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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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es fiel mir denn auch nicht im Geringsten schwer, recht bald
Wort zu halten."

Gegen Ende seines Lebens hin, empfand Meusebach immer
tiefer das Bedürfniß, ungestört seinen Studien leben zu können.
Er gab seine hohe richterliche Stellung auf (1842) und zog
sich nun nach Alt-Geltow zurück. Mit ihm ging seine
Bibliothek. Aber nicht lange mehr hatte er sich dieser Muße zu
freuen. Er starb am 22. August 1847. Seine Bibliothek,
ein Schatz, wurde 1849 seitens der preußischen Regierung
erstanden und der Berliner Bibliothek einverleibt.

Hatte der Vater der stillen Welt seiner Bücher angehört,
so gehörte der Sohn (seiner äußeren Stellung nach ebenfalls
Jurist) um so voller der Außenwelt, dem Markt des Lebens
an. Er war in eminentem Sinne ein "Lebemann," geistreich,
schlagfertig, eine feine und spitze Zunge zugleich. Die März-
Ereignisse zogen ihn in die Politik; sein berühmter Ausspruch:
"ich rieche Leichen," womit er in den Octobertagen desselben
Jahres auf die Tribüne trat, ist unvergessen geblieben und ein
geflügeltes Wort geworden. Die 50 er Jahre sahen ihn im
diplomatischen Dienst, erst als Generalconsul in den Donau-
fürstenthümern, dann als Gesandten in Brasilien. Seine Wunder-
lichkeiten wuchsen. 1854 in Giurgewo war er im türkischen
Kugelregen nicht nur spazieren gegangen, sondern hatte seinen
Rattenfänger auf das Apportiren von Sprengstücken abgerichtet;
acht Jahre später in Rio verfiel er dem Wahnsinn. Seine
Lebensweise hatte die angeborene Excentricität unterstützt. "Cham-
pagner in Eis" war sein steter Begleiter und seine oft abge-
gebene Versicherung, "daß er seines Vaters Bibliothek in den
Keller getragen habe," war nur allzu richtig. So konnte die
Katastrophe kaum ausbleiben. Eine reich angelegte Natur ging
in ihm zu Grunde.

Daß ich Gräbern wie diesen auf dem Geltower Kirchhofe
begegnen würde, der Gedanke hatte mir fern gelegen. Ich las
die einfachen Inschriften, nahm ein Epheublatt vom Grabe des
Vaters und stand noch immer wie im Bann dieser Stätte.

es fiel mir denn auch nicht im Geringſten ſchwer, recht bald
Wort zu halten.“

Gegen Ende ſeines Lebens hin, empfand Meuſebach immer
tiefer das Bedürfniß, ungeſtört ſeinen Studien leben zu können.
Er gab ſeine hohe richterliche Stellung auf (1842) und zog
ſich nun nach Alt-Geltow zurück. Mit ihm ging ſeine
Bibliothek. Aber nicht lange mehr hatte er ſich dieſer Muße zu
freuen. Er ſtarb am 22. Auguſt 1847. Seine Bibliothek,
ein Schatz, wurde 1849 ſeitens der preußiſchen Regierung
erſtanden und der Berliner Bibliothek einverleibt.

