Berlin genommen hatte. Sprachliche und historische Studien waren es, denen sich Marwitz schon damals mit ganzer Seele hingab. Johann von Müllers Schweizergeschichte machte einen solchen Ein- druck auf ihn, daß er, kaum sechzehn Jahr alt, den berühmten Historiker aufsuchte, um ihm seinen Dank und seine Bewunderung auszudrücken.
Dieser Schritt, unscheinbar, wie er auf den ersten Blick er- scheinen mag, gab ihm doch Gelegenheit, zuerst die Selbstständigkeit seiner Denk- und Handelsweise zu zeigen, die ihn später so sehr auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte diese Bekanntschaft, wie aus der ziemlich unzweideutigen Beschreibung hervorgeht, die uns derselbe von der Person Johann von Müllers hinterlassen hat. "Johann von Müller", so schreibt er, "war ein kleines, grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Bein- chen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Fressen und Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf heraus standen und beständig roth unterlaufen waren etc." Aber so wenig der berühmte Historiker nach dem Geschmack des älteren Bruders sein mochte und so gern bereit der jüngere Bruder war, diesen Ge- schmack als berechtigt gelten zu lassen, so wenig war er doch ande- rerseits geneigt, sich durch fremde Sympathien oder Antipathien bestimmen oder in dem beirren zu lassen, was seiner Seele Be- dürfniß war.
Neben der Selbstständigkeit seines Charakters trat hierin zuerst auch jener andere Zug seiner Natur hervor, der ihn, in Freud
ter zur eiligen Abreise in die Schweiz, der er folgte." -- Diesem Schulpro- gramm entnehme ich auch eine Notiz über die Dichtungen, die Michae- lis 1804 und 1806 bei Gelegenheit der öffentlichen Prüfung von den Schülern der Oberklassen deklamirt wurden. Es waren: 1) Monolog des Brutus aus der Voltaire'schen Tragödie "Cäsar". 2) Elegie an Rosalie, von Tiedge. 3) Der Führer, ein Gedicht von Luise Brachmann. 4) Arion, von A. W. von Schlegel. 5) Kassandra, von Schiller. 6) Der Taucher, von Schiller. 7) Die Macht des Gesanges, von Schiller. 8) Hero und Leander, von Schiller. 9) Schillers Tod, eine Elegie.
Berlin genommen hatte. Sprachliche und hiſtoriſche Studien waren es, denen ſich Marwitz ſchon damals mit ganzer Seele hingab. Johann von Müllers Schweizergeſchichte machte einen ſolchen Ein- druck auf ihn, daß er, kaum ſechzehn Jahr alt, den berühmten Hiſtoriker aufſuchte, um ihm ſeinen Dank und ſeine Bewunderung auszudrücken.
Dieſer Schritt, unſcheinbar, wie er auf den erſten Blick er- ſcheinen mag, gab ihm doch Gelegenheit, zuerſt die Selbſtſtändigkeit ſeiner Denk- und Handelsweiſe zu zeigen, die ihn ſpäter ſo ſehr auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte dieſe Bekanntſchaft, wie aus der ziemlich unzweideutigen Beſchreibung hervorgeht, die uns derſelbe von der Perſon Johann von Müllers hinterlaſſen hat. „Johann von Müller“, ſo ſchreibt er, „war ein kleines, grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Bein- chen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Freſſen und Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf heraus ſtanden und beſtändig roth unterlaufen waren ꝛc.“ Aber ſo wenig der berühmte Hiſtoriker nach dem Geſchmack des älteren Bruders ſein mochte und ſo gern bereit der jüngere Bruder war, dieſen Ge- ſchmack als berechtigt gelten zu laſſen, ſo wenig war er doch ande- rerſeits geneigt, ſich durch fremde Sympathien oder Antipathien beſtimmen oder in dem beirren zu laſſen, was ſeiner Seele Be- dürfniß war.
Neben der Selbſtſtändigkeit ſeines Charakters trat hierin zuerſt auch jener andere Zug ſeiner Natur hervor, der ihn, in Freud
ter zur eiligen Abreiſe in die Schweiz, der er folgte.“ — Dieſem Schulpro- gramm entnehme ich auch eine Notiz über die Dichtungen, die Michae- lis 1804 und 1806 bei Gelegenheit der öffentlichen Prüfung von den Schülern der Oberklaſſen deklamirt wurden. Es waren: 1) Monolog des Brutus aus der Voltaire’ſchen Tragödie „Cäſar“. 2) Elegie an Roſalie, von Tiedge. 3) Der Führer, ein Gedicht von Luiſe Brachmann. 4) Arion, von A. W. von Schlegel. 5) Kaſſandra, von Schiller. 6) Der Taucher, von Schiller. 7) Die Macht des Geſanges, von Schiller. 8) Hero und Leander, von Schiller. 9) Schillers Tod, eine Elegie.
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Berlin genommen hatte. Sprachliche und hiſtoriſche Studien waren
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Johann von Müllers Schweizergeſchichte machte einen ſolchen Ein-
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Hiſtoriker aufſuchte, um ihm ſeinen Dank und ſeine Bewunderung
auszudrücken.
Dieſer Schritt, unſcheinbar, wie er auf den erſten Blick er-
ſcheinen mag, gab ihm doch Gelegenheit, zuerſt die Selbſtſtändigkeit
ſeiner Denk- und Handelsweiſe zu zeigen, die ihn ſpäter ſo ſehr
auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte dieſe Bekanntſchaft,
wie aus der ziemlich unzweideutigen Beſchreibung hervorgeht, die
uns derſelbe von der Perſon Johann von Müllers hinterlaſſen
hat. „Johann von Müller“, ſo ſchreibt er, „war ein kleines,
grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Bein-
chen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Freſſen und
Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf heraus ſtanden
und beſtändig roth unterlaufen waren ꝛc.“ Aber ſo wenig der
berühmte Hiſtoriker nach dem Geſchmack des älteren Bruders ſein
mochte und ſo gern bereit der jüngere Bruder war, dieſen Ge-
ſchmack als berechtigt gelten zu laſſen, ſo wenig war er doch ande-
rerſeits geneigt, ſich durch fremde Sympathien oder Antipathien
beſtimmen oder in dem beirren zu laſſen, was ſeiner Seele Be-
dürfniß war.
Neben der Selbſtſtändigkeit ſeines Charakters trat hierin zuerſt
auch jener andere Zug ſeiner Natur hervor, der ihn, in Freud
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*) ter zur eiligen Abreiſe in die Schweiz, der er folgte.“ — Dieſem Schulpro-
gramm entnehme ich auch eine Notiz über die Dichtungen, die Michae-
lis 1804 und 1806 bei Gelegenheit der öffentlichen Prüfung von den
Schülern der Oberklaſſen deklamirt wurden. Es waren: 1) Monolog des
Brutus aus der Voltaire’ſchen Tragödie „Cäſar“. 2) Elegie an Roſalie,
von Tiedge. 3) Der Führer, ein Gedicht von Luiſe Brachmann. 4) Arion,
von A. W. von Schlegel. 5) Kaſſandra, von Schiller. 6) Der Taucher,
von Schiller. 7) Die Macht des Geſanges, von Schiller. 8) Hero und
Leander, von Schiller. 9) Schillers Tod, eine Elegie.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/401>, abgerufen am 27.07.2024.
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