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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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überhaupt! Der älteste Theil (der romanische) steht; der gothi-
sche Theil liegt in Trümmer. Da wo diese Trümmer an den
noch intakt erhaltenen Theil der Kirche sich lehnen, hat man
jetzt eine Quermauer gezogen und mit Hülfe dieser das Zer-
fallene von dem noch Erhaltenen geschieden. Das lange gothi-
sche Schiff hat dadurch freilich aufgehört ein Längsschiff zu sein
und ist ein Kurzschiff geworden; die Seitenschiffe fehlen ganz,
und die Pfeilerarkaden, die sonst aus dem Hauptschiff in die
Nebenschiffe führten, bilden jetzt (nachdem die offenen Rund-
bogen vermauert wurden) die Seitenwände des einen kurzen
Schiffs, das überhaupt noch vorhanden ist. An die Stelle fri-
scher Farben ist jetzt die leblose weiße Tünche getreten, und
Reparatur bedürftige Kirchenstühle, über denen sich an einer
Seite des Schiffs eine ebenfalls hinfällige Empore mit vergilb-
ten Brautkronen und Todtenkränzen entlang zieht, steigern eher
die Dürftigkeit des Anblicks, als daß sie ihn minderten. Den
Fußboden des Schiffs entlang, abgetreten und ausgehöhlt, liegen
rothe Fliesen; die Grabsteine sind fort, ebenso die schwebenden
Heiligen mit rothen Bändern und Goldschein hoch oben an der
Decke. Alles was einst glänzte und leuchtete ist hin; der Altar-
schrein mit Schnitzwerk und Bilderpracht hat seine Stelle gewech-
selt, und statt des Purpurs und Brokats ist die übliche schwarze
Decke (die mehr zu einem Trauer- als zu einem Freudenmahle
paßt) über den schlichten Altartisch gebreitet. Nur der alte,
inzwischen halb zu Stein gewordene Eichenstumpf, die lebendige
Wurzel, aus der einst dies Kloster erwuchs, ist ihm geblieben
und hat alles überdauert, seinen Glanz und seinen Verfall. Nichts
mehr von Nischen und Marienbildern, von Kapellen und askani-
schen Grabsteinen; nur Otto VI., auch Ottoken genannt,
Schwiegersohn Kaiser Rudolphs von Habsburg, der als
Akoluth des Klosters verstarb, behauptet -- auch in künstlerischer
Beziehung ein interessantes Ueberbleibsel aus geschwundener Zeit
-- seinen Ehrenplatz an alter Stelle. Sein Grabstein liegt mitten
im hohen Chor. Die Erinnerungszeichen an Abt Siebold sind
zerstört; seine Grabkammer, die noch im vorigen Jahrhundert

überhaupt! Der älteſte Theil (der romaniſche) ſteht; der gothi-
ſche Theil liegt in Trümmer. Da wo dieſe Trümmer an den
noch intakt erhaltenen Theil der Kirche ſich lehnen, hat man
jetzt eine Quermauer gezogen und mit Hülfe dieſer das Zer-
fallene von dem noch Erhaltenen geſchieden. Das lange gothi-
ſche Schiff hat dadurch freilich aufgehört ein Längsſchiff zu ſein
und iſt ein Kurzſchiff geworden; die Seitenſchiffe fehlen ganz,
und die Pfeilerarkaden, die ſonſt aus dem Hauptſchiff in die
Nebenſchiffe führten, bilden jetzt (nachdem die offenen Rund-
bogen vermauert wurden) die Seitenwände des einen kurzen
Schiffs, das überhaupt noch vorhanden iſt. An die Stelle fri-
ſcher Farben iſt jetzt die lebloſe weiße Tünche getreten, und
Reparatur bedürftige Kirchenſtühle, über denen ſich an einer
Seite des Schiffs eine ebenfalls hinfällige Empore mit vergilb-
ten Brautkronen und Todtenkränzen entlang zieht, ſteigern eher
die Dürftigkeit des Anblicks, als daß ſie ihn minderten. Den
Fußboden des Schiffs entlang, abgetreten und ausgehöhlt, liegen
