Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen desselben Das Leben, das er mit diesen Offizieren führte, war frei *) Chevalier Chasot, der während der Rheincampagne (1734) im fran-
zösischen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des Prinzen Eugen, zunächst nicht, um in Dienst zu treten, sondern nur um ein Asyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen, dem er später nach Ruppin hin folgte. und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen deſſelben Das Leben, das er mit dieſen Offizieren führte, war frei *) Chevalier Chaſot, der während der Rheincampagne (1734) im fran-
zöſiſchen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des Prinzen Eugen, zunächſt nicht, um in Dienſt zu treten, ſondern nur um ein Aſyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen, dem er ſpäter nach Ruppin hin folgte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0064" n="46"/> und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen deſſelben<lb/> in die lachenden Anlagen ſeines Gartens führt. Da blüht es und<lb/> duftet es; Levkojen-Beete ziehen ſich an den Steigen hin, Melonen<lb/> werden gezogen und auf leiſ’ anſteigender Erhöhung, ziemlich in-<lb/> mitten des Gartens, erhebt ſich der „Tempel,“ der Vereinigungs-<lb/> ort des Kreiſes, den der Kronprinz hier allabendlich um ſich ver-<lb/> ſammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der „Tempel“<lb/> ſelber iſt einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf ſechs<lb/> korinthiſchen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den<lb/> Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer ſich einer beſon-<lb/> deren Gunſt erfreuten. Der Mond ſteht am Himmel, in dem dich-<lb/> ten Gebüſch des benachbarten Walls ſchlagen die Nachtigallen, die<lb/> Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe-<lb/> weglich, denn kein Lüftchen regt ſich und keine froſtig abwehrende<lb/> Prinzlichkeit ſtört die Heiterkeit des Kreiſes. Noch iſt kein Voltaire<lb/> da, der ſeine Piquanterien mit graziöſer Handbewegung präſentirt,<lb/> noch fehlen die Algarotti, d’Argens und Lamettrie, all’ die berühm-<lb/> ten Namen einer ſpäteren Epoche — Offiziere ſeines Regiments<lb/> ſind es zunächſt noch, die hier der Kronprinz um ſich verſammelt:<lb/> v. Kleiſt, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden-<lb/> brock, v. Wylich, vor allem — Chaſot. <note place="foot" n="*)">Chevalier Chaſot, der während der Rheincampagne (1734) im fran-<lb/> zöſiſchen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs<lb/> von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des<lb/> Prinzen Eugen, zunächſt nicht, um in Dienſt zu treten, ſondern nur um ein<lb/> Aſyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen,<lb/> dem er ſpäter nach Ruppin hin folgte.</note></p><lb/> <p>Das Leben, das er mit dieſen Offizieren führte, war frei<lb/> von allen Feſſeln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der<lb/> unſern heutigen Vorſtellungen von Anſtand und guter Sitte kaum<lb/> noch gefallen will. Fenſtereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer<lb/> abbrennen (zur Aengſtigung von Frauen und Landpaſtoren) zählte<lb/> zu den beliebteſten Unterhaltungsmitteln. Man war noch ſo un-<lb/> philoſophiſch wie möglich.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0064]
und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen deſſelben
in die lachenden Anlagen ſeines Gartens führt. Da blüht es und
duftet es; Levkojen-Beete ziehen ſich an den Steigen hin, Melonen
werden gezogen und auf leiſ’ anſteigender Erhöhung, ziemlich in-
mitten des Gartens, erhebt ſich der „Tempel,“ der Vereinigungs-
ort des Kreiſes, den der Kronprinz hier allabendlich um ſich ver-
ſammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der „Tempel“
ſelber iſt einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf ſechs
korinthiſchen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den
Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer ſich einer beſon-
deren Gunſt erfreuten. Der Mond ſteht am Himmel, in dem dich-
ten Gebüſch des benachbarten Walls ſchlagen die Nachtigallen, die
Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe-
weglich, denn kein Lüftchen regt ſich und keine froſtig abwehrende
Prinzlichkeit ſtört die Heiterkeit des Kreiſes. Noch iſt kein Voltaire
da, der ſeine Piquanterien mit graziöſer Handbewegung präſentirt,
noch fehlen die Algarotti, d’Argens und Lamettrie, all’ die berühm-
ten Namen einer ſpäteren Epoche — Offiziere ſeines Regiments
ſind es zunächſt noch, die hier der Kronprinz um ſich verſammelt:
v. Kleiſt, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden-
brock, v. Wylich, vor allem — Chaſot. *)
Das Leben, das er mit dieſen Offizieren führte, war frei
von allen Feſſeln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der
unſern heutigen Vorſtellungen von Anſtand und guter Sitte kaum
noch gefallen will. Fenſtereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer
abbrennen (zur Aengſtigung von Frauen und Landpaſtoren) zählte
zu den beliebteſten Unterhaltungsmitteln. Man war noch ſo un-
philoſophiſch wie möglich.
*) Chevalier Chaſot, der während der Rheincampagne (1734) im fran-
zöſiſchen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs
von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des
Prinzen Eugen, zunächſt nicht, um in Dienſt zu treten, ſondern nur um ein
Aſyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen,
dem er ſpäter nach Ruppin hin folgte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeFontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |