die Kinder fehlen, deren Uebermuth wir gestern schon etwas zu Gute halten durften, auch der Baldachin fehlt, dessen scharfe und ausgezackte Wachsleinwand gestern wie eine Harke in die Bäume fuhr. Ohne Erlebniß, ohne Lärm und Jubel, nur dem stillen Eindruck der Landschaft und der Herbstesfrische hingegeben, beenden wir unsern Weg und biegen jetzt, mit plötzlicher Schwen- kung nach links, in die Falkenberger Dorfstraße ein. Bis dahin am Rand der Berge fahrend, sind wir, durch diese Biegung, wie in das Dorf, so auch in die Berge selbst gerathen. Die steile Wand, die eben noch frei in's Bruch blickte, blickt jetzt auf eine Bergwand gegenüber; das Bild hat seinen Charakter ge- ändert, und der nach rechts hin geöffnete Weg ist ein Hohlweg, eine Schlucht geworden. In dieser Schlucht liegt Falken- berg. Die einschließenden Berge gewähren die schönste und wech- selndste Aussicht; die Bergwand rechts blickt in das Bruch, die Wände und Kuppen zur Linken aber blicken in die Verschlingun- gen und Kesseltiefen der eigentlichen Wald- und Berglandschaft hinein.
Ehe wir indessen diese Wände und Kuppen ersteigen und nach rechts und links hin Umschau halten, steigen wir in die zu unterst gelegene Gasse des Dorfes nieder, wohin uns die weiße Wand und mehr noch der melodische Lärm einer Wassermühle lockt. Dort sind wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Thür, und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der Mühl- bach schäumt (pickende Hühner um uns her und Sommerfäden in der Luft), so rasten wir und plaudern von Falkenberg und sei- nen Bewohnern.
Falkenberg ist doppellebig. Seine Natur bringt das so mit sich. Die Bruchlandschaft rechts, die Berglandschaft links, da ha- ben wir die Bedingungen dieser Doppellebigkeit. Die Wiesen ma- chen es zu einem Bruchdorf, die Berge mit ihren Quellen und schattigen Plätzen zu einem Brunnen- und Badedorf. Im Ein- klang mit dieser Doppellebigkeit unterscheiden wir denn auch einen Sommer- und einen Winter-Falkenberger.
die Kinder fehlen, deren Uebermuth wir geſtern ſchon etwas zu Gute halten durften, auch der Baldachin fehlt, deſſen ſcharfe und ausgezackte Wachsleinwand geſtern wie eine Harke in die Bäume fuhr. Ohne Erlebniß, ohne Lärm und Jubel, nur dem ſtillen Eindruck der Landſchaft und der Herbſtesfriſche hingegeben, beenden wir unſern Weg und biegen jetzt, mit plötzlicher Schwen- kung nach links, in die Falkenberger Dorfſtraße ein. Bis dahin am Rand der Berge fahrend, ſind wir, durch dieſe Biegung, wie in das Dorf, ſo auch in die Berge ſelbſt gerathen. Die ſteile Wand, die eben noch frei in’s Bruch blickte, blickt jetzt auf eine Bergwand gegenüber; das Bild hat ſeinen Charakter ge- ändert, und der nach rechts hin geöffnete Weg iſt ein Hohlweg, eine Schlucht geworden. In dieſer Schlucht liegt Falken- berg. Die einſchließenden Berge gewähren die ſchönſte und wech- ſelndſte Ausſicht; die Bergwand rechts blickt in das Bruch, die Wände und Kuppen zur Linken aber blicken in die Verſchlingun- gen und Keſſeltiefen der eigentlichen Wald- und Berglandſchaft hinein.
Ehe wir indeſſen dieſe Wände und Kuppen erſteigen und nach rechts und links hin Umſchau halten, ſteigen wir in die zu unterſt gelegene Gaſſe des Dorfes nieder, wohin uns die weiße Wand und mehr noch der melodiſche Lärm einer Waſſermühle lockt. Dort ſind wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Thür, und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der Mühl- bach ſchäumt (pickende Hühner um uns her und Sommerfäden in der Luft), ſo raſten wir und plaudern von Falkenberg und ſei- nen Bewohnern.
Falkenberg iſt doppellebig. Seine Natur bringt das ſo mit ſich. Die Bruchlandſchaft rechts, die Berglandſchaft links, da ha- ben wir die Bedingungen dieſer Doppellebigkeit. Die Wieſen ma- chen es zu einem Bruchdorf, die Berge mit ihren Quellen und ſchattigen Plätzen zu einem Brunnen- und Badedorf. Im Ein- klang mit dieſer Doppellebigkeit unterſcheiden wir denn auch einen Sommer- und einen Winter-Falkenberger.
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die Kinder fehlen, deren Uebermuth wir geſtern ſchon etwas zu
Gute halten durften, auch der Baldachin fehlt, deſſen ſcharfe
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Bäume fuhr. Ohne Erlebniß, ohne Lärm und Jubel, nur dem
ſtillen Eindruck der Landſchaft und der Herbſtesfriſche hingegeben,
beenden wir unſern Weg und biegen jetzt, mit plötzlicher Schwen-
kung nach links, in die Falkenberger Dorfſtraße ein. Bis dahin
am Rand der Berge fahrend, ſind wir, durch dieſe Biegung,
wie in das Dorf, ſo auch in die Berge ſelbſt gerathen. Die
ſteile Wand, die eben noch frei in’s Bruch blickte, blickt jetzt auf
eine Bergwand gegenüber; das Bild hat ſeinen Charakter ge-
ändert, und der nach rechts hin geöffnete Weg iſt ein Hohlweg,
eine Schlucht geworden. In dieſer Schlucht liegt Falken-
berg. Die einſchließenden Berge gewähren die ſchönſte und wech-
ſelndſte Ausſicht; die Bergwand rechts blickt in das Bruch, die
Wände und Kuppen zur Linken aber blicken in die Verſchlingun-
gen und Keſſeltiefen der eigentlichen Wald- und Berglandſchaft
hinein.
Ehe wir indeſſen dieſe Wände und Kuppen erſteigen und
nach rechts und links hin Umſchau halten, ſteigen wir in die zu
unterſt gelegene Gaſſe des Dorfes nieder, wohin uns die weiße
Wand und mehr noch der melodiſche Lärm einer Waſſermühle
lockt. Dort ſind wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der
Thür, und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der Mühl-
bach ſchäumt (pickende Hühner um uns her und Sommerfäden in
der Luft), ſo raſten wir und plaudern von Falkenberg und ſei-
nen Bewohnern.
Falkenberg iſt doppellebig. Seine Natur bringt das ſo mit
ſich. Die Bruchlandſchaft rechts, die Berglandſchaft links, da ha-
ben wir die Bedingungen dieſer Doppellebigkeit. Die Wieſen ma-
chen es zu einem Bruchdorf, die Berge mit ihren Quellen und
ſchattigen Plätzen zu einem Brunnen- und Badedorf. Im Ein-
klang mit dieſer Doppellebigkeit unterſcheiden wir denn auch einen
Sommer- und einen Winter-Falkenberger.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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