Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

hat, erhält seinen Geißelhieb. Die Liste ist ziemlich lang, und
Gouverneur von Lepel, Kammerdirector Hille, die neidische Frau
von Wolden, alle ziehen sie noch einmal vorüber, zuletzt die Colo-
nelle Eberts, von der es heißt, daß sich über ihre Dummheit eine
ganze Aeneide schreiben ließe. An Noten, Erläuterungen und Rand-
bemerkungen ist kein Mangel, und in einem Postscriptum heißt es,
daß die ganze Satyre in etwa 14 Tagen geschrieben und doch zu
seinem Bedauern immer noch voller Fehler sei, während er alles
Gute darin dem Horaz, dem Juvenal oder dem Boileau verdanke.

So waren die Verspakete, die die kronprinzliche Correspon-
denz nach Tamsel hin begleiteten.

Aber wir würden irren, wenn wir annehmen wollten, daß
sich diese literarischen Beilagen auf Verse beschränkt hätten. Auch
der Prosa wurde ihr Recht. Die Briefe selber, wie schon hervor-
gehoben, wurden gelegentlich zu Aufsätzen, zu "Feuilletons," wie
wir jetzt vielleicht sagen würden, und hoben, wenigstens vielfach,
das literarische Interesse über das Herzens-Interesse hinaus.

Etwa um die Mitte Novembers, kurz vor seinem ersten Be-
suche in Berlin und vor der wirklichen Aussöhnung mit dem Va-
ter, schreibt der Kronprinz wie folgt:

"Verehrteste Cousine! Des guten Glaubens, daß Sie zu
meinen besten Freunden in diesen Gegenden zählen, kann ich nicht
unterlassen, Ihnen einen Plan mitzutheilen, der sich auf meinen
demnächstigen Einzug in Berlin bezieht. Es ist ohngefähr Folgen-
des, was ich Ihnen darüber mitzutheilen habe. Der Zug soll
durch eine Heerde jener verpönten Thiere von zartem Fleisch und
unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zu-
fallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner In-
stincte zu schreien. Dann folgt eine Schaf- und Hammelheerde,
unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Heerde
Podolischer Ochsen, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich
selbst. Mein Aufzug ist folgender: ein großer Esel trägt mich, so
einfach als möglich aufgeschirrt. Statt der Pistolenhalfter befinden
sich zwei Getreidesäcke vor mir, und ein tüchtiger Mehlsack vertritt

hat, erhält ſeinen Geißelhieb. Die Liſte iſt ziemlich lang, und
Gouverneur von Lepel, Kammerdirector Hille, die neidiſche Frau
von Wolden, alle ziehen ſie noch einmal vorüber, zuletzt die Colo-
nelle Eberts, von der es heißt, daß ſich über ihre Dummheit eine
ganze Aenëide ſchreiben ließe. An Noten, Erläuterungen und Rand-
bemerkungen iſt kein Mangel, und in einem Poſtſcriptum heißt es,
daß die ganze Satyre in etwa 14 Tagen geſchrieben und doch zu
ſeinem Bedauern immer noch voller Fehler ſei, während er alles
Gute darin dem Horaz, dem Juvenal oder dem Boileau verdanke.

So waren die Verspakete, die die kronprinzliche Correſpon-
denz nach Tamſel hin begleiteten.

Aber wir würden irren, wenn wir annehmen wollten, daß
ſich dieſe literariſchen Beilagen auf Verſe beſchränkt hätten. Auch
der Proſa wurde ihr Recht. Die Briefe ſelber, wie ſchon hervor-
gehoben, wurden gelegentlich zu Aufſätzen, zu „Feuilletons,“ wie
wir jetzt vielleicht ſagen würden, und hoben, wenigſtens vielfach,
das literariſche Intereſſe über das Herzens-Intereſſe hinaus.

Etwa um die Mitte Novembers, kurz vor ſeinem erſten Be-
ſuche in Berlin und vor der wirklichen Ausſöhnung mit dem Va-
ter, ſchreibt der Kronprinz wie folgt:

