Assessors den Goodwin-Sands, wo die Mastspitzen der Ver- lorengegangenen so dicht aufragen, wie die Kreuze auf einem großstädtischen Kirchhof.
Solche und ähnliche Betrachtungen mochten es sein, die vor etwa 20 Jahren einen Dr. Foerstermann anspornten, der bedrängten Menschheit zu Hilfe zu eilen. Dem Plan folgte die Ausführung. In das schöne, beinah schloßartig gelegene Haus des alten Meusebach zog der junge Doktor ein; die Bibliothek- zimmer wurden zu Klassen und Auditorien, und ein Institut entstand, das sich, "einem tiefgefühlten Bedürfniß entsprechend," rasch emporarbeitete und die Zahlen und Tabellen der Schiff- bruch-Statistik erheblich reducirte, während Neu-Geltow mehr und mehr jenen Klostercharakter annahm, den wir vorstehend bezeichnet haben. Auch ein Gelübde hatten die Eintretenden zu leisten; keins der drei großen (am wenigsten das der Armuth), wohl aber das eine: jede der beim Examen an sie gerichteten Fragen gewissenhaft zu notiren und mitzutheilen. Diese Fragen, nunmehr Eigenthum des Instituts, wurden in das goldene Buch des Hauses eingetragen und was in Upsala der Codex argenteus, oder in London die Tischendorfsche Bibel ist, das wurde im Foerstermannschen Institut dieser Codex aureus. An ihm hing alles; er wog alles andere auf. Es war der Koran des Omar. "Wenn in anderen Büchern dasselbe steht, so sind sie überflüssig; wenn in ihnen etwas anderes steht, so sind sie unbrauchbar, gefährlich." Wie die Welt auf der Schildkröte ruht, so ruhte das Institut auf diesem Buch. Und doch kam es anders, als Dr. Foerstermann gedacht hatte.
Die Zeit schritt vorwärts, Preußen mit, und mit ihm -- seine Steuern. Ruhm war nie billig. An Dr. Foerstermanns Thür klopfte die "Einschätzungscommission," klopfte häufiger und immer stärker, und müde der drohenden Schraube ohne Ende, schloß er daß Institut. Die Studirmönche von Neu-Geltow waren haupt- und führerlos; der Orden schien seiner Auflösung nahe.
Aber er schien es nur. Ein junger begnadeter Referenda- rius, der noch nicht lange genug da war, um den Wald vor
Aſſeſſors den Goodwin-Sands, wo die Maſtſpitzen der Ver- lorengegangenen ſo dicht aufragen, wie die Kreuze auf einem großſtädtiſchen Kirchhof.
Solche und ähnliche Betrachtungen mochten es ſein, die vor etwa 20 Jahren einen Dr. Foerſtermann anſpornten, der bedrängten Menſchheit zu Hilfe zu eilen. Dem Plan folgte die Ausführung. In das ſchöne, beinah ſchloßartig gelegene Haus des alten Meuſebach zog der junge Doktor ein; die Bibliothek- zimmer wurden zu Klaſſen und Auditorien, und ein Inſtitut entſtand, das ſich, „einem tiefgefühlten Bedürfniß entſprechend,“ raſch emporarbeitete und die Zahlen und Tabellen der Schiff- bruch-Statiſtik erheblich reducirte, während Neu-Geltow mehr und mehr jenen Kloſtercharakter annahm, den wir vorſtehend bezeichnet haben. Auch ein Gelübde hatten die Eintretenden zu leiſten; keins der drei großen (am wenigſten das der Armuth), wohl aber das eine: jede der beim Examen an ſie gerichteten Fragen gewiſſenhaft zu notiren und mitzutheilen. Dieſe Fragen, nunmehr Eigenthum des Inſtituts, wurden in das goldene Buch des Hauſes eingetragen und was in Upſala der Codex argenteus, oder in London die Tiſchendorfſche Bibel iſt, das wurde im Foerſtermannſchen Inſtitut dieſer Codex aureus. An ihm hing alles; er wog alles andere auf. Es war der Koran des Omar. „Wenn in anderen Büchern daſſelbe ſteht, ſo ſind ſie überflüſſig; wenn in ihnen etwas anderes ſteht, ſo ſind ſie unbrauchbar, gefährlich.“ Wie die Welt auf der Schildkröte ruht, ſo ruhte das Inſtitut auf dieſem Buch. Und doch kam es anders, als Dr. Foerſtermann gedacht hatte.
