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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Wir haben uns bis hieher ausschließlich mit den Be-
wohnern
beschäftigt; es erübrigt uns noch in die Stadt selbst
einzutreten, und so weit wir es vermögen, ein Bild ihres Wachs-
thums, dann ihrer gegenwärtigen Erscheinung zu geben.

Der nur auf das Praktische gerichtete Sinn, der nichts
Höheres als den Erwerb kannte, dazu eine Abgeschlossenheit, die alles
Lernen fast mit Geflissentlichkeit vermied, all' diese Züge, wie
wir sie aus doppelter Schilderung kennen gelernt haben, waren
begreiflicherweise nicht im Stande, aus Werder einen Prachtbau
zu schaffen. Es hatte seine Lage und seine Kirche, beide
schön, aber die Lage hatte ihnen Gott und die Kirche hatten
ihnen die Lehniner Mönche gegeben. An beiden waren die
Werderschen unschuldig. Was aus ihnen selbst heraus entstanden,
was ihr eigenstes war, das ließ allen Bürgersinn vermissen,
und erinnerte an den Lehmkathen-Bau der umliegenden
Dörfer.

Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bestanden die
Häuser aus Holz, Lehm und gestackten Wänden, die hölzernen
Schornsteine zeigten einen riesigen Umfang und die Giebel-
fronten waren derart, daß immer eine Etage vorspringend über
die andere hing. Die Häuser waren groß, aber setzten sich zu
wesentlichstem Theile aus Winkeln, Kammern und großen Böden,
selbst aus unausgebauten Stockwerken zusammen, so daß die
Familie meist in einer einzigen Stube hauste, die freilich groß
genug war, um 30 Personen bequem zu fassen. Im Einklang
damit war alles Uebrige: die Brücke baufällig, die Straßen
ungepflastert, so daß, in den Regenwochen des Herbstes und
Frühjahrs, die Stadt unpassirbar war und der Verkehr von
Haus zu Haus auf Stelzen oder noch allgemeiner auf Kähnen
unterhalten werden mußte.

In allem diesem schaffte endlich das Jahr 1736 Wandel.
-- Dieselben beiden Faktoren: "das Königthum und die Armee,"
die überall hier zu Lande aus dem kümmerlich Gegebenen erst
etwas machten, waren es auch hier, die das Alte abthaten und
etwas Neues an die Stelle setzten. Die Armee, wie un-

Wir haben uns bis hieher ausſchließlich mit den Be-
wohnern
beſchäftigt; es erübrigt uns noch in die Stadt ſelbſt
einzutreten, und ſo weit wir es vermögen, ein Bild ihres Wachs-
thums, dann ihrer gegenwärtigen Erſcheinung zu geben.

Der nur auf das Praktiſche gerichtete Sinn, der nichts
Höheres als den Erwerb kannte, dazu eine Abgeſchloſſenheit, die alles
Lernen faſt mit Gefliſſentlichkeit vermied, all’ dieſe Züge, wie
wir ſie aus doppelter Schilderung kennen gelernt haben, waren
begreiflicherweiſe nicht im Stande, aus Werder einen Prachtbau
zu ſchaffen. Es hatte ſeine Lage und ſeine Kirche, beide
ſchön, aber die Lage hatte ihnen Gott und die Kirche hatten
ihnen die Lehniner Mönche gegeben. An beiden waren die
Werderſchen unſchuldig. Was aus ihnen ſelbſt heraus entſtanden,
was ihr eigenſtes war, das ließ allen Bürgerſinn vermiſſen,
und erinnerte an den Lehmkathen-Bau der umliegenden
Dörfer.

Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts beſtanden die
Häuſer aus Holz, Lehm und geſtackten Wänden, die hölzernen
Schornſteine zeigten einen rieſigen Umfang und die Giebel-
fronten waren derart, daß immer eine Etage vorſpringend über
die andere hing. Die Häuſer waren groß, aber ſetzten ſich zu
weſentlichſtem Theile aus Winkeln, Kammern und großen Böden,
ſelbſt aus unausgebauten Stockwerken zuſammen, ſo daß die
Familie meiſt in einer einzigen Stube hauſte, die freilich groß
genug war, um 30 Perſonen bequem zu faſſen. Im Einklang
damit war alles Uebrige: die Brücke baufällig, die Straßen
ungepflaſtert, ſo daß, in den Regenwochen des Herbſtes und
Frühjahrs, die Stadt unpaſſirbar war und der Verkehr von
Haus zu Haus auf Stelzen oder noch allgemeiner auf Kähnen
unterhalten werden mußte.

In allem dieſem ſchaffte endlich das Jahr 1736 Wandel.
— Dieſelben beiden Faktoren: „das Königthum und die Armee,“
die überall hier zu Lande aus dem kümmerlich Gegebenen erſt
etwas machten, waren es auch hier, die das Alte abthaten und
etwas Neues an die Stelle ſetzten. Die Armee, wie un-

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[221/0239] Wir haben uns bis hieher ausſchließlich mit den Be- wohnern beſchäftigt; es erübrigt uns noch in die Stadt ſelbſt einzutreten, und ſo weit wir es vermögen, ein Bild ihres Wachs- thums, dann ihrer gegenwärtigen Erſcheinung zu geben. Der nur auf das Praktiſche gerichtete Sinn, der nichts Höheres als den Erwerb kannte, dazu eine Abgeſchloſſenheit, die alles Lernen faſt mit Gefliſſentlichkeit vermied, all’ dieſe Züge, wie wir ſie aus doppelter Schilderung kennen gelernt haben, waren begreiflicherweiſe nicht im Stande, aus Werder einen Prachtbau zu ſchaffen. Es hatte ſeine Lage und ſeine Kirche, beide ſchön, aber die Lage hatte ihnen Gott und die Kirche hatten ihnen die Lehniner Mönche gegeben. An beiden waren die Werderſchen unſchuldig. Was aus ihnen ſelbſt heraus entſtanden, was ihr eigenſtes war, das ließ allen Bürgerſinn vermiſſen, und erinnerte an den Lehmkathen-Bau der umliegenden Dörfer. Noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts beſtanden die Häuſer aus Holz, Lehm und geſtackten Wänden, die hölzernen Schornſteine zeigten einen rieſigen Umfang und die Giebel- fronten waren derart, daß immer eine Etage vorſpringend über die andere hing. Die Häuſer waren groß, aber ſetzten ſich zu weſentlichſtem Theile aus Winkeln, Kammern und großen Böden, ſelbſt aus unausgebauten Stockwerken zuſammen, ſo daß die Familie meiſt in einer einzigen Stube hauſte, die freilich groß genug war, um 30 Perſonen bequem zu faſſen. Im Einklang damit war alles Uebrige: die Brücke baufällig, die Straßen ungepflaſtert, ſo daß, in den Regenwochen des Herbſtes und Frühjahrs, die Stadt unpaſſirbar war und der Verkehr von Haus zu Haus auf Stelzen oder noch allgemeiner auf Kähnen unterhalten werden mußte. In allem dieſem ſchaffte endlich das Jahr 1736 Wandel. — Dieſelben beiden Faktoren: „das Königthum und die Armee,“ die überall hier zu Lande aus dem kümmerlich Gegebenen erſt etwas machten, waren es auch hier, die das Alte abthaten und etwas Neues an die Stelle ſetzten. Die Armee, wie un-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/239>, abgerufen am 15.05.2024.