diese Krempe vorn herunter hing und ihn vor der Sonne schützte. Die Hutcordons waren losgerissen und tanzten auf dieser herun- ter gelassenen Krempe umher, die weiße Generalsfeder am Hut war zerrissen und schmutzig, die einfache blaue Montirung mit ro- then Aufschlägen, Kragen und goldenem Achselband alt und be- staubt, die gelbe Weste voll Tabak; dazu hatte er schwarze Sammt- hosen an. Ich dachte immer, er würde mich anreden. Ich fürchtete mich gar nicht, hatte aber ein unbeschreibliches Gefühl von Ehr- furcht. Er that es aber nicht, sondern sah immer gerade aus. Die alte Frau konnte mich nicht lange hoch halten und setzte mich wie- der herunter. Da sah der König den Prediger, winkte ihn heran und fragte, wessen das Kind sei? "Des Herrn von Marwitz auf Friedersdorf." -- "Ist das der General?" -- "Nein, der Kam- merherr." -- Der König schwieg, denn er konnte die Kammer- herrn nicht leiden.
Das zweite Mal (es war im Mai 1785) sah unser Mar- witz den König in Berlin. Die Schilderung, die er uns davon gegeben hat, ist fast noch plastischer als die vorhergehende.
"Er kam geritten auf einem großen weißen Pferde, ohne Zweifel der alte Conde, der nachher noch zwanzig Jahre lang das Gnadenbrod auf der ecole veterinaire bekam. Sein Anzug war derselbe wie früher auf der Reise, nur daß der Hut ein wenig besser conditionirt, ordentlich aufgeschlagen und mit der Spitze nach vorn, echt militärisch aufgesetzt war. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann die Adjutanten, endlich die Reitknechte. Das ganze Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) und die Wilhelmsstraße waren gedrückt voll Menschen, alle Fenster voll, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen, und auf allen Gesichtern ein Aus- druck von Ehrfurcht und Vertrauen, wie zu dem gerechten Lenker aller Schicksale. Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, in- dem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobachtete dabei eine sehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenstern sich verneigenden Zuschauer es zu verdienen schienen. Bald lüftete er den Hut nur ein wenig, bald nahm er ihn vom Haupte und
dieſe Krempe vorn herunter hing und ihn vor der Sonne ſchützte. Die Hutcordons waren losgeriſſen und tanzten auf dieſer herun- ter gelaſſenen Krempe umher, die weiße Generalsfeder am Hut war zerriſſen und ſchmutzig, die einfache blaue Montirung mit ro- then Aufſchlägen, Kragen und goldenem Achſelband alt und be- ſtaubt, die gelbe Weſte voll Tabak; dazu hatte er ſchwarze Sammt- hoſen an. Ich dachte immer, er würde mich anreden. Ich fürchtete mich gar nicht, hatte aber ein unbeſchreibliches Gefühl von Ehr- furcht. Er that es aber nicht, ſondern ſah immer gerade aus. Die alte Frau konnte mich nicht lange hoch halten und ſetzte mich wie- der herunter. Da ſah der König den Prediger, winkte ihn heran und fragte, weſſen das Kind ſei? „Des Herrn von Marwitz auf Friedersdorf.“ — „Iſt das der General?“ — „Nein, der Kam- merherr.“ — Der König ſchwieg, denn er konnte die Kammer- herrn nicht leiden.
Das zweite Mal (es war im Mai 1785) ſah unſer Mar- witz den König in Berlin. Die Schilderung, die er uns davon gegeben hat, iſt faſt noch plaſtiſcher als die vorhergehende.
„Er kam geritten auf einem großen weißen Pferde, ohne Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre lang das Gnadenbrod auf der école vétérinaire bekam. Sein Anzug war derſelbe wie früher auf der Reiſe, nur daß der Hut ein wenig beſſer conditionirt, ordentlich aufgeſchlagen und mit der Spitze nach vorn, echt militäriſch aufgeſetzt war. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann die Adjutanten, endlich die Reitknechte. Das ganze Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) und die Wilhelmsſtraße waren gedrückt voll Menſchen, alle Fenſter voll, alle Häupter entblößt, überall das tiefſte Schweigen, und auf allen Geſichtern ein Aus- druck von Ehrfurcht und Vertrauen, wie zu dem gerechten Lenker aller Schickſale. Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, in- dem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobachtete dabei eine ſehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenſtern ſich verneigenden Zuſchauer es zu verdienen ſchienen. Bald lüftete er den Hut nur ein wenig, bald nahm er ihn vom Haupte und
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dieſe Krempe vorn herunter hing und ihn vor der Sonne ſchützte.
Die Hutcordons waren losgeriſſen und tanzten auf dieſer herun-
ter gelaſſenen Krempe umher, die weiße Generalsfeder am Hut
war zerriſſen und ſchmutzig, die einfache blaue Montirung mit ro-
then Aufſchlägen, Kragen und goldenem Achſelband alt und be-
ſtaubt, die gelbe Weſte voll Tabak; dazu hatte er ſchwarze Sammt-
hoſen an. Ich dachte immer, er würde mich anreden. Ich fürchtete
mich gar nicht, hatte aber ein unbeſchreibliches Gefühl von Ehr-
furcht. Er that es aber nicht, ſondern ſah immer gerade aus. Die
alte Frau konnte mich nicht lange hoch halten und ſetzte mich wie-
der herunter. Da ſah der König den Prediger, winkte ihn heran
und fragte, weſſen das Kind ſei? „Des Herrn von Marwitz auf
Friedersdorf.“ — „Iſt das der General?“ — „Nein, der Kam-
merherr.“ — Der König ſchwieg, denn er konnte die Kammer-
herrn nicht leiden.
Das zweite Mal (es war im Mai 1785) ſah unſer Mar-
witz den König in Berlin. Die Schilderung, die er uns davon
gegeben hat, iſt faſt noch plaſtiſcher als die vorhergehende.
„Er kam geritten auf einem großen weißen Pferde, ohne
Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre lang das
Gnadenbrod auf der école vétérinaire bekam. Sein Anzug war
derſelbe wie früher auf der Reiſe, nur daß der Hut ein wenig
beſſer conditionirt, ordentlich aufgeſchlagen und mit der Spitze nach
vorn, echt militäriſch aufgeſetzt war. Hinter ihm waren eine Menge
Generale, dann die Adjutanten, endlich die Reitknechte. Das ganze
Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) und die Wilhelmsſtraße waren
gedrückt voll Menſchen, alle Fenſter voll, alle Häupter entblößt,
überall das tiefſte Schweigen, und auf allen Geſichtern ein Aus-
druck von Ehrfurcht und Vertrauen, wie zu dem gerechten Lenker
aller Schickſale. Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, in-
dem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobachtete dabei eine
ſehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenſtern
ſich verneigenden Zuſchauer es zu verdienen ſchienen. Bald lüftete
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/374>, abgerufen am 21.11.2024.
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