fenster hinein oder über das Portal hinweg. Jenseits des Amts- hofes, auf dessen Tümpel und Pfuhl die helle Morgensonne fällt, steigt der Brennereischornstein aus dem Refektorium des alten Bi- schofssitzes auf; aber wo Tod und Leben, Poesie und Prosa so dicht bei einander wohnen wie hier, stört auch die Rauchfahne nicht, die eben jetzt über dem Refektorium weht.
Die Liebfrauenkirche zu Beeskow, ein schöner gothischer Bau aus dem dreizehnten Jahrhundert, war längst eine Zierde der Stadt, eh' die Lebuser Bischöfe als Neubesitzer und Neuerbauer in Schloß Beeskow einzogen. Sie war dreihundert Jahre vor dem Bischofs- hause da und hat es nun ebenso lange überlebt. Diese schöne Kirche zählt zu den schönsten in der Mark, und der Epheu, der sich an einigen Fenstern bis in den Spitzbogen emporrankt, scheint zu wissen, was er an ihr hat. Der massive Thurm geht in seinem zweiten Stockwerk sehr gefällig aus dem Viereck in's Achteck über und eine pyramidenförmige Spitze schließt den ganzen Bau ge- fällig ab.
Eine 82jährige Küsterfrau führte mich in die Kirche ein, plauderte mit mir, stieg Treppen auf und ab und ich bin ihr das Zeugniß schuldig, daß ich nie einen besseren Führer gehabt habe. Sie zeigte mir Großes und Kleines, Andacht und Stadtklatsch flossen gleichen Tones über ihre Lippen; sie sprach bereits -- sie war eben 82 Jahr alt -- mit jener unterschiedslosen Ruhe, die so sehr verdrießt, wo man Partei ist, aber so wohlthut, wo der Hörer mit über den Parteien steht. Sie zeigte mir den Gekreuzig- ten und den einen Schächer, die "wegen Unschönheit" in einen Seitenraum geschafft worden waren, und erklärte mir die Grab- steine vor'm Altar. Der eine war hellbraun und sehr abgetreten. "Das ist unser Pfefferkuchenmann", sagte sie ruhig, und wirklich, das alte Rathsherrnbild konnte nicht treffender bezeichnet werden. An einem der Pfeiler blieb sie stehen. "Da war früher ein Bild: ein Schachbrett und ein Mohr darüber; es hing da zum Gedächt- niß an eine vornehme Frau, die alles verspielt hatte, bis auf ihr Schachbrett und ihren Mohren." Dann ging es treppauf und ab.
fenſter hinein oder über das Portal hinweg. Jenſeits des Amts- hofes, auf deſſen Tümpel und Pfuhl die helle Morgenſonne fällt, ſteigt der Brennereiſchornſtein aus dem Refektorium des alten Bi- ſchofsſitzes auf; aber wo Tod und Leben, Poeſie und Proſa ſo dicht bei einander wohnen wie hier, ſtört auch die Rauchfahne nicht, die eben jetzt über dem Refektorium weht.
Die Liebfrauenkirche zu Beeskow, ein ſchöner gothiſcher Bau aus dem dreizehnten Jahrhundert, war längſt eine Zierde der Stadt, eh’ die Lebuſer Biſchöfe als Neubeſitzer und Neuerbauer in Schloß Beeskow einzogen. Sie war dreihundert Jahre vor dem Biſchofs- hauſe da und hat es nun ebenſo lange überlebt. Dieſe ſchöne Kirche zählt zu den ſchönſten in der Mark, und der Epheu, der ſich an einigen Fenſtern bis in den Spitzbogen emporrankt, ſcheint zu wiſſen, was er an ihr hat. Der maſſive Thurm geht in ſeinem zweiten Stockwerk ſehr gefällig aus dem Viereck in’s Achteck über und eine pyramidenförmige Spitze ſchließt den ganzen Bau ge- fällig ab.
