dieses Kapitels bereits hervorgehoben wurde, von seltener Schönheit ist.
Dieser letzte Umbau, und wir treten damit in die Gegen- wart ein, hat die Kirche erweitert, gelichtet, geschmückt; jene Königliche Munificenz Friedrich Wilhelms IV., die hier überall, an der Havel und den Havelseen hin, neue Kirchen entstehen, die alten wiederherstellen ließ, hat auch für Werder ein Man- nigfaches gethan. Dennoch, wie immer in solchen Fällen, hat das geschichtliche Leben Einbuße erfahren, und Bilder, Grabsteine, Erinnerungsstücke haben das Feld räumen müssen, um viel sauberern, aber viel uninteressanteren Dingen Platz zu machen. Zum Glück hat man für das "historische Gerümpel," als das man es angesehen zu haben scheint, wenigstens eine "Rumpel- kammer" übrig gelassen, wenn es gestattet ist, eine Sakristei- Parzelle mit diesem wenig ehrerbietigen Namen zu bezeichnen.
Hier befindet sich unter andern auch ein ehemaliges Altar- Gemälde, das in Werder den überraschenden, aber sehr be- zeichnenden Namen führt: "Christus als Apotheker." Es ist so abnorm, so einzig in seiner Art, daß eine kurze Beschreibung desselben hier am Schlusse unsers Kapitels gestattet sein möge. Christus, in rothem Gewande, wenn wir nicht irren, steht an einem Dispensir-Tisch, eine Apotheker Wage in der Hand. Vor ihm, wohlgeordnet, stehen acht Büchsen, die auf ihren Schildern folgende Inschriften tragen: Gnade, Hilfe, Liebe, Geduld, Friede, Beständigkeit, Hoffnung, Glauben. Die Büchse mit dem Glauben ist die weitaus größte; in jeder einzelnen steckt ein Löffel. In Front der Büchsen, als die eigentliche Hauptsache, liegt ein geöffneter Sack mit Kreuz-Wurtz. Aus ihm hat Christus soeben eine Handvoll genommen, um die Wage, in deren einer Schale die Schuld liegt, wieder in Balance zu bringen. Ein zu Häupten des Heilands angebrachtes Spruchband aber führt die Worte: "Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin kommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen. (Mat- thäi 9. V. 12.)"
dieſes Kapitels bereits hervorgehoben wurde, von ſeltener Schönheit iſt.
Dieſer letzte Umbau, und wir treten damit in die Gegen- wart ein, hat die Kirche erweitert, gelichtet, geſchmückt; jene Königliche Munificenz Friedrich Wilhelms IV., die hier überall, an der Havel und den Havelſeen hin, neue Kirchen entſtehen, die alten wiederherſtellen ließ, hat auch für Werder ein Man- nigfaches gethan. Dennoch, wie immer in ſolchen Fällen, hat das geſchichtliche Leben Einbuße erfahren, und Bilder, Grabſteine, Erinnerungsſtücke haben das Feld räumen müſſen, um viel ſauberern, aber viel unintereſſanteren Dingen Platz zu machen. Zum Glück hat man für das „hiſtoriſche Gerümpel,“ als das man es angeſehen zu haben ſcheint, wenigſtens eine „Rumpel- kammer“ übrig gelaſſen, wenn es geſtattet iſt, eine Sakriſtei- Parzelle mit dieſem wenig ehrerbietigen Namen zu bezeichnen.
Hier befindet ſich unter andern auch ein ehemaliges Altar- Gemälde, das in Werder den überraſchenden, aber ſehr be- zeichnenden Namen führt: „Chriſtus als Apotheker.“ Es iſt ſo abnorm, ſo einzig in ſeiner Art, daß eine kurze Beſchreibung deſſelben hier am Schluſſe unſers Kapitels geſtattet ſein möge. Chriſtus, in rothem Gewande, wenn wir nicht irren, ſteht an einem Dispenſir-Tiſch, eine Apotheker Wage in der Hand. Vor ihm, wohlgeordnet, ſtehen acht Büchſen, die auf ihren Schildern folgende Inſchriften tragen: Gnade, Hilfe, Liebe, Geduld, Friede, Beſtändigkeit, Hoffnung, Glauben. Die Büchſe mit dem Glauben iſt die weitaus größte; in jeder einzelnen ſteckt ein Löffel. In Front der Büchſen, als die eigentliche Hauptſache, liegt ein geöffneter Sack mit Kreuz-Wurtz. Aus ihm hat Chriſtus ſoeben eine Handvoll genommen, um die Wage, in deren einer Schale die Schuld liegt, wieder in Balance zu bringen. Ein zu Häupten des Heilands angebrachtes Spruchband aber führt die Worte: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, ſondern die Kranken. Ich bin kommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen. (Mat- thäi 9. V. 12.)“
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dieſes Kapitels bereits hervorgehoben wurde, von ſeltener
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Dieſer letzte Umbau, und wir treten damit in die Gegen-
wart ein, hat die Kirche erweitert, gelichtet, geſchmückt; jene
Königliche Munificenz Friedrich Wilhelms IV., die hier überall,
an der Havel und den Havelſeen hin, neue Kirchen entſtehen,
die alten wiederherſtellen ließ, hat auch für Werder ein Man-
nigfaches gethan. Dennoch, wie immer in ſolchen Fällen, hat
das geſchichtliche Leben Einbuße erfahren, und Bilder, Grabſteine,
Erinnerungsſtücke haben das Feld räumen müſſen, um viel
ſauberern, aber viel unintereſſanteren Dingen Platz zu machen.
Zum Glück hat man für das „hiſtoriſche Gerümpel,“ als das
man es angeſehen zu haben ſcheint, wenigſtens eine „Rumpel-
kammer“ übrig gelaſſen, wenn es geſtattet iſt, eine Sakriſtei-
Parzelle mit dieſem wenig ehrerbietigen Namen zu bezeichnen.
Hier befindet ſich unter andern auch ein ehemaliges Altar-
Gemälde, das in Werder den überraſchenden, aber ſehr be-
zeichnenden Namen führt: „Chriſtus als Apotheker.“ Es iſt
ſo abnorm, ſo einzig in ſeiner Art, daß eine kurze Beſchreibung
deſſelben hier am Schluſſe unſers Kapitels geſtattet ſein möge.
Chriſtus, in rothem Gewande, wenn wir nicht irren, ſteht an
einem Dispenſir-Tiſch, eine Apotheker Wage in der Hand.
Vor ihm, wohlgeordnet, ſtehen acht Büchſen, die auf ihren
Schildern folgende Inſchriften tragen: Gnade, Hilfe, Liebe,
Geduld, Friede, Beſtändigkeit, Hoffnung, Glauben. Die Büchſe
mit dem Glauben iſt die weitaus größte; in jeder einzelnen
ſteckt ein Löffel. In Front der Büchſen, als die eigentliche
Hauptſache, liegt ein geöffneter Sack mit Kreuz-Wurtz. Aus
ihm hat Chriſtus ſoeben eine Handvoll genommen, um die
Wage, in deren einer Schale die Schuld liegt, wieder in
Balance zu bringen. Ein zu Häupten des Heilands angebrachtes
Spruchband aber führt die Worte: „Die Starken bedürfen
des Arztes nicht, ſondern die Kranken. Ich bin kommen, die
Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen. (Mat-
thäi 9. V. 12.)“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/241>, abgerufen am 25.11.2024.
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