rothe Flieſen; die Grabſteine ſind fort, ebenſo die ſchwebenden
Heiligen mit rothen Bändern und Goldſchein hoch oben an der
Decke. Alles was einſt glänzte und leuchtete iſt hin; der Altar-
ſchrein mit Schnitzwerk und Bilderpracht hat ſeine Stelle gewech-
ſelt, und ſtatt des Purpurs und Brokats iſt die übliche ſchwarze
Decke (die mehr zu einem Trauer- als zu einem Freudenmahle
paßt) über den ſchlichten Altartiſch gebreitet. Nur der alte,
inzwiſchen halb zu Stein gewordene Eichenſtumpf, die lebendige
Wurzel, aus der einſt dies Kloſter erwuchs, iſt ihm geblieben
und hat alles überdauert, ſeinen Glanz und ſeinen Verfall. Nichts
mehr von Niſchen und Marienbildern, von Kapellen und askani-
ſchen Grabſteinen; nur Otto VI., auch Ottoken genannt,
Schwiegerſohn Kaiſer Rudolphs von Habsburg, der als
Akoluth des Kloſters verſtarb, behauptet — auch in künſtleriſcher
Beziehung ein intereſſantes Ueberbleibſel aus geſchwundener Zeit
— ſeinen Ehrenplatz an alter Stelle. Sein Grabſtein liegt mitten
im hohen Chor. Die Erinnerungszeichen an Abt Siebold ſind
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[107/0125] überhaupt! Der älteſte Theil (der romaniſche) ſteht; der gothi- ſche Theil liegt in Trümmer. Da wo dieſe Trümmer an den noch intakt erhaltenen Theil der Kirche ſich lehnen, hat man jetzt eine Quermauer gezogen und mit Hülfe dieſer das Zer- fallene von dem noch Erhaltenen geſchieden. Das lange gothi- ſche Schiff hat dadurch freilich aufgehört ein Längsſchiff zu ſein und iſt ein Kurzſchiff geworden; die Seitenſchiffe fehlen ganz, und die Pfeilerarkaden, die ſonſt aus dem Hauptſchiff in die Nebenſchiffe führten, bilden jetzt (nachdem die offenen Rund- bogen vermauert wurden) die Seitenwände des einen kurzen Schiffs, das überhaupt noch vorhanden iſt. An die Stelle fri- ſcher Farben iſt jetzt die lebloſe weiße Tünche getreten, und Reparatur bedürftige Kirchenſtühle, über denen ſich an einer Seite des Schiffs eine ebenfalls hinfällige Empore mit vergilb- ten Brautkronen und Todtenkränzen entlang zieht, ſteigern eher die Dürftigkeit des Anblicks, als daß ſie ihn minderten. Den Fußboden des Schiffs entlang, abgetreten und ausgehöhlt, liegen rothe Flieſen; die Grabſteine ſind fort, ebenſo die ſchwebenden Heiligen mit rothen Bändern und Goldſchein hoch oben an der Decke. Alles was einſt glänzte und leuchtete iſt hin; der Altar- ſchrein mit Schnitzwerk und Bilderpracht hat ſeine Stelle gewech- ſelt, und ſtatt des Purpurs und Brokats iſt die übliche ſchwarze Decke (die mehr zu einem Trauer- als zu einem Freudenmahle paßt) über den ſchlichten Altartiſch gebreitet. Nur der alte, inzwiſchen halb zu Stein gewordene Eichenſtumpf, die lebendige Wurzel, aus der einſt dies Kloſter erwuchs, iſt ihm geblieben und hat alles überdauert, ſeinen Glanz und ſeinen Verfall. Nichts mehr von Niſchen und Marienbildern, von Kapellen und askani- ſchen Grabſteinen; nur Otto VI., auch Ottoken genannt, Schwiegerſohn Kaiſer Rudolphs von Habsburg, der als Akoluth des Kloſters verſtarb, behauptet — auch in künſtleriſcher Beziehung ein intereſſantes Ueberbleibſel aus geſchwundener Zeit — ſeinen Ehrenplatz an alter Stelle. Sein Grabſtein liegt mitten im hohen Chor. Die Erinnerungszeichen an Abt Siebold ſind zerſtört; ſeine Grabkammer, die noch im vorigen Jahrhundert

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/125>, abgerufen am 26.11.2024.