzt von selbst zu verstehen scheinen,
hat er das Verdienst, völlig abweichend vom Hergebrachten, zuerst
gewagt und durch charakteristisch siegreiche Behandlung in die
moderne Kunst eingeführt zu haben. Gegen die ausschließliche oder
auch nur vorzugsweise künstlerische Berechtigung des Vaterlän-
dischen, des altenfritzig Zopfigen, des realistisch Modernen, scheint
er starke Bedenken unterhalten zu haben, viel stärkere, als man
geneigt sein könnte, bei einem Manne anzunehmen, dem es vor-
behalten war, eben nach dieser Seite hin epochemachend aufzutreten.
Aber eben so wenig wie er den Realismus ausschließlich wollte,
eben so wenig verkannte er sein Recht. Die alten, hergebrachten
Formen reichten für ein immer reicher und selbständiger sich ge-
staltendes Leben nicht mehr aus. Er empfand das tiefer als An-
dere. Im Einklang mit seiner ganzen Natur, die ich zu schildern
versucht habe, erschien ihm die Kunst nicht als ein allein dastehen-

Waldemar, dem jüngeren Sohne des Prinzen Wilhelm, Unter-
richt zu geben, trat er gerade in das Zimmer, als ſich die beiden
Prinzeſſinnen lachend über den türkiſchen Teppich rollten; die Ge-
ſichter glühten und die Haarflechten hingen lang herab. Entſetzt
ſprangen ſie auf, warfen ſich aber ſofort wieder hin und rollten
lachend mit den Worten weiter: „’s iſt ja der alte Schadow.“ —
Als die Friedensklaſſe des pour le mérite geſtiftet wurde, war
es ſelbſtverſtändlich, daß Schadow den Orden erhielt. Der König
ſelbſt begab ſich in die Wohnung des Alten und ließ ſich melden.
„Lieber Schadow, ich bringe Ihnen hier den pour le mérite.“
„Ach Majeſtät, wat ſoll ick alter Mann mit’n Orden?“ „Aber
lieber Schadow, ich ſelbſt…“ „Jut, jut, ick nehm en; aber ene
Bedingung, Majeſtät — wenn ick dod bin, muß en mein Wil-
helm kriegen.“ Der König willigte lachend ein und verzeichnete in
dem Ordensſtatut eigenhändig die Bemerkung, daß nach des Alten
Tode der Orden auf Wilhelm Schadow (den berühmten Director
der Düſſeldorfer Akademie) überzugehen habe. Wunſch des Vaters
und Verdienſt des Sohnes fielen hier zuſammen.

Durch das ganze Schaffen des Alten ging ein vaterländiſcher
Zug hindurch. Dinge, die ſich jetzt von ſelbſt zu verſtehen ſcheinen,
hat er das Verdienſt, völlig abweichend vom Hergebrachten, zuerſt
gewagt und durch charakteriſtiſch ſiegreiche Behandlung in die
moderne Kunſt eingeführt zu haben. Gegen die ausſchließliche oder
auch nur vorzugsweiſe künſtleriſche Berechtigung des Vaterlän-
diſchen, des altenfritzig Zopfigen, des realiſtiſch Modernen, ſcheint
er ſtarke Bedenken unterhalten zu haben, viel ſtärkere, als man
geneigt ſein könnte, bei einem Manne anzunehmen, dem es vor-
behalten war, eben nach dieſer Seite hin epochemachend aufzutreten.
Aber eben ſo wenig wie er den Realismus ausſchließlich wollte,
eben ſo wenig verkannte er ſein Recht. Die alten, hergebrachten
Formen reichten für ein immer reicher und ſelbſtändiger ſich ge-
ſtaltendes Leben nicht mehr aus. Er empfand das tiefer als An-
dere. Im Einklang mit ſeiner ganzen Natur, die ich zu ſchildern
verſucht habe, erſchien ihm die Kunſt nicht als ein allein daſtehen-

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[434/0452] Waldemar, dem jüngeren Sohne des Prinzen Wilhelm, Unter- richt zu geben, trat er gerade in das Zimmer, als ſich die beiden Prinzeſſinnen lachend über den türkiſchen Teppich rollten; die Ge- ſichter glühten und die Haarflechten hingen lang herab. Entſetzt ſprangen ſie auf, warfen ſich aber ſofort wieder hin und rollten lachend mit den Worten weiter: „’s iſt ja der alte Schadow.“ — Als die Friedensklaſſe des pour le mérite geſtiftet wurde, war es ſelbſtverſtändlich, daß Schadow den Orden erhielt. Der König ſelbſt begab ſich in die Wohnung des Alten und ließ ſich melden. „Lieber Schadow, ich bringe Ihnen hier den pour le mérite.“ „Ach Majeſtät, wat ſoll ick alter Mann mit’n Orden?“ „Aber lieber Schadow, ich ſelbſt…“ „Jut, jut, ick nehm en; aber ene Bedingung, Majeſtät — wenn ick dod bin, muß en mein Wil- helm kriegen.“ Der König willigte lachend ein und verzeichnete in dem Ordensſtatut eigenhändig die Bemerkung, daß nach des Alten Tode der Orden auf Wilhelm Schadow (den berühmten Director der Düſſeldorfer Akademie) überzugehen habe. Wunſch des Vaters und Verdienſt des Sohnes fielen hier zuſammen. Durch das ganze Schaffen des Alten ging ein vaterländiſcher Zug hindurch. Dinge, die ſich jetzt von ſelbſt zu verſtehen ſcheinen, hat er das Verdienſt, völlig abweichend vom Hergebrachten, zuerſt gewagt und durch charakteriſtiſch ſiegreiche Behandlung in die moderne Kunſt eingeführt zu haben. Gegen die ausſchließliche oder auch nur vorzugsweiſe künſtleriſche Berechtigung des Vaterlän- diſchen, des altenfritzig Zopfigen, des realiſtiſch Modernen, ſcheint er ſtarke Bedenken unterhalten zu haben, viel ſtärkere, als man geneigt ſein könnte, bei einem Manne anzunehmen, dem es vor- behalten war, eben nach dieſer Seite hin epochemachend aufzutreten. Aber eben ſo wenig wie er den Realismus ausſchließlich wollte, eben ſo wenig verkannte er ſein Recht. Die alten, hergebrachten Formen reichten für ein immer reicher und ſelbſtändiger ſich ge- ſtaltendes Leben nicht mehr aus. Er empfand das tiefer als An- dere. Im Einklang mit ſeiner ganzen Natur, die ich zu ſchildern verſucht habe, erſchien ihm die Kunſt nicht als ein allein daſtehen-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/452>, abgerufen am 23.11.2024.