schönere Theil des Waldes; aber die Osthälfte ist reicher an Sage und Geschichte. Wir wandern dieser anderen Hälfte zu. Eine Meile östlich vom Gamen-Grund, den ich eben zu schildern versucht, liegt ein Vorwerk, hart an der rechten Seite des Weges. Der Wald hat uns bis dicht an die Stall- und Wirthschaftsgebäude desselben begleitet und jenseit desselben, wo das Vorwerk aufhört, fängt der Wald wieder an. Das Ganze erscheint fast nur wie ein Steinthor mitten im Walde, wie eine Auffahrt in die Hügellandschaft hinein, die sich, halb Wiese, halb Ackerland, unmittelbar hinter dem Vor- werk auszudehnen scheint. Dies ist die Stelle, die wir suchen. Die Passage dieses Hofes wird auf Ansuchen freundlich gestattet und hinaustretend in die halb bebauten, halb brachliegenden Felder (die sich nicht nur im Rücken des Vorwerks, sondern auch hin- ter dem Waldsaume entlang ziehen), halten wir uns jetzt links und marschiren etwa 500 Schritt am Rande des Waldes entlang. Wo wir eines Wasserpfuhls, "die Suhle" genannt, ansichtig wer- den, machen wir Halt und stehen nun vor einem mit Steinmassen überdeckten Terrain. Dies Steinfeld ist die sogenannte "Stadt- stelle."
Hier stand vor 500 Jahren die Stadt oder das Städtchen Blumenthal, das seitdem dem ganzen Walde den Namen gege- ben hat. Verfolgen wir nunmehr die Schicksale dieser Stadt durch die Jahrhunderte hindurch.
Die älteste Nachricht über Stadt Blumenthal, die wir haben, reicht bis auf 1375 zurück. Das Landbuch der Mark Brandenburg (bekanntlich in genanntem Jahre entworfen) führt "Blumendal" noch unter den Ortschaften des Landes Barnim auf; der Umstand aber, daß nur das Areal des Städtchens ange- geben, aber weder von Abgaben noch Hofediensten gesprochen wird, spricht dafür, daß die Feldmark bereits wüst und werthlos zu wer- den begann. Die Trefflichkeit der Aecker, so wie die Bedeutung, die "Blumendal" bis dahin gehabt hatte, machen es zwar wahrscheinlich, daß im Laufe der nächsten Zeit verschiedene Versuche gemacht wur- den, die wüst gewordenen Höfe neu zu besetzen und die Aecker neu
ſchönere Theil des Waldes; aber die Oſthälfte iſt reicher an Sage und Geſchichte. Wir wandern dieſer anderen Hälfte zu. Eine Meile öſtlich vom Gamen-Grund, den ich eben zu ſchildern verſucht, liegt ein Vorwerk, hart an der rechten Seite des Weges. Der Wald hat uns bis dicht an die Stall- und Wirthſchaftsgebäude deſſelben begleitet und jenſeit deſſelben, wo das Vorwerk aufhört, fängt der Wald wieder an. Das Ganze erſcheint faſt nur wie ein Steinthor mitten im Walde, wie eine Auffahrt in die Hügellandſchaft hinein, die ſich, halb Wieſe, halb Ackerland, unmittelbar hinter dem Vor- werk auszudehnen ſcheint. Dies iſt die Stelle, die wir ſuchen. Die Paſſage dieſes Hofes wird auf Anſuchen freundlich geſtattet und hinaustretend in die halb bebauten, halb brachliegenden Felder (die ſich nicht nur im Rücken des Vorwerks, ſondern auch hin- ter dem Waldſaume entlang ziehen), halten wir uns jetzt links und marſchiren etwa 500 Schritt am Rande des Waldes entlang. Wo wir eines Waſſerpfuhls, „die Suhle“ genannt, anſichtig wer- den, machen wir Halt und ſtehen nun vor einem mit Steinmaſſen überdeckten Terrain. Dies Steinfeld iſt die ſogenannte „Stadt- ſtelle.“
Hier ſtand vor 500 Jahren die Stadt oder das Städtchen Blumenthal, das ſeitdem dem ganzen Walde den Namen gege- ben hat. Verfolgen wir nunmehr die Schickſale dieſer Stadt durch die Jahrhunderte hindurch.