Die Zeit ſchritt vorwärts, Preußen mit, und mit ihm — ſeine Steuern. Ruhm war nie billig. An Dr. Foerſtermanns Thür klopfte die „Einſchätzungscommiſſion,“ klopfte häufiger und immer ſtärker, und müde der drohenden Schraube ohne Ende, ſchloß er daß Inſtitut. Die Studirmönche von Neu-Geltow waren haupt- und führerlos; der Orden ſchien ſeiner Auflöſung nahe.
Aber er ſchien es nur. Ein junger begnadeter Referenda- rius, der noch nicht lange genug da war, um den Wald vor
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Aſſeſſors den Goodwin-Sands, wo die Maſtſpitzen der Ver-
lorengegangenen ſo dicht aufragen, wie die Kreuze auf einem
großſtädtiſchen Kirchhof.
Solche und ähnliche Betrachtungen mochten es ſein, die
vor etwa 20 Jahren einen Dr. Foerſtermann anſpornten, der
bedrängten Menſchheit zu Hilfe zu eilen. Dem Plan folgte die
Ausführung. In das ſchöne, beinah ſchloßartig gelegene Haus
des alten Meuſebach zog der junge Doktor ein; die Bibliothek-
zimmer wurden zu Klaſſen und Auditorien, und ein Inſtitut
entſtand, das ſich, „einem tiefgefühlten Bedürfniß entſprechend,“
raſch emporarbeitete und die Zahlen und Tabellen der Schiff-
bruch-Statiſtik erheblich reducirte, während Neu-Geltow mehr
und mehr jenen Kloſtercharakter annahm, den wir vorſtehend
bezeichnet haben. Auch ein Gelübde hatten die Eintretenden zu
leiſten; keins der drei großen (am wenigſten das der Armuth),
wohl aber das eine: jede der beim Examen an ſie gerichteten
Fragen gewiſſenhaft zu notiren und mitzutheilen. Dieſe Fragen,
nunmehr Eigenthum des Inſtituts, wurden in das goldene Buch
des Hauſes eingetragen und was in Upſala der Codex argenteus,
oder in London die Tiſchendorfſche Bibel iſt, das wurde im
Foerſtermannſchen Inſtitut dieſer Codex aureus. An ihm hing
alles; er wog alles andere auf. Es war der Koran des Omar.
„Wenn in anderen Büchern daſſelbe ſteht, ſo ſind ſie überflüſſig;
wenn in ihnen etwas anderes ſteht, ſo ſind ſie unbrauchbar,
gefährlich.“ Wie die Welt auf der Schildkröte ruht, ſo ruhte
das Inſtitut auf dieſem Buch. Und doch kam es anders, als
Dr. Foerſtermann gedacht hatte.
Die Zeit ſchritt vorwärts, Preußen mit, und mit ihm —
ſeine Steuern. Ruhm war nie billig. An Dr. Foerſtermanns
Thür klopfte die „Einſchätzungscommiſſion,“ klopfte häufiger
und immer ſtärker, und müde der drohenden Schraube ohne Ende,
ſchloß er daß Inſtitut. Die Studirmönche von Neu-Geltow waren
haupt- und führerlos; der Orden ſchien ſeiner Auflöſung nahe.
Aber er ſchien es nur. Ein junger begnadeter Referenda-
rius, der noch nicht lange genug da war, um den Wald vor
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/228>, abgerufen am 26.11.2024.
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