Eine 82jährige Küſterfrau führte mich in die Kirche ein, plauderte mit mir, ſtieg Treppen auf und ab und ich bin ihr das Zeugniß ſchuldig, daß ich nie einen beſſeren Führer gehabt habe. Sie zeigte mir Großes und Kleines, Andacht und Stadtklatſch floſſen gleichen Tones über ihre Lippen; ſie ſprach bereits — ſie war eben 82 Jahr alt — mit jener unterſchiedsloſen Ruhe, die ſo ſehr verdrießt, wo man Partei iſt, aber ſo wohlthut, wo der Hörer mit über den Parteien ſteht. Sie zeigte mir den Gekreuzig- ten und den einen Schächer, die „wegen Unſchönheit“ in einen Seitenraum geſchafft worden waren, und erklärte mir die Grab- ſteine vor’m Altar. Der eine war hellbraun und ſehr abgetreten. „Das iſt unſer Pfefferkuchenmann“, ſagte ſie ruhig, und wirklich, das alte Rathsherrnbild konnte nicht treffender bezeichnet werden. An einem der Pfeiler blieb ſie ſtehen. „Da war früher ein Bild: ein Schachbrett und ein Mohr darüber; es hing da zum Gedächt- niß an eine vornehme Frau, die alles verſpielt hatte, bis auf ihr Schachbrett und ihren Mohren.“ Dann ging es treppauf und ab.
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fenſter hinein oder über das Portal hinweg. Jenſeits des Amts-
hofes, auf deſſen Tümpel und Pfuhl die helle Morgenſonne fällt,
ſteigt der Brennereiſchornſtein aus dem Refektorium des alten Bi-
ſchofsſitzes auf; aber wo Tod und Leben, Poeſie und Proſa ſo
dicht bei einander wohnen wie hier, ſtört auch die Rauchfahne nicht,
die eben jetzt über dem Refektorium weht.
Die Liebfrauenkirche zu Beeskow, ein ſchöner gothiſcher Bau
aus dem dreizehnten Jahrhundert, war längſt eine Zierde der Stadt,
eh’ die Lebuſer Biſchöfe als Neubeſitzer und Neuerbauer in Schloß
Beeskow einzogen. Sie war dreihundert Jahre vor dem Biſchofs-
hauſe da und hat es nun ebenſo lange überlebt. Dieſe ſchöne
Kirche zählt zu den ſchönſten in der Mark, und der Epheu, der
ſich an einigen Fenſtern bis in den Spitzbogen emporrankt, ſcheint
zu wiſſen, was er an ihr hat. Der maſſive Thurm geht in ſeinem
zweiten Stockwerk ſehr gefällig aus dem Viereck in’s Achteck über
und eine pyramidenförmige Spitze ſchließt den ganzen Bau ge-
fällig ab.
Eine 82jährige Küſterfrau führte mich in die Kirche ein,
plauderte mit mir, ſtieg Treppen auf und ab und ich bin ihr das
Zeugniß ſchuldig, daß ich nie einen beſſeren Führer gehabt habe.
Sie zeigte mir Großes und Kleines, Andacht und Stadtklatſch
floſſen gleichen Tones über ihre Lippen; ſie ſprach bereits — ſie
war eben 82 Jahr alt — mit jener unterſchiedsloſen Ruhe, die
ſo ſehr verdrießt, wo man Partei iſt, aber ſo wohlthut, wo der
Hörer mit über den Parteien ſteht. Sie zeigte mir den Gekreuzig-
ten und den einen Schächer, die „wegen Unſchönheit“ in einen
Seitenraum geſchafft worden waren, und erklärte mir die Grab-
ſteine vor’m Altar. Der eine war hellbraun und ſehr abgetreten.
„Das iſt unſer Pfefferkuchenmann“, ſagte ſie ruhig, und wirklich,
das alte Rathsherrnbild konnte nicht treffender bezeichnet werden.
An einem der Pfeiler blieb ſie ſtehen. „Da war früher ein Bild:
ein Schachbrett und ein Mohr darüber; es hing da zum Gedächt-
niß an eine vornehme Frau, die alles verſpielt hatte, bis auf ihr
Schachbrett und ihren Mohren.“ Dann ging es treppauf und ab.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/116>, abgerufen am 25.11.2024.
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