Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

aus angreifen, während der Kurfürst selbst dem Feinde den Rück-
zug abschneiden und ihn auf einen Schlag vernichten wollte.

Was indessen auf dem berühmten Ritte "vom Rhein bis an
den Rhin" möglich gewesen war, nämlich das Verschwiegenbleiben
des Unternehmens, das erwies sich als unmöglich auf dem Wege
von der Oder bis zur Weichsel: -- es wurde nicht reiner Mund
gehalten und die Schweden schlüpften aus dem Garn. An dem-
selben Tage (10. Januar), an welchem der Kurfürst in Marien-
werder musterte, erhielt er auch die Nachricht, daß die Schweden
in vollem Rückzuge auf Tilsit seien. Die Falle hatte den Dienst
versagt, noch ehe sie fertig war. Da es nicht mehr möglich war,
die Feinde zu fangen, so galt es nunmehr, sie einzuholen.
In Geschwindmärschen ging es bis Braunsberg und Heiligenbeil,
dann -- um Zeit zu sparen -- in Schlitten über das frische
Haff. Schon am 16. war man in Königsberg (hier schlossen sich
Görtzke und die Seinen an) und nach eintägiger Rast, am 17.,
ging es in drei Abtheilungen den Schweden nach, die inzwischen
in Tilsit Halt gemacht hatten. Die drei brandenburgischen Abthei-
lungen bestanden aus einer äußersten "Spitze" von tausend Mann,
aus einer eigentlichen Avantgarde von dreitausend und aus einem
Gros von etwa fünftausend Mann. Treffenfeld führte die Spitze,
Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfürst selbst das
Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das frische Haff passirt
hatten, so jetzt das kurische zwischen Labiau und Gilge; aber die
Nähe des Feindes erlaubte kein Schlittenfahren, und kampffertig,
in Reih und Glied, ging es über das Eis. Die Schweden standen
inzwischen nach wie vor bei Tilsit und schienen entschlossen, das
preußische Gebiet nicht ohne Schwertstreich zu verlassen. So kam
es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter,
wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages
war; dann Tags darauf, am 21. bei Heidekrug, wo Görtzke die
feindliche Arrieregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin war
alle Ehre des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen;

aus angreifen, während der Kurfürſt ſelbſt dem Feinde den Rück-
zug abſchneiden und ihn auf einen Schlag vernichten wollte.

