gen, schloß er sich dem Oberst Tettenborn an. Diesen suchte er, als man in die Nähe der Oder gelangt war, zu kühnen Streif- zügen gegen Frankfurt, Selow und andere kleine Städte zu ver- anlassen, in denen die Trümmer der französischen Armee Posto gefaßt hatten; Tettenborn aber, der sehr eitel war und durch einen nichtssagenden Streifzug gegen Berlin nur von sich reden machen wollte, opferte wirkliche Vortheile seiner Eitelkeit auf. Marwitz durchschaute dieses Spiel sehr bald und ging nach Bres- lau, um seinen Eintritt in die preußische Armee zu betreiben. Hier aber ging alles langsam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte, konnte er dieses Hingehaltenwerden, dieses Abwickeln großer Dinge nach der Nummer, nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wie- der, gesellte sich abermals zu den Russen (zu Dörnberg, damals in russischen Diensten) und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg bei, das mit der Vernichtung des Morand'schen Corps endigte. Darauf begab er sich zu Czernicheff, wurde dem General Benken- dorf attachirt und zeichnete sich bei Halberstadt und Leipzig aus, wo er dem ganzen Corps sehr wesentliche Dienste leistete.
So kam der Waffenstillstand. Jeder wußte, hoffte wenigstens, daß die Fortsetzung des Kampfes nahe sei. Wie sich denken läßt, konnte Marwitz den Gedanken nicht aufgeben, diesen schönsten Kampf, der je gekämpft worden, auf preußischer Seite mitzu- kämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im österreichischen Heere ge- standen, jetzt war er in russischem Dienst -- war auch der Feind ein gemeinsamer, es schmerzte ihn doch, halb unter Fremden die- sen Freiheitskampf mitkämpfen zu sollen. Er bat also abermals um Anstellung im vaterländischen Dienst; da man ihn aber nur bei der Infanterie verwenden zu können meinte, und dieser Dienst weder seiner Neigung (er war immer Cavallerieoffizier gewesen), noch seiner Körperconstitution entsprach, so zerschlugen sich die Un- terhandlungen abermals und er blieb bei den Russen.
Gleich nach dem Waffenstillstand, am 21. oder 24. August, war er mit Czernicheff in der Nähe von Wittenberg (bei Bos- dorf) und griff mit den Kosaken ein Carre polnischer Infanterie
gen, ſchloß er ſich dem Oberſt Tettenborn an. Dieſen ſuchte er, als man in die Nähe der Oder gelangt war, zu kühnen Streif- zügen gegen Frankfurt, Selow und andere kleine Städte zu ver- anlaſſen, in denen die Trümmer der franzöſiſchen Armee Poſto gefaßt hatten; Tettenborn aber, der ſehr eitel war und durch einen nichtsſagenden Streifzug gegen Berlin nur von ſich reden machen wollte, opferte wirkliche Vortheile ſeiner Eitelkeit auf. Marwitz durchſchaute dieſes Spiel ſehr bald und ging nach Bres- lau, um ſeinen Eintritt in die preußiſche Armee zu betreiben. Hier aber ging alles langſam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte, konnte er dieſes Hingehaltenwerden, dieſes Abwickeln großer Dinge nach der Nummer, nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wie- der, geſellte ſich abermals zu den Ruſſen (zu Dörnberg, damals in ruſſiſchen Dienſten) und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg bei, das mit der Vernichtung des Morand’ſchen Corps endigte. Darauf begab er ſich zu Czernicheff, wurde dem General Benken- dorf attachirt und zeichnete ſich bei Halberſtadt und Leipzig aus, wo er dem ganzen Corps ſehr weſentliche Dienſte leiſtete.
So kam der Waffenſtillſtand. Jeder wußte, hoffte wenigſtens, daß die Fortſetzung des Kampfes nahe ſei. Wie ſich denken läßt, konnte Marwitz den Gedanken nicht aufgeben, dieſen ſchönſten Kampf, der je gekämpft worden, auf preußiſcher Seite mitzu- kämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im öſterreichiſchen Heere ge- ſtanden, jetzt war er in ruſſiſchem Dienſt — war auch der Feind ein gemeinſamer, es ſchmerzte ihn doch, halb unter Fremden die- ſen Freiheitskampf mitkämpfen zu ſollen. Er bat alſo abermals um Anſtellung im vaterländiſchen Dienſt; da man ihn aber nur bei der Infanterie verwenden zu können meinte, und dieſer Dienſt weder ſeiner Neigung (er war immer Cavallerieoffizier geweſen), noch ſeiner Körperconſtitution entſprach, ſo zerſchlugen ſich die Un- terhandlungen abermals und er blieb bei den Ruſſen.
Gleich nach dem Waffenſtillſtand, am 21. oder 24. Auguſt, war er mit Czernicheff in der Nähe von Wittenberg (bei Bos- dorf) und griff mit den Koſaken ein Carré polniſcher Infanterie
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gen, ſchloß er ſich dem Oberſt Tettenborn an. Dieſen ſuchte er,
als man in die Nähe der Oder gelangt war, zu kühnen Streif-
zügen gegen Frankfurt, Selow und andere kleine Städte zu ver-
anlaſſen, in denen die Trümmer der franzöſiſchen Armee Poſto
gefaßt hatten; Tettenborn aber, der ſehr eitel war und durch
einen nichtsſagenden Streifzug gegen Berlin nur von ſich reden
machen wollte, opferte wirkliche Vortheile ſeiner Eitelkeit auf.
Marwitz durchſchaute dieſes Spiel ſehr bald und ging nach Bres-
lau, um ſeinen Eintritt in die preußiſche Armee zu betreiben. Hier
aber ging alles langſam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte,
konnte er dieſes Hingehaltenwerden, dieſes Abwickeln großer Dinge
nach der Nummer, nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wie-
der, geſellte ſich abermals zu den Ruſſen (zu Dörnberg, damals
in ruſſiſchen Dienſten) und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg
bei, das mit der Vernichtung des Morand’ſchen Corps endigte.
Darauf begab er ſich zu Czernicheff, wurde dem General Benken-
dorf attachirt und zeichnete ſich bei Halberſtadt und Leipzig aus,
wo er dem ganzen Corps ſehr weſentliche Dienſte leiſtete.
So kam der Waffenſtillſtand. Jeder wußte, hoffte wenigſtens,
daß die Fortſetzung des Kampfes nahe ſei. Wie ſich denken läßt,
konnte Marwitz den Gedanken nicht aufgeben, dieſen ſchönſten
Kampf, der je gekämpft worden, auf preußiſcher Seite mitzu-
kämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im öſterreichiſchen Heere ge-
ſtanden, jetzt war er in ruſſiſchem Dienſt — war auch der Feind
ein gemeinſamer, es ſchmerzte ihn doch, halb unter Fremden die-
ſen Freiheitskampf mitkämpfen zu ſollen. Er bat alſo abermals
um Anſtellung im vaterländiſchen Dienſt; da man ihn aber nur
bei der Infanterie verwenden zu können meinte, und dieſer Dienſt
weder ſeiner Neigung (er war immer Cavallerieoffizier geweſen),
noch ſeiner Körperconſtitution entſprach, ſo zerſchlugen ſich die Un-
terhandlungen abermals und er blieb bei den Ruſſen.
Gleich nach dem Waffenſtillſtand, am 21. oder 24. Auguſt,
war er mit Czernicheff in der Nähe von Wittenberg (bei Bos-
dorf) und griff mit den Koſaken ein Carré polniſcher Infanterie
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/420>, abgerufen am 22.11.2024.
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