der Ansicht ist, daß das Rheinsberger Schloß mit all seinem Zauber doch am Ende kein Zauberschloß sei, das jeden Augenblick verschwinden könne, so beschließen wir, vor unserem Besuch ein solennes Frühstück einzunehmen und gewissenhaft zu proben, ob der Rathskeller seinem Namen Ehre macht oder nicht. Er thut es. Zwar ist er überhaupt kein Keller, sondern ein Fachwerkhaus wie andere Häuser; aber eben weil er sich jedem Vergleich mit seinen Namensvettern in Lübeck und Bremen geschickt entzieht, zwingt er den Besucher, alte Reminiscenzen bei Seite zu lassen und den Rheinsberger Keller zu nehmen, wie er ist. Er bildet seine eigne Art, und eine Art, die nicht zu verachten ist. Wer nämlich um die Sommerszeit beim Rathskeller vorfährt, pflegt nicht unterm Dach des Hauses, sondern unter dem Blätterdach der Kastanien abzusteigen, die in wirklicher Pracht einen vor dem Hause gele- genen Platz, den sogenannten "Triangel-Platz" umstehen. Man macht sich's bequem unter einer weiten, duftigen Laube und hat eine Kuppel über sich, die alsbald auch die Gewölbe des besten Kellers vergessen macht. So wenigstens erging es uns. Linden- und Kastanienblüthe über uns, so setzten wir uns zu Tisch; zwei Rheinsberger, an deren Kenntniß und Wohlgeneigtheit wir empfohlen waren, gesellten sich zu uns, und während die Vögel über uns musicirten und wir in erträglichem Rothwein auf das Wohl der Stadt Rheinsberg anstießen, machte sich die Unter- haltung.
"Ja," begann der eine, den wir den Morosen nennen wollen, "es thut Noth, daß man auf das Wohl Rheinsbergs anstößt; aber es wird wohl nichts helfen, eben so wenig, wie irgend etwas geholfen, was man bisher mit uns vorgenommen hat. Wir liegen außerhalb des großen Verkehrs, und der kleine Verkehr kann nichts bessern, denn was unmittelbar um uns her liegt, ist wo möglich noch ärmer als wir selbst. Durch ein unglaubliches Ver- sehn leben hier zwei Maler und ein Kupferstecher. Der Boden ist Sandland, Torflager giebt es nicht, und die Fischzucht kann nicht
der Anſicht iſt, daß das Rheinsberger Schloß mit all ſeinem Zauber doch am Ende kein Zauberſchloß ſei, das jeden Augenblick verſchwinden könne, ſo beſchließen wir, vor unſerem Beſuch ein ſolennes Frühſtück einzunehmen und gewiſſenhaft zu proben, ob der Rathskeller ſeinem Namen Ehre macht oder nicht. Er thut es. Zwar iſt er überhaupt kein Keller, ſondern ein Fachwerkhaus wie andere Häuſer; aber eben weil er ſich jedem Vergleich mit ſeinen Namensvettern in Lübeck und Bremen geſchickt entzieht, zwingt er den Beſucher, alte Reminiscenzen bei Seite zu laſſen und den Rheinsberger Keller zu nehmen, wie er iſt. Er bildet ſeine eigne Art, und eine Art, die nicht zu verachten iſt. Wer nämlich um die Sommerszeit beim Rathskeller vorfährt, pflegt nicht unterm Dach des Hauſes, ſondern unter dem Blätterdach der Kaſtanien abzuſteigen, die in wirklicher Pracht einen vor dem Hauſe gele- genen Platz, den ſogenannten „Triangel-Platz“ umſtehen. Man macht ſich’s bequem unter einer weiten, duftigen Laube und hat eine Kuppel über ſich, die alsbald auch die Gewölbe des beſten Kellers vergeſſen macht. So wenigſtens erging es uns. Linden- und Kaſtanienblüthe über uns, ſo ſetzten wir uns zu Tiſch; zwei Rheinsberger, an deren Kenntniß und Wohlgeneigtheit wir empfohlen waren, geſellten ſich zu uns, und während die Vögel über uns muſicirten und wir in erträglichem Rothwein auf das Wohl der Stadt Rheinsberg anſtießen, machte ſich die Unter- haltung.
„Ja,“ begann der eine, den wir den Moroſen nennen wollen, „es thut Noth, daß man auf das Wohl Rheinsbergs anſtößt; aber es wird wohl nichts helfen, eben ſo wenig, wie irgend etwas geholfen, was man bisher mit uns vorgenommen hat. Wir liegen außerhalb des großen Verkehrs, und der kleine Verkehr kann nichts beſſern, denn was unmittelbar um uns her liegt, iſt wo möglich noch ärmer als wir ſelbſt. Durch ein unglaubliches Ver- ſehn leben hier zwei Maler und ein Kupferſtecher. Der Boden iſt Sandland, Torflager giebt es nicht, und die Fiſchzucht kann nicht
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der Anſicht iſt, daß das Rheinsberger Schloß mit all ſeinem
Zauber doch am Ende kein Zauberſchloß ſei, das jeden Augenblick
verſchwinden könne, ſo beſchließen wir, vor unſerem Beſuch ein
ſolennes Frühſtück einzunehmen und gewiſſenhaft zu proben, ob
der Rathskeller ſeinem Namen Ehre macht oder nicht. Er thut es.
Zwar iſt er überhaupt kein Keller, ſondern ein Fachwerkhaus wie
andere Häuſer; aber eben weil er ſich jedem Vergleich mit ſeinen
Namensvettern in Lübeck und Bremen geſchickt entzieht, zwingt er
den Beſucher, alte Reminiscenzen bei Seite zu laſſen und den
Rheinsberger Keller zu nehmen, wie er iſt. Er bildet ſeine eigne
Art, und eine Art, die nicht zu verachten iſt. Wer nämlich um
die Sommerszeit beim Rathskeller vorfährt, pflegt nicht unterm
Dach des Hauſes, ſondern unter dem Blätterdach der Kaſtanien
abzuſteigen, die in wirklicher Pracht einen vor dem Hauſe gele-
genen Platz, den ſogenannten „Triangel-Platz“ umſtehen. Man
macht ſich’s bequem unter einer weiten, duftigen Laube und hat
eine Kuppel über ſich, die alsbald auch die Gewölbe des beſten
Kellers vergeſſen macht. So wenigſtens erging es uns. Linden-
und Kaſtanienblüthe über uns, ſo ſetzten wir uns zu Tiſch; zwei
Rheinsberger, an deren Kenntniß und Wohlgeneigtheit wir
empfohlen waren, geſellten ſich zu uns, und während die Vögel
über uns muſicirten und wir in erträglichem Rothwein auf das
Wohl der Stadt Rheinsberg anſtießen, machte ſich die Unter-
haltung.
„Ja,“ begann der eine, den wir den Moroſen nennen wollen,
„es thut Noth, daß man auf das Wohl Rheinsbergs anſtößt;
aber es wird wohl nichts helfen, eben ſo wenig, wie irgend etwas
geholfen, was man bisher mit uns vorgenommen hat. Wir liegen
außerhalb des großen Verkehrs, und der kleine Verkehr kann
nichts beſſern, denn was unmittelbar um uns her liegt, iſt wo
möglich noch ärmer als wir ſelbſt. Durch ein unglaubliches Ver-
ſehn leben hier zwei Maler und ein Kupferſtecher. Der Boden iſt
Sandland, Torflager giebt es nicht, und die Fiſchzucht kann nicht
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/98>, abgerufen am 24.11.2024.
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