Was indeſſen auf dem berühmten Ritte „vom Rhein bis an
den Rhin“ möglich geweſen war, nämlich das Verſchwiegenbleiben
des Unternehmens, das erwies ſich als unmöglich auf dem Wege
von der Oder bis zur Weichſel: — es wurde nicht reiner Mund
gehalten und die Schweden ſchlüpften aus dem Garn. An dem-
ſelben Tage (10. Januar), an welchem der Kurfürſt in Marien-
werder muſterte, erhielt er auch die Nachricht, daß die Schweden
in vollem Rückzuge auf Tilſit ſeien. Die Falle hatte den Dienſt
verſagt, noch ehe ſie fertig war. Da es nicht mehr möglich war,
die Feinde zu fangen, ſo galt es nunmehr, ſie einzuholen.
In Geſchwindmärſchen ging es bis Braunsberg und Heiligenbeil,
dann — um Zeit zu ſparen — in Schlitten über das friſche
Haff. Schon am 16. war man in Königsberg (hier ſchloſſen ſich
Görtzke und die Seinen an) und nach eintägiger Raſt, am 17.,
ging es in drei Abtheilungen den Schweden nach, die inzwiſchen
in Tilſit Halt gemacht hatten. Die drei brandenburgiſchen Abthei-
lungen beſtanden aus einer äußerſten „Spitze“ von tauſend Mann,
aus einer eigentlichen Avantgarde von dreitauſend und aus einem
Gros von etwa fünftauſend Mann. Treffenfeld führte die Spitze,
Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfürſt ſelbſt das
Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das friſche Haff paſſirt
hatten, ſo jetzt das kuriſche zwiſchen Labiau und Gilge; aber die
Nähe des Feindes erlaubte kein Schlittenfahren, und kampffertig,
in Reih und Glied, ging es über das Eis. Die Schweden ſtanden
inzwiſchen nach wie vor bei Tilſit und ſchienen entſchloſſen, das
preußiſche Gebiet nicht ohne Schwertſtreich zu verlaſſen. So kam
es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter,
wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages
war; dann Tags darauf, am 21. bei Heidekrug, wo Görtzke die
feindliche Arrièregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin war
alle Ehre des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="22"/>
aus angreifen, während der Kurfür&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t dem Feinde den Rück-<lb/>
zug ab&#x017F;chneiden und ihn auf einen Schlag vernichten wollte.</p><lb/>
          <p>Was inde&#x017F;&#x017F;en auf dem berühmten Ritte &#x201E;vom Rhein bis an<lb/>
den Rhin&#x201C; möglich gewe&#x017F;en war, nämlich das Ver&#x017F;chwiegenbleiben<lb/>
des Unternehmens, das erwies &#x017F;ich als unmöglich auf dem Wege<lb/>
von der Oder bis zur Weich&#x017F;el: &#x2014; es wurde nicht reiner Mund<lb/>
gehalten und die Schweden &#x017F;chlüpften aus dem Garn. An dem-<lb/>
&#x017F;elben Tage (10. Januar), an welchem der Kurfür&#x017F;t in Marien-<lb/>
werder mu&#x017F;terte, erhielt er auch die Nachricht, daß die Schweden<lb/>
in vollem Rückzuge auf Til&#x017F;it &#x017F;eien. Die Falle hatte den Dien&#x017F;t<lb/>
ver&#x017F;agt, noch ehe &#x017F;ie fertig war. Da es nicht mehr möglich war,<lb/>
die Feinde zu <hi rendition="#g">fangen</hi>, &#x017F;o galt es nunmehr, <hi rendition="#g">&#x017F;ie einzuholen</hi>.<lb/>
In Ge&#x017F;chwindmär&#x017F;chen ging es bis Braunsberg und Heiligenbeil,<lb/>
dann &#x2014; um Zeit zu &#x017F;paren &#x2014; in Schlitten über das fri&#x017F;che<lb/>
Haff. Schon am 16. war man in Königsberg (hier &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
Görtzke und die Seinen an) und nach eintägiger Ra&#x017F;t, am 17.,<lb/>
ging es in drei Abtheilungen den Schweden nach, die inzwi&#x017F;chen<lb/>
in Til&#x017F;it Halt gemacht hatten. Die drei brandenburgi&#x017F;chen Abthei-<lb/>
lungen be&#x017F;tanden aus einer äußer&#x017F;ten &#x201E;Spitze&#x201C; von tau&#x017F;end Mann,<lb/>
aus einer eigentlichen Avantgarde von dreitau&#x017F;end und aus einem<lb/>
Gros von etwa fünftau&#x017F;end Mann. Treffenfeld führte die Spitze,<lb/>
Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfür&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t das<lb/>
Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das fri&#x017F;che Haff pa&#x017F;&#x017F;irt<lb/>
hatten, &#x017F;o jetzt das kuri&#x017F;che zwi&#x017F;chen Labiau und Gilge; aber die<lb/>
Nähe des Feindes erlaubte kein Schlittenfahren, und kampffertig,<lb/>
in Reih und Glied, ging es über das Eis. Die Schweden &#x017F;tanden<lb/>
inzwi&#x017F;chen nach wie vor bei Til&#x017F;it und &#x017F;chienen ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, das<lb/>
preußi&#x017F;che Gebiet nicht ohne Schwert&#x017F;treich zu verla&#x017F;&#x017F;en. So kam<lb/>
es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter,<lb/>
wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages<lb/>
war; dann Tags darauf, am 21. bei Heidekrug, wo Görtzke die<lb/>
feindliche Arrièregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin war<lb/>
alle Ehre des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0034] aus angreifen, während der Kurfürſt ſelbſt dem Feinde den Rück- zug abſchneiden und ihn auf einen Schlag vernichten wollte. Was indeſſen auf dem berühmten Ritte „vom Rhein bis an den Rhin“ möglich geweſen war, nämlich das Verſchwiegenbleiben des Unternehmens, das erwies ſich als unmöglich auf dem Wege von der Oder bis zur Weichſel: — es wurde nicht reiner Mund gehalten und die Schweden ſchlüpften aus dem Garn. An dem- ſelben Tage (10. Januar), an welchem der Kurfürſt in Marien- werder muſterte, erhielt er auch die Nachricht, daß die Schweden in vollem Rückzuge auf Tilſit ſeien. Die Falle hatte den Dienſt verſagt, noch ehe ſie fertig war. Da es nicht mehr möglich war, die Feinde zu fangen, ſo galt es nunmehr, ſie einzuholen. In Geſchwindmärſchen ging es bis Braunsberg und Heiligenbeil, dann — um Zeit zu ſparen — in Schlitten über das friſche Haff. Schon am 16. war man in Königsberg (hier ſchloſſen ſich Görtzke und die Seinen an) und nach eintägiger Raſt, am 17., ging es in drei Abtheilungen den Schweden nach, die inzwiſchen in Tilſit Halt gemacht hatten. Die drei brandenburgiſchen Abthei- lungen beſtanden aus einer äußerſten „Spitze“ von tauſend Mann, aus einer eigentlichen Avantgarde von dreitauſend und aus einem Gros von etwa fünftauſend Mann. Treffenfeld führte die Spitze, Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfürſt ſelbſt das Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das friſche Haff paſſirt hatten, ſo jetzt das kuriſche zwiſchen Labiau und Gilge; aber die Nähe des Feindes erlaubte kein Schlittenfahren, und kampffertig, in Reih und Glied, ging es über das Eis. Die Schweden ſtanden inzwiſchen nach wie vor bei Tilſit und ſchienen entſchloſſen, das preußiſche Gebiet nicht ohne Schwertſtreich zu verlaſſen. So kam es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter, wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages war; dann Tags darauf, am 21. bei Heidekrug, wo Görtzke die feindliche Arrièregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin war alle Ehre des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/34
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/34>, abgerufen am 03.12.2024.