merken) in die alte Umwallung ein, völlig überzeugt, daß Klöden Recht gehabt habe, als er die Existenz einer Stadtstelle bestritt. Aber dieser Eindruck ist nicht von Dauer. Unser kundiger Führer (der Meier auf dem obengenannten Vorwerk) führt uns an ein Gestrüpp von Elsbusch und Brombeerstrauch und sagt dann, auf eine Steinlinie zeigend, die kaum fußhoch aus der Erde hervor- ragt: Dies ist die Kirche. Wir antworten zunächst mit einem halb verlegenen Lächeln. "Hier können Sie den Kalk sehen", fährt der Führer fort, ein Stück Mörtel aus den Fugen losstoßend, und indem wir uns nunmehr niederbeugen und das Kalkstück in die Hand nehmen, erkennen wir mit so großer Bestimmtheit, wie sie nur irgendwie der Augenschein geben kann, daß wir hier nicht eine aufgeschüttete Einfriedigung, sondern ein in die Tiefe gehendes, gemauertes Fundament vor uns haben. Auf einen Schlag sind wir überführt. Wir verfolgen nun die Steinlinie, kommen an die Ecksteine, endlich an einen zweiten und dritten, überblicken das Oblong und sind mit einem Male orientirt. Aller Zweifel schwindet und wir sehen klärlich: hier hat ein Gebäude gestanden, die Fun- damente liegen da; ob Kirche oder Rathhaus, ist gleichgültig; höchst wahrscheinlich eine Kirche. Unser Führer erkennt sehr wohl die Umwandlung, die in uns vorgegangen. "Ich werde Sie nun zu dem großen Brunnen führen", murmelt er mit erkünstelter Gleich- gültigkeit (denn diese "Stadt-Stelle" ist sein Stolz) vor sich hin und geht, hügelanwärts, vorauf. Inmitten eines Stück Roggen- landes, dessen Halme erst handhoch aus der Erde ragen, stehen wir alsbald vor dem Brunnen, und zwar ganz unzweideutig vor einem jener Ziehbrunnen, wie wir deren noch jetzt in den Dorfgassen be- gegnen. Wir sehen eine Rundung von 5 bis 6 Fuß Durchmesser, die Rundung selbst mit Feldsteinen ausgemauert und die Höhlung, wiewohl mit Geröll locker zugeworfen, noch jetzt über 5 Fuß tief. Auf unsere Fragen erfahren wir, daß vor 20 Jahren alle diese Dinge noch viel deutlicher waren: das Mauerwerk der Kirche ragte noch mannshoch auf, die Brunnenhöhlung war noch gegen 15 Fuß tief, und die innere Umkleidung, der Mantel des Brunnens, erwies
merken) in die alte Umwallung ein, völlig überzeugt, daß Klöden Recht gehabt habe, als er die Exiſtenz einer Stadtſtelle beſtritt. Aber dieſer Eindruck iſt nicht von Dauer. Unſer kundiger Führer (der Meier auf dem obengenannten Vorwerk) führt uns an ein Geſtrüpp von Elsbuſch und Brombeerſtrauch und ſagt dann, auf eine Steinlinie zeigend, die kaum fußhoch aus der Erde hervor- ragt: Dies iſt die Kirche. Wir antworten zunächſt mit einem halb verlegenen Lächeln. „Hier können Sie den Kalk ſehen“, fährt der Führer fort, ein Stück Mörtel aus den Fugen losſtoßend, und indem wir uns nunmehr niederbeugen und das Kalkſtück in die Hand nehmen, erkennen wir mit ſo großer Beſtimmtheit, wie ſie nur irgendwie der Augenſchein geben kann, daß wir hier nicht eine aufgeſchüttete Einfriedigung, ſondern ein in die Tiefe gehendes, gemauertes Fundament vor uns haben. Auf einen Schlag ſind wir überführt. Wir verfolgen nun die Steinlinie, kommen an die Eckſteine, endlich an einen zweiten und dritten, überblicken das Oblong und ſind mit einem Male orientirt. Aller Zweifel ſchwindet und wir ſehen klärlich: hier hat ein Gebäude geſtanden, die Fun- damente liegen da; ob