überzeugt habe, daß das "wendische Blut" ihn doch auf falsche Wege geführt und ihn bittrer und eigensinniger gemacht hatte, als nöthig. Die Sache ist nämlich die: Bruchländereien, in denen das Wasser vordem elf Fuß hoch zu stehen pflegte, genossen das trau- rige Vorrecht, alle Jahre überschwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Wasser, jahrelang von jeder Ueber- schwemmung befreit blieben. Ein Fuß Wasser oder elf Fuß Wasser ist freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Wasser-Leute hat- ten eben das Wasser immer, während es die Ein-Fuß-Wasser- Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müssen aber doch all- jährlich ihre Beisteuer zahlen.
Der Winter-Falkenberger ist märkisch, der Sommer-Fal- kenberger ist thüringisch, eine Art Ruhlenser: freundlich, gebil- det, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, giebt Auskunft, zeigt den Weg. Ueberall gute Form und gute Sitte, eine "Manierlichkeit", wie sie sonst in den Marken (zumal in den Odergegenden) nicht leicht betroffen wird. Diese Manier- lichkeit ist zum guten Theil etwas Aeußerliches, ein Kleid, das an- und abgelegt werden kann, aber wenn ich recht gesehen habe, so ist diese thüringisch-mitteldeutsche Art, wie sie einem hier entgegen- tritt, doch nicht blos etwas Angenommenes, sondern guten Theils auch das Produkt einer mitteldeutschen Landschaft, einer Thürin- gischen Umgebung und Natur. Der modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen auf den Menschen selber übt, wird wohl kaum noch bestritten, und hier haben wir ein Beispiel da- von. Die Falkenberger früherer Jahrhunderte, deren Eigenart noch in dem Winter-Falkenberger fortlebt, hatten ihr Auge nur der Wiese und dem Wasser zugewandt, und sie waren und blieben wendisch-märkische Fischersleute durch viele Jahrhunderte hindurch; von dem Augenblick an aber, wo sie sich, zumal um die Som- merszeit, den schönen Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer so nah gelegenen und doch so spät erst entdeckten thüringischen Natur entstand etwas von thüringischer
überzeugt habe, daß das „wendiſche Blut“ ihn doch auf falſche Wege geführt und ihn bittrer und eigenſinniger gemacht hatte, als nöthig. Die Sache iſt nämlich die: Bruchländereien, in denen das Waſſer vordem elf Fuß hoch zu ſtehen pflegte, genoſſen das trau- rige Vorrecht, alle Jahre überſchwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Waſſer, jahrelang von jeder Ueber- ſchwemmung befreit blieben. Ein Fuß Waſſer oder elf Fuß Waſſer iſt freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Waſſer-Leute hat- ten eben das Waſſer immer, während es die Ein-Fuß-Waſſer- Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müſſen aber doch all- jährlich ihre Beiſteuer zahlen.
Der Winter-Falkenberger iſt märkiſch, der Sommer-Fal- kenberger iſt thüringiſch, eine Art Ruhlenſer: freundlich, gebil- det, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, giebt Auskunft, zeigt den Weg. Ueberall gute Form und gute Sitte, eine „Manierlichkeit“, wie ſie ſonſt in den Marken (zumal in den Odergegenden) nicht leicht betroffen wird. Dieſe Manier- lichkeit iſt zum guten Theil etwas Aeußerliches, ein Kleid, das an- und abgelegt werden kann, aber wenn ich recht geſehen habe, ſo iſt dieſe thüringiſch-mitteldeutſche Art, wie ſie einem hier entgegen- tritt, doch nicht blos etwas Angenommenes, ſondern guten Theils auch das Produkt einer mitteldeutſchen Landſchaft, einer Thürin- giſchen Umgebung und Natur. Der modelnde Einfluß, den die Wohnſtätte des Menſchen auf den Menſchen ſelber übt, wird wohl kaum noch beſtritten, und hier haben wir ein Beiſpiel da- von. Die Falkenberger früherer Jahrhunderte, deren Eigenart noch in dem Winter-Falkenberger fortlebt, hatten ihr Auge nur der Wieſe und dem Waſſer zugewandt, und ſie waren und blieben wendiſch-märkiſche Fiſchersleute durch viele Jahrhunderte hindurch; von dem Augenblick an aber, wo ſie ſich, zumal um die Som- merszeit, den ſchönen Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formenſinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer ſo nah gelegenen und doch ſo ſpät erſt entdeckten thüringiſchen Natur entſtand etwas von thüringiſcher
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überzeugt habe, daß das „wendiſche Blut“ ihn doch auf falſche
Wege geführt und ihn bittrer und eigenſinniger gemacht hatte, als
nöthig. Die Sache iſt nämlich die: Bruchländereien, in denen das
Waſſer vordem elf Fuß hoch zu ſtehen pflegte, genoſſen das trau-
rige Vorrecht, alle Jahre überſchwemmt zu werden, während
Ländereien mit einem Fuß Waſſer, jahrelang von jeder Ueber-
ſchwemmung befreit blieben. Ein Fuß Waſſer oder elf Fuß
Waſſer iſt freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Waſſer-Leute hat-
ten eben das Waſſer immer, während es die Ein-Fuß-Waſſer-
Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müſſen aber doch all-
jährlich ihre Beiſteuer zahlen.
Der Winter-Falkenberger iſt märkiſch, der Sommer-Fal-
kenberger iſt thüringiſch, eine Art Ruhlenſer: freundlich, gebil-
det, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag,
giebt Auskunft, zeigt den Weg. Ueberall gute Form und gute
Sitte, eine „Manierlichkeit“, wie ſie ſonſt in den Marken (zumal
in den Odergegenden) nicht leicht betroffen wird. Dieſe Manier-
lichkeit iſt zum guten Theil etwas Aeußerliches, ein Kleid, das an-
und abgelegt werden kann, aber wenn ich recht geſehen habe, ſo
iſt dieſe thüringiſch-mitteldeutſche Art, wie ſie einem hier entgegen-
tritt, doch nicht blos etwas Angenommenes, ſondern guten Theils
auch das Produkt einer mitteldeutſchen Landſchaft, einer Thürin-
giſchen Umgebung und Natur. Der modelnde Einfluß, den
die Wohnſtätte des Menſchen auf den Menſchen ſelber übt, wird
wohl kaum noch beſtritten, und hier haben wir ein Beiſpiel da-
von. Die Falkenberger früherer Jahrhunderte, deren Eigenart noch
in dem Winter-Falkenberger fortlebt, hatten ihr Auge nur der
Wieſe und dem Waſſer zugewandt, und ſie waren und blieben
wendiſch-märkiſche Fiſchersleute durch viele Jahrhunderte hindurch;
von dem Augenblick an aber, wo ſie ſich, zumal um die Som-
merszeit, den ſchönen Bergen zuwandten, begann auch der Anblick
des Schönen den Formenſinn zu bilden, die Sitte zu modeln,
und unter dem Einfluß einer ſo nah gelegenen und doch ſo ſpät
erſt entdeckten thüringiſchen Natur entſtand etwas von thüringiſcher
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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