Die älteſte Nachricht über Stadt Blumenthal, die wir haben, reicht bis auf 1375 zurück. Das Landbuch der Mark Brandenburg (bekanntlich in genanntem Jahre entworfen) führt „Blumendal“ noch unter den Ortſchaften des Landes Barnim auf; der Umſtand aber, daß nur das Areal des Städtchens ange- geben, aber weder von Abgaben noch Hofedienſten geſprochen wird, ſpricht dafür, daß die Feldmark bereits wüſt und werthlos zu wer- den begann. Die Trefflichkeit der Aecker, ſo wie die Bedeutung, die „Blumendal“ bis dahin gehabt hatte, machen es zwar wahrſcheinlich, daß im Laufe der nächſten Zeit verſchiedene Verſuche gemacht wur- den, die wüſt gewordenen Höfe neu zu beſetzen und die Aecker neu
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ſchönere Theil des Waldes; aber die Oſthälfte iſt reicher an Sage
und Geſchichte. Wir wandern dieſer anderen Hälfte zu. Eine Meile
öſtlich vom Gamen-Grund, den ich eben zu ſchildern verſucht, liegt
ein Vorwerk, hart an der rechten Seite des Weges. Der Wald
hat uns bis dicht an die Stall- und Wirthſchaftsgebäude deſſelben
begleitet und jenſeit deſſelben, wo das Vorwerk aufhört, fängt der
Wald wieder an. Das Ganze erſcheint faſt nur wie ein Steinthor
mitten im Walde, wie eine Auffahrt in die Hügellandſchaft hinein,
die ſich, halb Wieſe, halb Ackerland, unmittelbar hinter dem Vor-
werk auszudehnen ſcheint. Dies iſt die Stelle, die wir ſuchen. Die
Paſſage dieſes Hofes wird auf Anſuchen freundlich geſtattet und
hinaustretend in die halb bebauten, halb brachliegenden Felder
(die ſich nicht nur im Rücken des Vorwerks, ſondern auch hin-
ter dem Waldſaume entlang ziehen), halten wir uns jetzt links
und marſchiren etwa 500 Schritt am Rande des Waldes entlang.
Wo wir eines Waſſerpfuhls, „die Suhle“ genannt, anſichtig wer-
den, machen wir Halt und ſtehen nun vor einem mit Steinmaſſen
überdeckten Terrain. Dies Steinfeld iſt die ſogenannte „Stadt-
ſtelle.“
Hier ſtand vor 500 Jahren die Stadt oder das Städtchen
Blumenthal, das ſeitdem dem ganzen Walde den Namen gege-
ben hat. Verfolgen wir nunmehr die Schickſale dieſer Stadt durch
die Jahrhunderte hindurch.
Die älteſte Nachricht über Stadt Blumenthal, die wir
haben, reicht bis auf 1375 zurück. Das Landbuch der Mark
Brandenburg (bekanntlich in genanntem Jahre entworfen) führt
„Blumendal“ noch unter den Ortſchaften des Landes Barnim
auf; der Umſtand aber, daß nur das Areal des Städtchens ange-
geben, aber weder von Abgaben noch Hofedienſten geſprochen wird,
ſpricht dafür, daß die Feldmark bereits wüſt und werthlos zu wer-
den begann. Die Trefflichkeit der Aecker, ſo wie die Bedeutung, die
„Blumendal“ bis dahin gehabt hatte, machen es zwar wahrſcheinlich,
daß im Laufe der nächſten Zeit verſchiedene Verſuche gemacht wur-
den, die wüſt gewordenen Höfe neu zu beſetzen und die Aecker neu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/84>, abgerufen am 23.11.2024.
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