Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Innere der Kirche, das glücklicher Weise den Rohziegel
statt der nüchternen weißen Tünche zeigt, hat doch immer noch,
wie schon angedeutet, zu viel von protestantischer Kahlheit, als
daß man sich des glücklichen Einfalls des Malers (das Decken-
gewölbe hat einen Anstrich) nicht freuen sollte, der, gemäß der ein-
zigen nennenswerthen Tradition, die die Kirche besitzt, eine Maus
und Ratte
erkennbar an die Decke malte. Diese Tradition ist
folgende. Im Sommer 1564, wenige Tage nachdem die Kirche
dem lutherischen Gottesdienste übergeben worden war, schritten zwei
befreundete Geistliche, von denen der eine bei der alten Lehre ge-
blieben war, durch das Schiff der Kirche und disputirten über die
Frage des Tages. "Eher wird eine Maus eine Ratte hier
über die Wölbung jagen
," rief der Dominikaner, "als
daß diese Kirche lutherisch bleibt
." Dem Lutheraner wurde
die Antwort darauf erspart; er zeigte nur an die Decke, wo sich
das Wunder eben vollzog. Unser Sandboden hat wenig von sol-
chen Legenden gezeitigt und wir müssen das Wenige werth halten,
was überhaupt da ist. Einige local-patriotische Ruppiner erzählen
auch in etwas blasphemischer Nachahmung des Biblischen: "und
der Tempel zerriß," daß in der Sterbestunde Martin Luther's das
Mittelgewölbe der Klosterkirche geborsten sei. Die Sache indeß ist
entweder eine völlig müßige Erfindung, oder aber die Uebertragung
eines merkwürdigen Vorfalls von einer Kirche auf die andere.
Ruppin hatte nämlich außer der Klosterkirche noch zwei andere
gothische Pfarrkirchen, die während des großen Feuers zerstört
wurden. Die Klosterkirche ist eine Schöpfung Gebhardt's von Arn-
stein, Grafen zu Lindow und Ruppin. Dies mag uns, im
nächsten Kapitel, zu einer kurzen Besprechung dieses berühmten
Geschlechts führen.



Das Innere der Kirche, das glücklicher Weiſe den Rohziegel
ſtatt der nüchternen weißen Tünche zeigt, hat doch immer noch,
wie ſchon angedeutet, zu viel von proteſtantiſcher Kahlheit, als
daß man ſich des glücklichen Einfalls des Malers (das Decken-
gewölbe hat einen Anſtrich) nicht freuen ſollte, der, gemäß der ein-
zigen nennenswerthen Tradition, die die Kirche beſitzt, eine Maus
und Ratte
erkennbar an die Decke malte. Dieſe Tradition iſt
folgende. Im Sommer 1564, wenige Tage nachdem die Kirche
dem lutheriſchen Gottesdienſte übergeben worden war, ſchritten zwei
befreundete Geiſtliche, von denen der eine bei der alten Lehre ge-
blieben war, durch das Schiff der Kirche und disputirten über die
Frage des Tages. „Eher wird eine Maus eine Ratte hier
über die Wölbung jagen
,“ rief der Dominikaner, „als
daß dieſe Kirche lutheriſch bleibt
.“ Dem Lutheraner wurde
die Antwort darauf erſpart; er zeigte nur an die Decke, wo ſich
das Wunder eben vollzog. Unſer Sandboden hat wenig von ſol-
chen Legenden gezeitigt und wir müſſen das Wenige werth halten,
was überhaupt da iſt. Einige local-patriotiſche Ruppiner erzählen
auch in etwas blasphemiſcher Nachahmung des Bibliſchen: „und
der Tempel zerriß,“ daß in der Sterbeſtunde Martin Luther’s das
Mittelgewölbe der Kloſterkirche geborſten ſei. Die Sache indeß iſt
entweder eine völlig müßige Erfindung, oder aber die Uebertragung
eines merkwürdigen Vorfalls von einer Kirche auf die andere.
