Alte Zeit und alte Sitt' Konnten nicht länger halten Schritt, Aber sieh da, das alte Kleid Hat länger gelebt als Sitt' und Zeit.
Das Oderbruch -- oder doch wenigstens das Niederbruch, von dem wir im Nachstehenden ausschließlich sprechen -- blieb sehr lange wendisch. Wahrscheinlich waren alle seine Bewohner bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts von ziemlich unvermischter wendi- scher Abstammung. Die deutsche Sprache war eingedrungen (es ist nicht festzustellen wann), aber nicht das deutsche Blut. Die Gegend war auch nicht dazu angethan, zu einer Uebersiedlung ein- zuladen. Ackerland gab es nicht, desto mehr Ueberschwemmungen und der Fischfang, den die Wenden, wenigstens in diesen Gegen- den, vorzugsweise betrieben, hatte nichts Verlockendes für die Deut- schen, die zu allen Zeiten entweder den Ackerbau oder die Meer- fahrt, aber nicht den Fischfang liebten. Dazu kam, daß die alten Wenden, wie es scheint, von sehr nationaler und sehr exclusiver Richtung waren und den wenigen deutschen Colonisten, die sich hier niederließen (z. B. unter dem großen Kurfürsten), das Leben so schwer wie möglich machten.
Ueber die Art nun, wie die wendischen Bewohner hier leb- ten, wissen wir wenig, und das beste Theil unsrer Kenntniß ha- ben wir aus Vergleichen und Schlußfolgerungen zu schöpfen. Di-
3. Die alten Bewohner.
Alte Zeit und alte Sitt’ Konnten nicht länger halten Schritt, Aber ſieh da, das alte Kleid Hat länger gelebt als Sitt’ und Zeit.
Das Oderbruch — oder doch wenigſtens das Niederbruch, von dem wir im Nachſtehenden ausſchließlich ſprechen — blieb ſehr lange wendiſch. Wahrſcheinlich waren alle ſeine Bewohner bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts von ziemlich unvermiſchter wendi- ſcher Abſtammung. Die deutſche Sprache war eingedrungen (es iſt nicht feſtzuſtellen wann), aber nicht das deutſche Blut. Die Gegend war auch nicht dazu angethan, zu einer Ueberſiedlung ein- zuladen. Ackerland gab es nicht, deſto mehr Ueberſchwemmungen und der Fiſchfang, den die Wenden, wenigſtens in dieſen Gegen- den, vorzugsweiſe betrieben, hatte nichts Verlockendes für die Deut- ſchen, die zu allen Zeiten entweder den Ackerbau oder die Meer- fahrt, aber nicht den Fiſchfang liebten. Dazu kam, daß die alten Wenden, wie es ſcheint, von ſehr nationaler und ſehr excluſiver Richtung waren und den wenigen deutſchen Coloniſten, die ſich hier niederließen (z. B. unter dem großen Kurfürſten), das Leben ſo ſchwer wie möglich machten.
Ueber die Art nun, wie die wendiſchen Bewohner hier leb- ten, wiſſen wir wenig, und das beſte Theil unſrer Kenntniß ha- ben wir aus Vergleichen und Schlußfolgerungen zu ſchöpfen. Di-
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[[205]/0217]
3.
Die alten Bewohner.
Alte Zeit und alte Sitt’
Konnten nicht länger halten Schritt,
Aber ſieh da, das alte Kleid
Hat länger gelebt als Sitt’ und Zeit.
Das Oderbruch — oder doch wenigſtens das Niederbruch, von
dem wir im Nachſtehenden ausſchließlich ſprechen — blieb ſehr
lange wendiſch. Wahrſcheinlich waren alle ſeine Bewohner bis zur
Mitte des vorigen Jahrhunderts von ziemlich unvermiſchter wendi-
ſcher Abſtammung. Die deutſche Sprache war eingedrungen (es
iſt nicht feſtzuſtellen wann), aber nicht das deutſche Blut. Die
Gegend war auch nicht dazu angethan, zu einer Ueberſiedlung ein-
zuladen. Ackerland gab es nicht, deſto mehr Ueberſchwemmungen
und der Fiſchfang, den die Wenden, wenigſtens in dieſen Gegen-
den, vorzugsweiſe betrieben, hatte nichts Verlockendes für die Deut-
ſchen, die zu allen Zeiten entweder den Ackerbau oder die Meer-
fahrt, aber nicht den Fiſchfang liebten. Dazu kam, daß die alten
Wenden, wie es ſcheint, von ſehr nationaler und ſehr excluſiver
Richtung waren und den wenigen deutſchen Coloniſten, die ſich
hier niederließen (z. B. unter dem großen Kurfürſten), das Leben
ſo ſchwer wie möglich machten.
Ueber die Art nun, wie die wendiſchen Bewohner hier leb-
ten, wiſſen wir wenig, und das beſte Theil unſrer Kenntniß ha-
ben wir aus Vergleichen und Schlußfolgerungen zu ſchöpfen. Di-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [205]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/217>, abgerufen am 25.11.2024.
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