eine Schwadron Garde-Husaren des Weges kommen. "Habt ihr nicht einen Mann und einen Kinderwagen gesehn?" Ja wohl; er muß jetzt hinter Drei-Linden sein, auf Neu-Zehlen- dorf zu.
Die Hoffnung sank wieder. Der Vorsprung war zu groß. Die Kräfte ließen nach. In diesem kritischen Moment indessen kam von einem der Etablissements her eine Morgendroschke gefahren, die nach Potsdam zurück wollte. "Halt! 20 Sgr. bis Neu-Zehlendorf." Der Kutscher rührte sich nicht. "Einen Thaler." Er nickte. "Noch ein Trinkgeld Kutscher, aber nun laßt euren Wettrenner laufen."
Was soll ich die Katastrophe länger hinausschieben! Sie errathen ohnehin den Ausgang. In einem Chausseegraben zwischen Drei-Linden und Zehlendorf, hart zur Linken des Weges, saß der Gegenstand dieser energischen Suche und früh- stückte, eine der geraubten Speckseiten neben sich, mit der ganzen Ruhe eines guten Gewissens, während der Kinderwagen mit seinem Bettenbündel wie das Junge eines Frachtwagens mitten auf der Chaussee stand. Dieser letztere Umstand sollte dem arglosen Frühstücker besonders verhängnißvoll werden, denn die gestörte Straßen-Communication ließ nunmehr ein Ausbiegen nach links hin (ein "Gewinnen der inneren Linie" wie die Strategen sagen würden), völlig unverfänglich erscheinen. So gelang ein totaler Ueberfall. Im Moment des Vorbeifahrens stürzten sich die beiden Brüder aus der schon vorher leise geöffneten Droschkenthür auf ihr Opfer, entrissen ihm, unter Geltendmachung ihrer "immer los gehenden Waffe," das Klapp- messer, das der Ueberraschte einen Augenblick Miene machte a deux mains zu gebrauchen, und luden ihn dann ein, den Mittelplatz in ihrer Droschke einzunehmen. "Er werde wohl müde sein." Der Kinderwagen wurde angehakt; so ging es im Triumph rückwärts, über die Glienicker Brücke. "Jetzt wollen wir Anzeige machen," rief William seinem Bruder zu. "Wer die Doctors kennt, kurirt sich erst selber."
eine Schwadron Garde-Huſaren des Weges kommen. „Habt ihr nicht einen Mann und einen Kinderwagen geſehn?“ Ja wohl; er muß jetzt hinter Drei-Linden ſein, auf Neu-Zehlen- dorf zu.
Die Hoffnung ſank wieder. Der Vorſprung war zu groß. Die Kräfte ließen nach. In dieſem kritiſchen Moment indeſſen kam von einem der Etabliſſements her eine Morgendroſchke gefahren, die nach Potsdam zurück wollte. „Halt! 20 Sgr. bis Neu-Zehlendorf.“ Der Kutſcher rührte ſich nicht. „Einen Thaler.“ Er nickte. „Noch ein Trinkgeld Kutſcher, aber nun laßt euren Wettrenner laufen.“
Was ſoll ich die Kataſtrophe länger hinausſchieben! Sie errathen ohnehin den Ausgang. In einem Chauſſeegraben zwiſchen Drei-Linden und Zehlendorf, hart zur Linken des Weges, ſaß der Gegenſtand dieſer energiſchen Suche und früh- ſtückte, eine der geraubten Speckſeiten neben ſich, mit der ganzen Ruhe eines guten Gewiſſens, während der Kinderwagen mit ſeinem Bettenbündel wie das Junge eines Frachtwagens mitten auf der Chauſſee ſtand. Dieſer letztere Umſtand ſollte dem argloſen Frühſtücker beſonders verhängnißvoll werden, denn die geſtörte Straßen-Communication ließ nunmehr ein Ausbiegen nach links hin (ein „Gewinnen der inneren Linie“ wie die Strategen ſagen würden), völlig unverfänglich erſcheinen. So gelang ein totaler Ueberfall. Im Moment des Vorbeifahrens ſtürzten ſich die beiden Brüder aus der ſchon vorher leiſe geöffneten Droſchkenthür auf ihr Opfer, entriſſen ihm, unter Geltendmachung ihrer „immer los gehenden Waffe,“ das Klapp- meſſer, das der Ueberraſchte einen Augenblick Miene machte à deux mains zu gebrauchen, und luden ihn dann ein, den Mittelplatz in ihrer Droſchke einzunehmen. „Er werde wohl müde ſein.“ Der Kinderwagen wurde angehakt; ſo ging es im Triumph rückwärts, über die Glienicker Brücke. „Jetzt wollen wir Anzeige machen,“ rief William ſeinem Bruder zu. „Wer die Doctors kennt, kurirt ſich erſt ſelber.“
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eine Schwadron Garde-Huſaren des Weges kommen. „Habt
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wohl; er muß jetzt hinter Drei-Linden ſein, auf Neu-Zehlen-
dorf zu.
Die Hoffnung ſank wieder. Der Vorſprung war zu groß.
Die Kräfte ließen nach. In dieſem kritiſchen Moment indeſſen
kam von einem der Etabliſſements her eine Morgendroſchke
gefahren, die nach Potsdam zurück wollte. „Halt! 20 Sgr.
bis Neu-Zehlendorf.“ Der Kutſcher rührte ſich nicht. „Einen
Thaler.“ Er nickte. „Noch ein Trinkgeld Kutſcher, aber nun
laßt euren Wettrenner laufen.“
Was ſoll ich die Kataſtrophe länger hinausſchieben! Sie
errathen ohnehin den Ausgang. In einem Chauſſeegraben
zwiſchen Drei-Linden und Zehlendorf, hart zur Linken des
Weges, ſaß der Gegenſtand dieſer energiſchen Suche und früh-
ſtückte, eine der geraubten Speckſeiten neben ſich, mit der ganzen
Ruhe eines guten Gewiſſens, während der Kinderwagen mit
ſeinem Bettenbündel wie das Junge eines Frachtwagens mitten
auf der Chauſſee ſtand. Dieſer letztere Umſtand ſollte dem
argloſen Frühſtücker beſonders verhängnißvoll werden, denn die
geſtörte Straßen-Communication ließ nunmehr ein Ausbiegen
nach links hin (ein „Gewinnen der inneren Linie“ wie die
Strategen ſagen würden), völlig unverfänglich erſcheinen. So
gelang ein totaler Ueberfall. Im Moment des Vorbeifahrens
ſtürzten ſich die beiden Brüder aus der ſchon vorher leiſe
geöffneten Droſchkenthür auf ihr Opfer, entriſſen ihm, unter
Geltendmachung ihrer „immer los gehenden Waffe,“ das Klapp-
meſſer, das der Ueberraſchte einen Augenblick Miene machte
à deux mains zu gebrauchen, und luden ihn dann ein, den
Mittelplatz in ihrer Droſchke einzunehmen. „Er werde wohl
müde ſein.“ Der Kinderwagen wurde angehakt; ſo ging es
im Triumph rückwärts, über die Glienicker Brücke. „Jetzt
wollen wir Anzeige machen,“ rief William ſeinem Bruder
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ſelber.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/233>, abgerufen am 25.11.2024.
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