Hatte der Vater der ſtillen Welt ſeiner Bücher angehört,
ſo gehörte der Sohn (ſeiner äußeren Stellung nach ebenfalls
Juriſt) um ſo voller der Außenwelt, dem Markt des Lebens
an. Er war in eminentem Sinne ein „Lebemann,“ geiſtreich,
ſchlagfertig, eine feine und ſpitze Zunge zugleich. Die März-
Ereigniſſe zogen ihn in die Politik; ſein berühmter Ausſpruch:
„ich rieche Leichen,“ womit er in den Octobertagen deſſelben
Jahres auf die Tribüne trat, iſt unvergeſſen geblieben und ein
geflügeltes Wort geworden. Die 50 er Jahre ſahen ihn im
diplomatiſchen Dienſt, erſt als Generalconſul in den Donau-
fürſtenthümern, dann als Geſandten in Braſilien. Seine Wunder-
lichkeiten wuchſen. 1854 in Giurgewo war er im türkiſchen
Kugelregen nicht nur ſpazieren gegangen, ſondern hatte ſeinen
Rattenfänger auf das Apportiren von Sprengſtücken abgerichtet;
acht Jahre ſpäter in Rio verfiel er dem Wahnſinn. Seine
Lebensweiſe hatte die angeborene Excentricität unterſtützt. „Cham-
pagner in Eis“ war ſein ſteter Begleiter und ſeine oft abge-
gebene Verſicherung, „daß er ſeines Vaters Bibliothek in den
Keller getragen habe,“ war nur allzu richtig. So konnte die
Kataſtrophe kaum ausbleiben. Eine reich angelegte Natur ging
in ihm zu Grunde.

Daß ich Gräbern wie dieſen auf dem Geltower Kirchhofe
begegnen würde, der Gedanke hatte mir fern gelegen. Ich las
die einfachen Inſchriften, nahm ein Epheublatt vom Grabe des
Vaters und ſtand noch immer wie im Bann dieſer Stätte.

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[203/0221] es fiel mir denn auch nicht im Geringſten ſchwer, recht bald Wort zu halten.“ Gegen Ende ſeines Lebens hin, empfand Meuſebach immer tiefer das Bedürfniß, ungeſtört ſeinen Studien leben zu können. Er gab ſeine hohe richterliche Stellung auf (1842) und zog ſich nun nach Alt-Geltow zurück. Mit ihm ging ſeine Bibliothek. Aber nicht lange mehr hatte er ſich dieſer Muße zu freuen. Er ſtarb am 22. Auguſt 1847. Seine Bibliothek, ein Schatz, wurde 1849 ſeitens der preußiſchen Regierung erſtanden und der Berliner Bibliothek einverleibt. Hatte der Vater der ſtillen Welt ſeiner Bücher angehört, ſo gehörte der Sohn (ſeiner äußeren Stellung nach ebenfalls Juriſt) um ſo voller der Außenwelt, dem Markt des Lebens an. Er war in eminentem Sinne ein „Lebemann,“ geiſtreich, ſchlagfertig, eine feine und ſpitze Zunge zugleich. Die März- Ereigniſſe zogen ihn in die Politik; ſein berühmter Ausſpruch: „ich rieche Leichen,“ womit er in den Octobertagen deſſelben Jahres auf die Tribüne trat, iſt unvergeſſen geblieben und ein geflügeltes Wort geworden. Die 50 er Jahre ſahen ihn im diplomatiſchen Dienſt, erſt als Generalconſul in den Donau- fürſtenthümern, dann als Geſandten in Braſilien. Seine Wunder- lichkeiten wuchſen. 1854 in Giurgewo war er im türkiſchen Kugelregen nicht nur ſpazieren gegangen, ſondern hatte ſeinen Rattenfänger auf das Apportiren von Sprengſtücken abgerichtet; acht Jahre ſpäter in Rio verfiel er dem Wahnſinn. Seine Lebensweiſe hatte die angeborene Excentricität unterſtützt. „Cham- pagner in Eis“ war ſein ſteter Begleiter und ſeine oft abge- gebene Verſicherung, „daß er ſeines Vaters Bibliothek in den Keller getragen habe,“ war nur allzu richtig. So konnte die Kataſtrophe kaum ausbleiben. Eine reich angelegte Natur ging in ihm zu Grunde. Daß ich Gräbern wie dieſen auf dem Geltower Kirchhofe begegnen würde, der Gedanke hatte mir fern gelegen. Ich las die einfachen Inſchriften, nahm ein Epheublatt vom Grabe des Vaters und ſtand noch immer wie im Bann dieſer Stätte.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/221>, abgerufen am 15.05.2024.