„Verehrteſte Couſine! Des guten Glaubens, daß Sie zu
meinen beſten Freunden in dieſen Gegenden zählen, kann ich nicht
unterlaſſen, Ihnen einen Plan mitzutheilen, der ſich auf meinen
demnächſtigen Einzug in Berlin bezieht. Es iſt ohngefähr Folgen-
des, was ich Ihnen darüber mitzutheilen habe. Der Zug ſoll
durch eine Heerde jener verpönten Thiere von zartem Fleiſch und
unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zu-
fallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner In-
ſtincte zu ſchreien. Dann folgt eine Schaf- und Hammelheerde,
unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Heerde
Podoliſcher Ochſen, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich
ſelbſt. Mein Aufzug iſt folgender: ein großer Eſel trägt mich, ſo
einfach als möglich aufgeſchirrt. Statt der Piſtolenhalfter befinden
ſich zwei Getreideſäcke vor mir, und ein tüchtiger Mehlſack vertritt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0065" n="53"/>
hat, erhält &#x017F;einen Geißelhieb. Die Li&#x017F;te i&#x017F;t ziemlich lang, und<lb/>
Gouverneur von Lepel, Kammerdirector Hille, die neidi&#x017F;che Frau<lb/>
von Wolden, alle ziehen &#x017F;ie noch einmal vorüber, zuletzt die Colo-<lb/>
nelle Eberts, von der es heißt, daß &#x017F;ich über ihre Dummheit eine<lb/>
ganze Aen<hi rendition="#aq">ë</hi>ide &#x017F;chreiben ließe. An Noten, Erläuterungen und Rand-<lb/>
bemerkungen i&#x017F;t kein Mangel, und in einem Po&#x017F;t&#x017F;criptum heißt es,<lb/>
daß die ganze Satyre in etwa 14 Tagen ge&#x017F;chrieben und doch zu<lb/>
&#x017F;einem Bedauern immer noch voller Fehler &#x017F;ei, während er alles<lb/>
Gute darin dem Horaz, dem Juvenal oder dem Boileau verdanke.</p><lb/>
          <p>So waren die Verspakete, die die kronprinzliche Corre&#x017F;pon-<lb/>
denz nach Tam&#x017F;el hin begleiteten.</p><lb/>
          <p>Aber wir würden irren, wenn wir annehmen wollten, daß<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e literari&#x017F;chen Beilagen auf <hi rendition="#g">Ver&#x017F;e</hi> be&#x017F;chränkt hätten. Auch<lb/>
der Pro&#x017F;a wurde ihr Recht. Die Briefe &#x017F;elber, wie &#x017F;chon hervor-<lb/>
gehoben, wurden gelegentlich zu Auf&#x017F;ätzen, zu &#x201E;Feuilletons,&#x201C; wie<lb/>
wir jetzt vielleicht &#x017F;agen würden, und hoben, wenig&#x017F;tens vielfach,<lb/>
das literari&#x017F;che Intere&#x017F;&#x017F;e über das Herzens-Intere&#x017F;&#x017F;e hinaus.</p><lb/>
          <p>Etwa um die Mitte Novembers, kurz vor &#x017F;einem er&#x017F;ten Be-<lb/>
&#x017F;uche in Berlin und vor der wirklichen Aus&#x017F;öhnung mit dem Va-<lb/>
ter, &#x017F;chreibt der Kronprinz wie folgt:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Verehrte&#x017F;te Cou&#x017F;ine! Des guten Glaubens, daß Sie zu<lb/>
meinen be&#x017F;ten Freunden in die&#x017F;en Gegenden zählen, kann ich nicht<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;en, Ihnen einen Plan mitzutheilen, der &#x017F;ich auf meinen<lb/>
demnäch&#x017F;tigen Einzug in Berlin bezieht. Es i&#x017F;t ohngefähr Folgen-<lb/>
des, was ich Ihnen darüber mitzutheilen habe. Der Zug &#x017F;oll<lb/>
durch eine Heerde jener verpönten Thiere von zartem Flei&#x017F;ch und<lb/>
unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zu-<lb/>
fallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner In-<lb/>
&#x017F;tincte zu &#x017F;chreien. Dann folgt eine Schaf- und Hammelheerde,<lb/>
unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Heerde<lb/>
Podoli&#x017F;cher Och&#x017F;en, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Mein Aufzug i&#x017F;t folgender: ein großer E&#x017F;el trägt mich, &#x017F;o<lb/>
einfach als möglich aufge&#x017F;chirrt. Statt der Pi&#x017F;tolenhalfter befinden<lb/>
&#x017F;ich zwei Getreide&#x017F;äcke vor mir, und ein tüchtiger Mehl&#x017F;ack vertritt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0065] hat, erhält ſeinen Geißelhieb. Die Liſte iſt ziemlich lang, und Gouverneur von Lepel, Kammerdirector Hille, die neidiſche Frau von Wolden, alle ziehen ſie noch einmal vorüber, zuletzt die Colo- nelle Eberts, von der es heißt, daß ſich über ihre Dummheit eine ganze Aenëide ſchreiben ließe. An Noten, Erläuterungen und Rand- bemerkungen iſt kein Mangel, und in einem Poſtſcriptum heißt es, daß die ganze Satyre in etwa 14 Tagen geſchrieben und doch zu ſeinem Bedauern immer noch voller Fehler ſei, während er alles Gute darin dem Horaz, dem Juvenal oder dem Boileau verdanke. So waren die Verspakete, die die kronprinzliche Correſpon- denz nach Tamſel hin begleiteten. Aber wir würden irren, wenn wir annehmen wollten, daß ſich dieſe literariſchen Beilagen auf Verſe beſchränkt hätten. Auch der Proſa wurde ihr Recht. Die Briefe ſelber, wie ſchon hervor- gehoben, wurden gelegentlich zu Aufſätzen, zu „Feuilletons,“ wie wir jetzt vielleicht ſagen würden, und hoben, wenigſtens vielfach, das literariſche Intereſſe über das Herzens-Intereſſe hinaus. Etwa um die Mitte Novembers, kurz vor ſeinem erſten Be- ſuche in Berlin und vor der wirklichen Ausſöhnung mit dem Va- ter, ſchreibt der Kronprinz wie folgt: „Verehrteſte Couſine! Des guten Glaubens, daß Sie zu meinen beſten Freunden in dieſen Gegenden zählen, kann ich nicht unterlaſſen, Ihnen einen Plan mitzutheilen, der ſich auf meinen demnächſtigen Einzug in Berlin bezieht. Es iſt ohngefähr Folgen- des, was ich Ihnen darüber mitzutheilen habe. Der Zug ſoll durch eine Heerde jener verpönten Thiere von zartem Fleiſch und unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zu- fallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner In- ſtincte zu ſchreien. Dann folgt eine Schaf- und Hammelheerde, unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Heerde Podoliſcher Ochſen, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich ſelbſt. Mein Aufzug iſt folgender: ein großer Eſel trägt mich, ſo einfach als möglich aufgeſchirrt. Statt der Piſtolenhalfter befinden ſich zwei Getreideſäcke vor mir, und ein tüchtiger Mehlſack vertritt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/65
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/65>, abgerufen am 23.11.2024.