fühl und Rechtsbewußtsein, an die Stelle der Frivolität eine frische Glaubenskraft treten. In diesem Sinne wollte Marwitz reformiren. Gegen den Plan wird sich nichts sagen lassen; ob es möglich war, ihn auszuführen, diese Frage werde ich später berühren. Die Stein- sche Gesetzgebung erschien ihm unpraktisch und revolutionär, aber er respektirte sie in so weit, als sie die Gebrechen des alten Staats in dem Fehlen alles geistigen Lebens und Inhalts erkannte und durch geistige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel selbst schienen ihm nicht richtig gewählt.
Marwitz liebte den rheinischen Freiherrn (Stein) nicht, aber er respektirte ihn. Anders stand er zu Hardenberg. Dieser war ihm ein Gegenstand entschiedenster Abneigung, seine ganze Natur lehnte sich gegen ihn auf. Hardenberg, im Gegensatz zu Stein, wollte das Wohl des Staats aus der sogenannten "Staatswohlfahrt" gewinnen. Nicht der Geist sollte helfen, sondern das Geld. Diesen Staatswohlfahrtstheorien gegenüber -- die in der finanziellen Be- drängniß des Landes ihre Entschuldigung fanden, wenn sie über- haupt der Entschuldigung bedürfen -- legte sich Marwitz die Frage vor: beruht das Heil des Staates auf ökonomischen oder auf moralischen Prinzipien? Ist der reichste Staat seines Reichthums wegen der glücklichste? Oder verdient der glücklich genannt zu werden, in welchem die Freiheit der Bürger am festesten gegründet ist, und in welchem die Bürger am ehesten fähig sind, ihr persön- liches Wohl dem des Staates nachzusetzen? Und wenn ein Staat durch die Unbürgerlichkeit seiner Bürger (Adel, Bürger, Bauer) gefallen ist, kann ihm durch ökonomische Maßregeln geholfen wer- den? Wird es nicht vielmehr darauf ankommen, ob man das verlassene, das abgefallene Volk zur Bürgerlichkeit wieder zurück- führen könne oder nicht? Wenn man endlich den entbürgerten, also selbstsüchtigen Individuen Reichthum darreicht, werden sie da- durch bürgerlicher werden oder noch selbstsüchtiger? Diese Fragen waren es, die sein Herz bewegten, und im Sinn und Geist der- selben stellte er sich Hardenberg gegenüber.
Möglich, daß diese Ideen nie über Schloß Friedersdorf hin-
fühl und Rechtsbewußtſein, an die Stelle der Frivolität eine friſche Glaubenskraft treten. In dieſem Sinne wollte Marwitz reformiren. Gegen den Plan wird ſich nichts ſagen laſſen; ob es möglich war, ihn auszuführen, dieſe Frage werde ich ſpäter berühren. Die Stein- ſche Geſetzgebung erſchien ihm unpraktiſch und revolutionär, aber er reſpektirte ſie in ſo weit, als ſie die Gebrechen des alten Staats in dem Fehlen alles geiſtigen Lebens und Inhalts erkannte und durch geiſtige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel ſelbſt ſchienen ihm nicht richtig gewählt.