Kirche oder Rathhaus, iſt gleichgültig; höchſt wahrſcheinlich eine Kirche. Unſer Führer erkennt ſehr wohl die Umwandlung, die in uns vorgegangen. „Ich werde Sie nun zu dem großen Brunnen führen“, murmelt er mit erkünſtelter Gleich- gültigkeit (denn dieſe „Stadt-Stelle“ iſt ſein Stolz) vor ſich hin und geht, hügelanwärts, vorauf. Inmitten eines Stück Roggen- landes, deſſen Halme erſt handhoch aus der Erde ragen, ſtehen wir alsbald vor dem Brunnen, und zwar ganz unzweideutig vor einem jener Ziehbrunnen, wie wir deren noch jetzt in den Dorfgaſſen be- gegnen. Wir ſehen eine Rundung von 5 bis 6 Fuß Durchmeſſer, die Rundung ſelbſt mit Feldſteinen ausgemauert und die Höhlung, wiewohl mit Geröll locker zugeworfen, noch jetzt über 5 Fuß tief. Auf unſere Fragen erfahren wir, daß vor 20 Jahren alle dieſe Dinge noch viel deutlicher waren: das Mauerwerk der Kirche ragte noch mannshoch auf, die Brunnenhöhlung war noch gegen 15 Fuß tief, und die innere Umkleidung, der Mantel des Brunnens, erwies
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merken) in die alte Umwallung ein, völlig überzeugt, daß Klöden
Recht gehabt habe, als er die Exiſtenz einer Stadtſtelle beſtritt.
Aber dieſer Eindruck iſt nicht von Dauer. Unſer kundiger Führer
(der Meier auf dem obengenannten Vorwerk) führt uns an ein
Geſtrüpp von Elsbuſch und Brombeerſtrauch und ſagt dann, auf
eine Steinlinie zeigend, die kaum fußhoch aus der Erde hervor-
ragt: Dies iſt die Kirche. Wir antworten zunächſt mit einem
halb verlegenen Lächeln. „Hier können Sie den Kalk ſehen“, fährt
der Führer fort, ein Stück Mörtel aus den Fugen losſtoßend, und
indem wir uns nunmehr niederbeugen und das Kalkſtück in die
Hand nehmen, erkennen wir mit ſo großer Beſtimmtheit, wie ſie
nur irgendwie der Augenſchein geben kann, daß wir hier nicht eine
aufgeſchüttete Einfriedigung, ſondern ein in die Tiefe gehendes,
gemauertes Fundament vor uns haben. Auf einen Schlag ſind
wir überführt. Wir verfolgen nun die Steinlinie, kommen an die
Eckſteine, endlich an einen zweiten und dritten, überblicken das
Oblong und ſind mit einem Male orientirt. Aller Zweifel ſchwindet
und wir ſehen klärlich: hier hat ein Gebäude geſtanden, die Fun-
damente liegen da; ob Kirche oder Rathhaus, iſt gleichgültig;
höchſt wahrſcheinlich eine Kirche. Unſer Führer erkennt ſehr wohl
die Umwandlung, die in uns vorgegangen. „Ich werde Sie nun zu
dem großen Brunnen führen“, murmelt er mit erkünſtelter Gleich-
gültigkeit (denn dieſe „Stadt-Stelle“ iſt ſein Stolz) vor ſich hin
und geht, hügelanwärts, vorauf. Inmitten eines Stück Roggen-
landes, deſſen Halme erſt handhoch aus der Erde ragen, ſtehen wir
alsbald vor dem Brunnen, und zwar ganz unzweideutig vor einem
jener Ziehbrunnen, wie wir deren noch jetzt in den Dorfgaſſen be-
gegnen. Wir ſehen eine Rundung von 5 bis 6 Fuß Durchmeſſer,
die Rundung ſelbſt mit Feldſteinen ausgemauert und die Höhlung,
wiewohl mit Geröll locker zugeworfen, noch jetzt über 5 Fuß tief.
Auf unſere Fragen erfahren wir, daß vor 20 Jahren alle dieſe
Dinge noch viel deutlicher waren: das Mauerwerk der Kirche ragte
noch mannshoch auf, die Brunnenhöhlung war noch gegen 15 Fuß
tief, und die innere Umkleidung, der Mantel des Brunnens, erwies
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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