Erscheinungen kannte, hatte ihn im Einzelnen angeregt und be- lehrt, im Ganzen aber unbefriedigt gelassen. Dasselbe galt von den englischen landwirthschaftlichen Schriften, soweit er dieselben aus Uebersetzungen kennen gelernt hatte; er schloß sich dem Spott derer an, die damals von einer "Anglomanie" (besonders in der Landwirthschaft) zu sprechen begannen und war -- etwa gegen Anfang der 80er Jahre -- der festen Ueberzeugung, daß auch aus England nichts zu holen sei und daß die deutsche Land- wirthschaft sich selber helfen müsse.
Genau um diese Zeit war es, als ein glückliches Ohngefähr ihm einige englische landwirthschaftliche Schriften im Original zuführte. Wie war er freudig überrascht, darin die genauesten Be- obachtungen, die sorgfältigsten Versuche, die auch die kleinsten Ein- zelnheiten beachtenden Berechnungen, die lichtvollsten Verhandlungen und Forschungen zu finden! Das war ja genau, im Großen und Kleinen, was ihm als Ziel einer rationellen Landwirthschaft vor- geschwebt hatte. Das, wonach sein Streben ging, -- die Eng- länder hatten es bereits. Seitdem studirte Thaer die englische Landwirthschaft mit solcher Aufmerksamkeit, daß Engländer selbst ihm zugestanden: er kenne England (obgleich er nie da war) wie wenn er es Jahre lang durchreist habe.
Die Frucht dieser ernsten und anhaltenden Studien war sein berühmtes Werk, dessen erster Theil 1798 unter dem Titel er- schien: "Einleitung zur Kenntniß der englischen Land- wirthschaft und ihrer neueren praktischen und theoretischen Fort- schritte, in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirth- schaft, für denkende Landwirthe und Cameralisten."*) Der zweite
*) Dies Werk "Einleitung zur Kenntniß der englischen Landwirth- schaft" ist allerdings theilweis eine Compilation, aber es ist keine Uebersetzung. Thaers Arbeit ist aus der gründlichen Kenntniß und Benutzung von mehr als 100 englischen Werken hervorgegangen. Die englische landwirthschaftliche Literatur lieferte ihm das Material, eine Fülle von Details; das Zusammenfassen, Ordnen, Aufbauen -- das Licht hin- eintragen in das Chaos, ist Thaers Verdienst.
Erſcheinungen kannte, hatte ihn im Einzelnen angeregt und be- lehrt, im Ganzen aber unbefriedigt gelaſſen. Daſſelbe galt von den engliſchen landwirthſchaftlichen Schriften, ſoweit er dieſelben aus Ueberſetzungen kennen gelernt hatte; er ſchloß ſich dem Spott derer an, die damals von einer „Anglomanie“ (beſonders in der Landwirthſchaft) zu ſprechen begannen und war — etwa gegen Anfang der 80er Jahre — der feſten Ueberzeugung, daß auch aus England nichts zu holen ſei und daß die deutſche Land- wirthſchaft ſich ſelber helfen müſſe.
Genau um dieſe Zeit war es, als ein glückliches Ohngefähr ihm einige engliſche landwirthſchaftliche Schriften im Original zuführte. Wie war er freudig überraſcht, darin die genaueſten Be- obachtungen, die ſorgfältigſten Verſuche, die auch die kleinſten Ein- zelnheiten beachtenden Berechnungen, die lichtvollſten Verhandlungen und Forſchungen zu finden! Das war ja genau, im Großen und Kleinen, was ihm als Ziel einer rationellen Landwirthſchaft vor- geſchwebt hatte. Das, wonach ſein Streben ging, — die Eng- länder hatten es bereits. Seitdem ſtudirte Thaer die engliſche Landwirthſchaft mit ſolcher Aufmerkſamkeit, daß Engländer ſelbſt ihm zugeſtanden: er kenne England (obgleich er nie da war) wie wenn er es Jahre lang durchreiſt habe.
Die Frucht dieſer ernſten und anhaltenden Studien war ſein berühmtes Werk, deſſen erſter Theil 1798 unter dem Titel er- ſchien: „Einleitung zur Kenntniß der engliſchen Land- wirthſchaft und ihrer neueren praktiſchen und theoretiſchen Fort- ſchritte, in Rückſicht auf Vervollkommnung deutſcher Landwirth- ſchaft, für denkende Landwirthe und Cameraliſten.“*) Der zweite
*) Dies Werk „Einleitung zur Kenntniß der engliſchen Landwirth- ſchaft“ iſt allerdings theilweis eine Compilation, aber es iſt keine Ueberſetzung. Thaers Arbeit iſt aus der gründlichen Kenntniß und Benutzung von mehr als 100 engliſchen Werken hervorgegangen. Die engliſche landwirthſchaftliche Literatur lieferte ihm das Material, eine Fülle von Details; das Zuſammenfaſſen, Ordnen, Aufbauen — das Licht hin- eintragen in das Chaos, iſt Thaers Verdienſt.
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Erſcheinungen kannte, hatte ihn im Einzelnen angeregt und be-
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den engliſchen landwirthſchaftlichen Schriften, ſoweit er dieſelben
aus Ueberſetzungen kennen gelernt hatte; er ſchloß ſich dem
Spott derer an, die damals von einer „Anglomanie“ (beſonders
in der Landwirthſchaft) zu ſprechen begannen und war — etwa
gegen Anfang der 80er Jahre — der feſten Ueberzeugung, daß
auch aus England nichts zu holen ſei und daß die deutſche Land-
wirthſchaft ſich ſelber helfen müſſe.
Genau um dieſe Zeit war es, als ein glückliches Ohngefähr
ihm einige engliſche landwirthſchaftliche Schriften im Original
zuführte. Wie war er freudig überraſcht, darin die genaueſten Be-
obachtungen, die ſorgfältigſten Verſuche, die auch die kleinſten Ein-
zelnheiten beachtenden Berechnungen, die lichtvollſten Verhandlungen
und Forſchungen zu finden! Das war ja genau, im Großen und
Kleinen, was ihm als Ziel einer rationellen Landwirthſchaft vor-
geſchwebt hatte. Das, wonach ſein Streben ging, — die Eng-
länder hatten es bereits. Seitdem ſtudirte Thaer die engliſche
Landwirthſchaft mit ſolcher Aufmerkſamkeit, daß Engländer ſelbſt
ihm zugeſtanden: er kenne England (obgleich er nie da war) wie
wenn er es Jahre lang durchreiſt habe.
Die Frucht dieſer ernſten und anhaltenden Studien war ſein
berühmtes Werk, deſſen erſter Theil 1798 unter dem Titel er-
ſchien: „Einleitung zur Kenntniß der engliſchen Land-
wirthſchaft und ihrer neueren praktiſchen und theoretiſchen Fort-
ſchritte, in Rückſicht auf Vervollkommnung deutſcher Landwirth-
ſchaft, für denkende Landwirthe und Cameraliſten.“ *) Der zweite
*) Dies Werk „Einleitung zur Kenntniß der engliſchen Landwirth-
ſchaft“ iſt allerdings theilweis eine Compilation, aber es iſt keine
Ueberſetzung. Thaers Arbeit iſt aus der gründlichen Kenntniß und
Benutzung von mehr als 100 engliſchen Werken hervorgegangen. Die
engliſche landwirthſchaftliche Literatur lieferte ihm das Material, eine Fülle
von Details; das Zuſammenfaſſen, Ordnen, Aufbauen — das Licht hin-
eintragen in das Chaos, iſt Thaers Verdienſt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/247>, abgerufen am 27.07.2024.
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