Marwitz liebte den rheiniſchen Freiherrn (Stein) nicht, aber er reſpektirte ihn. Anders ſtand er zu Hardenberg. Dieſer war ihm ein Gegenſtand entſchiedenſter Abneigung, ſeine ganze Natur lehnte ſich gegen ihn auf. Hardenberg, im Gegenſatz zu Stein, wollte das Wohl des Staats aus der ſogenannten „Staatswohlfahrt“ gewinnen. Nicht der Geiſt ſollte helfen, ſondern das Geld. Dieſen Staatswohlfahrtstheorien gegenüber — die in der finanziellen Be- drängniß des Landes ihre Entſchuldigung fanden, wenn ſie über- haupt der Entſchuldigung bedürfen — legte ſich Marwitz die Frage vor: beruht das Heil des Staates auf ökonomiſchen oder auf moraliſchen Prinzipien? Iſt der reichſte Staat ſeines Reichthums wegen der glücklichſte? Oder verdient der glücklich genannt zu werden, in welchem die Freiheit der Bürger am feſteſten gegründet iſt, und in welchem die Bürger am eheſten fähig ſind, ihr perſön- liches Wohl dem des Staates nachzuſetzen? Und wenn ein Staat durch die Unbürgerlichkeit ſeiner Bürger (Adel, Bürger, Bauer) gefallen iſt, kann ihm durch ökonomiſche Maßregeln geholfen wer- den? Wird es nicht vielmehr darauf ankommen, ob man das verlaſſene, das abgefallene Volk zur Bürgerlichkeit wieder zurück- führen könne oder nicht? Wenn man endlich den entbürgerten, alſo ſelbſtſüchtigen Individuen Reichthum darreicht, werden ſie da- durch bürgerlicher werden oder noch ſelbſtſüchtiger? Dieſe Fragen waren es, die ſein Herz bewegten, und im Sinn und Geiſt der- ſelben ſtellte er ſich Hardenberg gegenüber.
Möglich, daß dieſe Ideen nie über Schloß Friedersdorf hin-
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fühl und Rechtsbewußtſein, an die Stelle der Frivolität eine friſche
Glaubenskraft treten. In dieſem Sinne wollte Marwitz reformiren.
Gegen den Plan wird ſich nichts ſagen laſſen; ob es möglich war,
ihn auszuführen, dieſe Frage werde ich ſpäter berühren. Die Stein-
ſche Geſetzgebung erſchien ihm unpraktiſch und revolutionär, aber
er reſpektirte ſie in ſo weit, als ſie die Gebrechen des alten Staats
in dem Fehlen alles geiſtigen Lebens und Inhalts erkannte und
durch geiſtige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel ſelbſt ſchienen
ihm nicht richtig gewählt.
Marwitz liebte den rheiniſchen Freiherrn (Stein) nicht, aber
er reſpektirte ihn. Anders ſtand er zu Hardenberg. Dieſer war ihm
ein Gegenſtand entſchiedenſter Abneigung, ſeine ganze Natur lehnte
ſich gegen ihn auf. Hardenberg, im Gegenſatz zu Stein, wollte
das Wohl des Staats aus der ſogenannten „Staatswohlfahrt“
gewinnen. Nicht der Geiſt ſollte helfen, ſondern das Geld. Dieſen
Staatswohlfahrtstheorien gegenüber — die in der finanziellen Be-
drängniß des Landes ihre Entſchuldigung fanden, wenn ſie über-
haupt der Entſchuldigung bedürfen — legte ſich Marwitz die Frage
vor: beruht das Heil des Staates auf ökonomiſchen oder auf
moraliſchen Prinzipien? Iſt der reichſte Staat ſeines Reichthums
wegen der glücklichſte? Oder verdient der glücklich genannt zu
werden, in welchem die Freiheit der Bürger am feſteſten gegründet
iſt, und in welchem die Bürger am eheſten fähig ſind, ihr perſön-
liches Wohl dem des Staates nachzuſetzen? Und wenn ein Staat
durch die Unbürgerlichkeit ſeiner Bürger (Adel, Bürger, Bauer)
gefallen iſt, kann ihm durch ökonomiſche Maßregeln geholfen wer-
den? Wird es nicht vielmehr darauf ankommen, ob man das
verlaſſene, das abgefallene Volk zur Bürgerlichkeit wieder zurück-
führen könne oder nicht? Wenn man endlich den entbürgerten,
alſo ſelbſtſüchtigen Individuen Reichthum darreicht, werden ſie da-
durch bürgerlicher werden oder noch ſelbſtſüchtiger? Dieſe Fragen
waren es, die ſein Herz bewegten, und im Sinn und Geiſt der-
ſelben ſtellte er ſich Hardenberg gegenüber.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/382>, abgerufen am 22.11.2024.
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