versprachen, da sie hohl und verstümmelt erscheinen. Der größte Baum, den man Castagna di cento cavalli nennt, weil in seiner Höhle 100 Pferde Platz haben, besteht jetzt aus fünf Stücken der äußern Rinde eines Stammes, die im Kreise um- herstehen und ein Laubgewölbe über sich bilden. Am Boden bemerkt man, daß sie ehemals einen Stamm bildeten. -- Der Stall eines schlechten Dorfes gab uns das Nachtquartier. Ueber meilenweite Felder von Asche und ungeheuren Lavaschlacken setzten wir am folgenden Morgen unsern Weg zum Gipfel fort. Nachmittags erreichten wir die Region des Waldes. Ein selt- samer Contrast, aus der schwarzen, formlosen Wüste der Lava, dessen schattenlose Ebene der Sonnenstrahl erhitzt, zu dem grünen Gewölbe des schönen Eichenhains in der Höhe des reinen, erfrischen- den Aethers! Es schlug die Nachtigall aus jedem Wipfel, der Kukuk rief aus der Tiefe des Waldes, und aller Zauber des lieblichsten Frühlings umgab uns. Der Weg, der sich steiler und einsamer in die Höhe windet, führte uns nach und nach dem Winter entgegen. Bald keimten nur die Bäume, und bald standen sie unbelaubt. Eisluft strich empfindlich vom Gipfel her, dessen glänzender Schnee durch die Zweige des Waldes leuchtete. Die Sonne war entwichen, als wir den Ausgang der Waldregion erreichten. Hier wölbt ein alter Lavastrom die Ziegenhöhle (Grotta delle Capri) den Zufluchtsort der Ziegenhirten, die in der einsamen Gegend hier zu übernachten pflegen. Unsere Thiere gingen im Walde umher und suchten sparsame Kräuter, indeß der Berg- führer mit dem Campieri beschäftigt war, ein helles Feuer in der Grotte anzuzünden. Des Laubes reichlichen Abfall häuften sie unter dem Fels zum Nachtlager und schritten dann, Fleisch zur Nachtkost zu rösten. Die erwärmte Höhle und das weiche Lager des Laubes schenkten uns sanfte Ruhe. Noch vor Mitternacht weckte uns die Stimme des Führers auf den Weg zum Gipfel des Berges, den wir mit Aufgang der Sonne zu erreichen wünschten. Der Mond schien hell in die rauhe Gegend. Es verloren sich nach und nach die Bäume. Die Schlacken hervorgeflutheter Lava thürmten sich mächtig empor und ließen nur mit Vorsicht sich erklimmen, tiefe
verſprachen, da ſie hohl und verſtümmelt erſcheinen. Der größte Baum, den man Castagna di cento cavalli nennt, weil in ſeiner Höhle 100 Pferde Platz haben, beſteht jetzt aus fünf Stücken der äußern Rinde eines Stammes, die im Kreiſe um- herſtehen und ein Laubgewölbe über ſich bilden. Am Boden bemerkt man, daß ſie ehemals einen Stamm bildeten. — Der Stall eines ſchlechten Dorfes gab uns das Nachtquartier. Ueber meilenweite Felder von Aſche und ungeheuren Lavaſchlacken ſetzten wir am folgenden Morgen unſern Weg zum Gipfel fort. Nachmittags erreichten wir die Region des Waldes. Ein ſelt- ſamer Contraſt, aus der ſchwarzen, formloſen Wüſte der Lava, deſſen ſchattenloſe Ebene der Sonnenſtrahl erhitzt, zu dem grünen Gewölbe des ſchönen Eichenhains in der Höhe des reinen, erfriſchen- den Aethers! Es ſchlug die Nachtigall aus jedem Wipfel, der Kukuk rief aus der Tiefe des Waldes, und aller Zauber des lieblichſten Frühlings umgab uns. Der Weg, der ſich ſteiler und einſamer in die Höhe windet, führte uns nach und nach dem Winter entgegen. Bald keimten nur die Bäume, und bald ſtanden ſie unbelaubt. Eisluft ſtrich empfindlich vom Gipfel