er nach Friedersdorf zurück. "Kein Krieg!" schien die Losung sein und bleiben zu wollen.
Doch der Himmel hatte es anders beschlossen; es wurde Krieg. Sechs kostbare Wochen waren versäumt, viel war verloren, aber nicht alles; noch war es nicht zu spät. Brauch' ich zu erzählen, daß Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitterere Krän- kungen und Erfahrungen hätten es nicht vermocht, ihn in solchem Augenblick in seiner Einsamkeit zurück zu halten.
Mit dem Range eines Majors trat er ein und wurde Anfang April mit der Bildung einer Landwehrbrigade betraut. Diese Bri- gade bestand aus vier Bataillonen des dritten kurmärkischen Land- wehrinfanterie-Regiments und aus eben so viel Schwadronen Land- wehrkavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavallerist, ließ er sich die Ausbildung dieser vier Schwadronen besonders angelegen sein. Mit jenem gesunden Sinn, der ihn immer ausgezeichnet hatte, erkannte er auf der Stelle, daß hier unter "Ausbildung" etwas anderes verstanden werden müsse, als das Reit- und Exercierregle- ment in langen Paragraphen vorschrieb. Was er that, auch auf diesem relativ untergeordnetem Gebiet (denn es handelte sich dabei um höchstens vierhundert Reiter), scheint mir wichtig und charakte- ristisch genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die Rasch- heit und Selbstständigkeit des Urtheils, die jeder neuen Situation auch ein neues Benehmen anzupassen weiß, das ist es ja vor allem, was den fähigen Offizier von dem blos braven Soldaten unter- scheidet, und in ähnlicher Weise, wie einst Lieutenant von dem Knesebeck während des Feldzugs in der Champagne einen halben Brodtransport dadurch zu retten gewußt hatte, daß er nicht An- stand nahm, die andere Hälfte (ein paar tausend Commisbrode) in einen sonst unpassirbaren Sumpf zu versenken, so war auch Marwitz, seiner Landwehrkavallerie gegenüber, rasch entschlossen, das erreichbar Unvollkommene einer unerreichbaren Vollkommenheit vor- zuziehen. So sehr er die Reitkunst verehrte und als unentbehrlich für eine echte, eigentliche Reiterei betrachtete, so klar erkannte er doch auch, daß unter den gegebenen Verhältnissen diese Reitkunst
er nach Friedersdorf zurück. „Kein Krieg!“ ſchien die Loſung ſein und bleiben zu wollen.
Doch der Himmel hatte es anders beſchloſſen; es wurde Krieg. Sechs koſtbare Wochen waren verſäumt, viel war verloren, aber nicht alles; noch war es nicht zu ſpät. Brauch’ ich zu erzählen, daß Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitterere Krän- kungen und Erfahrungen hätten es nicht vermocht, ihn in ſolchem Augenblick in ſeiner Einſamkeit zurück zu halten.
Mit dem Range eines Majors trat er ein und wurde Anfang April mit der Bildung einer Landwehrbrigade betraut. Dieſe Bri- gade beſtand aus vier Bataillonen des dritten kurmärkiſchen Land- wehrinfanterie-Regiments und aus eben ſo viel Schwadronen Land- wehrkavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavalleriſt, ließ er ſich die Ausbildung dieſer vier Schwadronen beſonders angelegen ſein. Mit jenem geſunden Sinn, der ihn immer ausgezeichnet hatte, erkannte er auf der Stelle, daß hier unter „Ausbildung“ etwas anderes verſtanden werden müſſe, als das Reit- und Exercierregle- ment in langen Paragraphen vorſchrieb. Was er that, auch auf dieſem relativ untergeordnetem Gebiet (denn es handelte ſich dabei um höchſtens vierhundert Reiter), ſcheint mir wichtig und charakte- riſtiſch genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die Raſch- heit und Selbſtſtändigkeit des Urtheils, die jeder neuen Situation auch ein neues Benehmen anzupaſſen weiß, das iſt es ja vor allem, was den fähigen Offizier von dem blos braven Soldaten unter- ſcheidet, und in ähnlicher Weiſe, wie einſt Lieutenant von dem Kneſebeck während des Feldzugs in der Champagne einen halben Brodtransport dadurch zu retten gewußt hatte, daß er nicht An- ſtand nahm, die andere Hälfte (ein paar tauſend Commisbrode) in einen ſonſt unpaſſirbaren Sumpf zu verſenken, ſo war auch Marwitz, ſeiner Landwehrkavallerie gegenüber, raſch entſchloſſen, das erreichbar Unvollkommene einer unerreichbaren Vollkommenheit vor- zuziehen. So ſehr er die Reitkunſt verehrte und als unentbehrlich für eine echte, eigentliche Reiterei betrachtete, ſo klar erkannte er doch auch, daß unter den gegebenen Verhältniſſen dieſe Reitkunſt
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er nach Friedersdorf zurück. „Kein Krieg!“ ſchien die Loſung ſein
und bleiben zu wollen.
Doch der Himmel hatte es anders beſchloſſen; es wurde Krieg.
Sechs koſtbare Wochen waren verſäumt, viel war verloren, aber
nicht alles; noch war es nicht zu ſpät. Brauch’ ich zu erzählen,
daß Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitterere Krän-
kungen und Erfahrungen hätten es nicht vermocht, ihn in ſolchem
Augenblick in ſeiner Einſamkeit zurück zu halten.
Mit dem Range eines Majors trat er ein und wurde Anfang
April mit der Bildung einer Landwehrbrigade betraut. Dieſe Bri-
gade beſtand aus vier Bataillonen des dritten kurmärkiſchen Land-
wehrinfanterie-Regiments und aus eben ſo viel Schwadronen Land-
wehrkavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavalleriſt, ließ er
ſich die Ausbildung dieſer vier Schwadronen beſonders angelegen
ſein. Mit jenem geſunden Sinn, der ihn immer ausgezeichnet hatte,
erkannte er auf der Stelle, daß hier unter „Ausbildung“ etwas
anderes verſtanden werden müſſe, als das Reit- und Exercierregle-
ment in langen Paragraphen vorſchrieb. Was er that, auch auf
dieſem relativ untergeordnetem Gebiet (denn es handelte ſich dabei
um höchſtens vierhundert Reiter), ſcheint mir wichtig und charakte-
riſtiſch genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die Raſch-
heit und Selbſtſtändigkeit des Urtheils, die jeder neuen Situation
auch ein neues Benehmen anzupaſſen weiß, das iſt es ja vor allem,
was den fähigen Offizier von dem blos braven Soldaten unter-
ſcheidet, und in ähnlicher Weiſe, wie einſt Lieutenant von dem
Kneſebeck während des Feldzugs in der Champagne einen halben
Brodtransport dadurch zu retten gewußt hatte, daß er nicht An-
ſtand nahm, die andere Hälfte (ein paar tauſend Commisbrode)
in einen ſonſt unpaſſirbaren Sumpf zu verſenken, ſo war auch
Marwitz, ſeiner Landwehrkavallerie gegenüber, raſch entſchloſſen, das
erreichbar Unvollkommene einer unerreichbaren Vollkommenheit vor-
zuziehen. So ſehr er die Reitkunſt verehrte und als unentbehrlich
für eine echte, eigentliche Reiterei betrachtete, ſo klar erkannte er
doch auch, daß unter den gegebenen Verhältniſſen dieſe Reitkunſt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/387>, abgerufen am 21.11.2024.
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