Ruppin hatte nämlich außer der Kloſterkirche noch zwei andere
gothiſche Pfarrkirchen, die während des großen Feuers zerſtört
wurden. Die Kloſterkirche iſt eine Schöpfung Gebhardt’s von Arn-
ſtein, Grafen zu Lindow und Ruppin. Dies mag uns, im
nächſten Kapitel, zu einer kurzen Beſprechung dieſes berühmten
Geſchlechts führen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0049" n="31"/>
            <p>Das Innere der Kirche, das glücklicher Wei&#x017F;e den Rohziegel<lb/>
&#x017F;tatt der nüchternen weißen Tünche zeigt, hat doch immer noch,<lb/>
wie &#x017F;chon angedeutet, zu viel von prote&#x017F;tanti&#x017F;cher Kahlheit, als<lb/>
daß man &#x017F;ich des glücklichen Einfalls des Malers (das Decken-<lb/>
gewölbe hat einen An&#x017F;trich) nicht freuen &#x017F;ollte, der, gemäß der ein-<lb/>
zigen nennenswerthen Tradition, die die Kirche be&#x017F;itzt, eine <hi rendition="#g">Maus<lb/>
und Ratte</hi> erkennbar an die Decke malte. Die&#x017F;e Tradition i&#x017F;t<lb/>
folgende. Im Sommer 1564, wenige Tage nachdem die Kirche<lb/>
dem lutheri&#x017F;chen Gottesdien&#x017F;te übergeben worden war, &#x017F;chritten zwei<lb/>
befreundete Gei&#x017F;tliche, von denen der eine bei der alten Lehre ge-<lb/>
blieben war, durch das Schiff der Kirche und disputirten über die<lb/>
Frage des Tages. &#x201E;<hi rendition="#g">Eher wird eine Maus eine Ratte hier<lb/>
über die Wölbung jagen</hi>,&#x201C; rief der Dominikaner, &#x201E;<hi rendition="#g">als<lb/>
daß die&#x017F;e Kirche lutheri&#x017F;ch bleibt</hi>.&#x201C; Dem Lutheraner wurde<lb/>
die Antwort darauf er&#x017F;part; er zeigte nur an die Decke, wo &#x017F;ich<lb/>
das Wunder eben vollzog. Un&#x017F;er Sandboden hat wenig von &#x017F;ol-<lb/>
chen Legenden gezeitigt und wir mü&#x017F;&#x017F;en das Wenige werth halten,<lb/>
was überhaupt da i&#x017F;t. Einige local-patrioti&#x017F;che Ruppiner erzählen<lb/>
auch in etwas blasphemi&#x017F;cher Nachahmung des Bibli&#x017F;chen: &#x201E;und<lb/>
der Tempel zerriß,&#x201C; daß in der Sterbe&#x017F;tunde Martin Luther&#x2019;s das<lb/>
Mittelgewölbe der Klo&#x017F;terkirche gebor&#x017F;ten &#x017F;ei. Die Sache indeß i&#x017F;t<lb/>
entweder eine völlig müßige Erfindung, oder aber die Uebertragung<lb/>
eines merkwürdigen Vorfalls von <hi rendition="#g">einer</hi> Kirche auf die andere.<lb/>
Ruppin hatte nämlich außer der Klo&#x017F;terkirche noch zwei andere<lb/>
gothi&#x017F;che Pfarrkirchen, die während des großen Feuers zer&#x017F;tört<lb/>
wurden. Die Klo&#x017F;terkirche i&#x017F;t eine Schöpfung Gebhardt&#x2019;s von Arn-<lb/>
&#x017F;tein, <hi rendition="#g">Grafen zu Lindow und Ruppin</hi>. Dies mag uns, im<lb/>
näch&#x017F;ten Kapitel, zu einer kurzen Be&#x017F;prechung die&#x017F;es berühmten<lb/>
Ge&#x017F;chlechts führen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0049] Das Innere der Kirche, das glücklicher Weiſe den Rohziegel ſtatt der nüchternen weißen Tünche zeigt, hat doch immer noch, wie ſchon angedeutet, zu viel von proteſtantiſcher Kahlheit, als daß man ſich des glücklichen Einfalls des Malers (das Decken- gewölbe hat einen Anſtrich) nicht freuen ſollte, der, gemäß der ein- zigen nennenswerthen Tradition, die die Kirche beſitzt, eine Maus und Ratte erkennbar an die Decke malte. Dieſe Tradition iſt folgende. Im Sommer 1564, wenige Tage nachdem die Kirche dem lutheriſchen Gottesdienſte übergeben worden war, ſchritten zwei befreundete Geiſtliche, von denen der eine bei der alten Lehre ge- blieben war, durch das Schiff der Kirche und disputirten über die Frage des Tages. „Eher wird eine Maus eine Ratte hier über die Wölbung jagen,“ rief der Dominikaner, „als daß dieſe Kirche lutheriſch bleibt.“ Dem Lutheraner wurde die Antwort darauf erſpart; er zeigte nur an die Decke, wo ſich das Wunder eben vollzog. Unſer Sandboden hat wenig von ſol- chen Legenden gezeitigt und wir müſſen das Wenige werth halten, was überhaupt da iſt. Einige local-patriotiſche Ruppiner erzählen auch in etwas blasphemiſcher Nachahmung des Bibliſchen: „und der Tempel zerriß,“ daß in der Sterbeſtunde Martin Luther’s das Mittelgewölbe der Kloſterkirche geborſten ſei. Die Sache indeß iſt entweder eine völlig müßige Erfindung, oder aber die Uebertragung eines merkwürdigen Vorfalls von einer Kirche auf die andere. Ruppin hatte nämlich außer der Kloſterkirche noch zwei andere gothiſche Pfarrkirchen, die während des großen Feuers zerſtört wurden. Die Kloſterkirche iſt eine Schöpfung Gebhardt’s von Arn- ſtein, Grafen zu Lindow und Ruppin. Dies mag uns, im nächſten Kapitel, zu einer kurzen Beſprechung dieſes berühmten Geſchlechts führen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/49
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/49>, abgerufen am 23.11.2024.