her, deſſen glänzender Schnee durch die Zweige des Waldes leuchtete. Die Sonne war entwichen, als wir den Ausgang der Waldregion erreichten. Hier wölbt ein alter Lavaſtrom die Ziegenhöhle (Grotta delle Capri) den Zufluchtsort der Ziegenhirten, die in der einſamen Gegend hier zu übernachten pflegen. Unſere Thiere gingen im Walde umher und ſuchten ſparſame Kräuter, indeß der Berg- führer mit dem Campieri beſchäftigt war, ein helles Feuer in der Grotte anzuzünden. Des Laubes reichlichen Abfall häuften ſie unter dem Fels zum Nachtlager und ſchritten dann, Fleiſch zur Nachtkoſt zu röſten. Die erwärmte Höhle und das weiche Lager des Laubes ſchenkten uns ſanfte Ruhe. Noch vor Mitternacht weckte uns die Stimme des Führers auf den Weg zum Gipfel des Berges, den wir mit Aufgang der Sonne zu erreichen wünſchten. Der Mond ſchien hell in die rauhe Gegend. Es verloren ſich nach und nach die Bäume. Die Schlacken hervorgeflutheter Lava thürmten ſich mächtig empor und ließen nur mit Vorſicht ſich erklimmen, tiefe
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verſprachen, da ſie hohl und verſtümmelt erſcheinen. Der größte
Baum, den man Castagna di cento cavalli nennt, weil in
ſeiner Höhle 100 Pferde Platz haben, beſteht jetzt aus fünf
Stücken der äußern Rinde eines Stammes, die im Kreiſe um-
herſtehen und ein Laubgewölbe über ſich bilden. Am Boden
bemerkt man, daß ſie ehemals einen Stamm bildeten. —
Der Stall eines ſchlechten Dorfes gab uns das Nachtquartier.
Ueber meilenweite Felder von Aſche und ungeheuren Lavaſchlacken
ſetzten wir am folgenden Morgen unſern Weg zum Gipfel fort.
Nachmittags erreichten wir die Region des Waldes. Ein ſelt-
ſamer Contraſt, aus der ſchwarzen, formloſen Wüſte der Lava,
deſſen ſchattenloſe Ebene der Sonnenſtrahl erhitzt, zu dem grünen
Gewölbe des ſchönen Eichenhains in der Höhe des reinen, erfriſchen-
den Aethers! Es ſchlug die Nachtigall aus jedem Wipfel, der
Kukuk rief aus der Tiefe des Waldes, und aller Zauber des
lieblichſten Frühlings umgab uns. Der Weg, der ſich ſteiler und
einſamer in die Höhe windet, führte uns nach und nach dem
Winter entgegen. Bald keimten nur die Bäume, und bald ſtanden
ſie unbelaubt. Eisluft ſtrich empfindlich vom Gipfel her, deſſen
glänzender Schnee durch die Zweige des Waldes leuchtete. Die
Sonne war entwichen, als wir den Ausgang der Waldregion
erreichten. Hier wölbt ein alter Lavaſtrom die Ziegenhöhle
(Grotta delle Capri) den Zufluchtsort der Ziegenhirten, die in der
einſamen Gegend hier zu übernachten pflegen. Unſere Thiere gingen
im Walde umher und ſuchten ſparſame Kräuter, indeß der Berg-
führer mit dem Campieri beſchäftigt war, ein helles Feuer in der
Grotte anzuzünden. Des Laubes reichlichen Abfall häuften ſie unter
dem Fels zum Nachtlager und ſchritten dann, Fleiſch zur Nachtkoſt
zu röſten. Die erwärmte Höhle und das weiche Lager des Laubes
ſchenkten uns ſanfte Ruhe. Noch vor Mitternacht weckte uns die
Stimme des Führers auf den Weg zum Gipfel des Berges, den
wir mit Aufgang der Sonne zu erreichen wünſchten. Der Mond
ſchien hell in die rauhe Gegend. Es verloren ſich nach und nach
die Bäume. Die Schlacken hervorgeflutheter Lava thürmten ſich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/89>, abgerufen am 24.11.2024.
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