still, mild wie immer, ohne alles Vorurtheil über irgend etwas, was vorgefallen ist."
"Nachschrift. Der polnische Offizier, der Marwitz gerettet hat, ist der Obristlieutenant Skrzynecki; *) er bot Marwitz seine Börse an, ein gleiches that Obrist Szymanowsky. Ich schreibe dir dieß, weil der Krieg wunderbare Begegnungen schafft und man wissen muß, wo man Gutes mit Gutem zu vergelten hat."
Am 15. September war Marwitz in Prag eingetroffen; die Heilung seiner Wunden verzögerte sich und er blieb daselbst bis Mitte December. Dieses Vierteljahr, das letzte das ihm zu leben be- stimmt war, ging wie ein Friedensschein über der Unrast seines Herzens auf. Den Frieden, dem er nachgeeilt war, ohne ihn fin- den zu können, hier fand er ihn, und hier durfte er ihn finden. Die heilige Sache der Freiheit und des Vaterlandes drang sieg- reich vor, und ein Blick auf seine Wunden, das hohe Gefühl, selbst für diese Freiheit gekämpft und geblutet zu haben, gab ihm ein Anrecht, ohne Vorwurf und mit ungetrübter Freude dem Sie- geszuge der Verbündeten zu folgen. Die Plauderstunden mit der Freundin, in deren stillen Genuß sich sonst vielleicht ein Wer- muthstropfen, das demüthigende Gefühl: "du solltest wo anders sein", gemischt hätte, er durfte sie, um seiner Wunden willen, ganz und voll genießen, und er genoß sie wirklich. Die Briefe Rahels aus jener Zeit an Robert, an Varnhagen und andere Freunde lassen keinen Zweifel darüber.
"Marwitz", so schreibt sie an Varnhagen, "wohnt mit uns in demselben Hause. Die Wirthin nahm ihn gleich auf, aus Ra- hel und aus Preußenliebe. Er hat es en prince und ißt bei uns. Ich und ein Stücker sechs bis acht Domestiken warten ihm auf." -- "Du fragst wegen Marwitz. Er hat keinen Orden, aber -- Tieck las ihm gestern den Hamlet vor. Niebuhr, den Tieck den Muth hatte für hübsch ausgeben zu wollen, nennen wir seit-
*) Es ist dies derselbe Skrzynecki, der 1831 als polnischer Genera- lissimus berühmt geworden ist.
ſtill, mild wie immer, ohne alles Vorurtheil über irgend etwas, was vorgefallen iſt.“
„Nachſchrift. Der polniſche Offizier, der Marwitz gerettet hat, iſt der Obriſtlieutenant Skrzynecki; *) er bot Marwitz ſeine Börſe an, ein gleiches that Obriſt Szymanowsky. Ich ſchreibe dir dieß, weil der Krieg wunderbare Begegnungen ſchafft und man wiſſen muß, wo man Gutes mit Gutem zu vergelten hat.“
Am 15. September war Marwitz in Prag eingetroffen; die Heilung ſeiner Wunden verzögerte ſich und er blieb daſelbſt bis Mitte December. Dieſes Vierteljahr, das letzte das ihm zu leben be- ſtimmt war, ging wie ein Friedensſchein über der Unraſt ſeines Herzens auf. Den Frieden, dem er nachgeeilt war, ohne ihn fin- den zu können, hier fand er ihn, und hier durfte er ihn finden. Die heilige Sache der Freiheit und des Vaterlandes drang ſieg- reich vor, und ein Blick auf ſeine Wunden, das hohe Gefühl, ſelbſt für dieſe Freiheit gekämpft und geblutet zu haben, gab ihm ein Anrecht, ohne Vorwurf und mit ungetrübter Freude dem Sie- geszuge der Verbündeten zu folgen. Die Plauderſtunden mit der Freundin, in deren ſtillen Genuß ſich ſonſt vielleicht ein Wer- muthstropfen, das demüthigende Gefühl: „du ſollteſt wo anders ſein“, gemiſcht hätte, er durfte ſie, um ſeiner Wunden willen, ganz und voll genießen, und er genoß ſie wirklich. Die Briefe Rahels aus jener Zeit an Robert, an Varnhagen und andere Freunde laſſen keinen Zweifel darüber.
„Marwitz“, ſo ſchreibt ſie an Varnhagen, „wohnt mit uns in demſelben Hauſe. Die Wirthin nahm ihn gleich auf, aus Ra- hel und aus Preußenliebe. Er hat es en prince und ißt bei uns. Ich und ein Stücker ſechs bis acht Domeſtiken warten ihm auf.“ — „Du fragſt wegen Marwitz. Er hat keinen Orden, aber — Tieck las ihm geſtern den Hamlet vor. Niebuhr, den Tieck den Muth hatte für hübſch ausgeben zu wollen, nennen wir ſeit-
*) Es iſt dies derſelbe Skrzynecki, der 1831 als polniſcher Genera- liſſimus berühmt geworden iſt.
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was vorgefallen iſt.“
„Nachſchrift. Der polniſche Offizier, der Marwitz gerettet hat, iſt
der Obriſtlieutenant Skrzynecki; *) er bot Marwitz ſeine Börſe an,
ein gleiches that Obriſt Szymanowsky. Ich ſchreibe dir dieß, weil
der Krieg wunderbare Begegnungen ſchafft und man wiſſen muß,
wo man Gutes mit Gutem zu vergelten hat.“
Am 15. September war Marwitz in Prag eingetroffen; die
Heilung ſeiner Wunden verzögerte ſich und er blieb daſelbſt bis Mitte
December. Dieſes Vierteljahr, das letzte das ihm zu leben be-
ſtimmt war, ging wie ein Friedensſchein über der Unraſt ſeines
Herzens auf. Den Frieden, dem er nachgeeilt war, ohne ihn fin-
den zu können, hier fand er ihn, und hier durfte er ihn finden.
Die heilige Sache der Freiheit und des Vaterlandes drang ſieg-
reich vor, und ein Blick auf ſeine Wunden, das hohe Gefühl,
ſelbſt für dieſe Freiheit gekämpft und geblutet zu haben, gab ihm
ein Anrecht, ohne Vorwurf und mit ungetrübter Freude dem Sie-
geszuge der Verbündeten zu folgen. Die Plauderſtunden mit der
Freundin, in deren ſtillen Genuß ſich ſonſt vielleicht ein Wer-
muthstropfen, das demüthigende Gefühl: „du ſollteſt wo anders
ſein“, gemiſcht hätte, er durfte ſie, um ſeiner Wunden willen,
ganz und voll genießen, und er genoß ſie wirklich. Die Briefe
Rahels aus jener Zeit an Robert, an Varnhagen und andere
Freunde laſſen keinen Zweifel darüber.
„Marwitz“, ſo ſchreibt ſie an Varnhagen, „wohnt mit uns
in demſelben Hauſe. Die Wirthin nahm ihn gleich auf, aus Ra-
hel und aus Preußenliebe. Er hat es en prince und ißt bei
uns. Ich und ein Stücker ſechs bis acht Domeſtiken warten ihm
auf.“ — „Du fragſt wegen Marwitz. Er hat keinen Orden, aber
— Tieck las ihm geſtern den Hamlet vor. Niebuhr, den Tieck
den Muth hatte für hübſch ausgeben zu wollen, nennen wir ſeit-
*) Es iſt dies derſelbe Skrzynecki, der 1831 als polniſcher Genera-
liſſimus berühmt geworden iſt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/422>, abgerufen am 22.11.2024.
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