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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Noch einiges Statistisches. Auch Zahlen haben eine gewisse
Romantik. Wie viele Menschen erdrückt oder todtgeschossen
wurden, hat zu allen Zeiten einen geheimnißvollen Zauber
ausgeübt; an Interesse steht dem vielleicht am nächsten, wie viel
gegessen worden ist. So sei es denn auch uns vergönnt, erst
mit kurzen Notizen zu debütiren, und dann eine halbe Seite
lang in Zahlen zu schwelgen.

Mit dem ersten Juni beginnt die Saison. Sie beginnt
von Raritäten abgesehen, mit Erdbeeren. Dann folgen die
süßen Kirschen aller Grade und Farben; Johannisbeeren, Stachel-
beeren, Himbeeren schließen sich an. Ende Juli ist die Saison
auf ihrer Höhe. Der Verkehr läßt nach, aber nur, um Mitte
August einen neuen Aufschwung zu nehmen. Die sauren Kirschen
eröffnen den Zug; Aprikosen und Pfirsich folgen; zur Pflaumen-
zeit wird noch einmal die schwindelnde Höhe der letzten Juli-
Wochen erreicht. Mit der Traube schließt die Saison. Man
kann von einer Sommer- und Herbst-Campagne sprechen. Der
Höhenpunkt jener fällt in die Mitte Juli, der Höhenpunkt dieser
in die Mitte September. Die Knupperkirsche einerseits, die blaue
Pflaume andererseits, -- sie sind es, die über die Saison ent-
scheiden.

Der Versandt ist enorm. Er beginnt mit 1000 Tienen,
steigt in rapider Schnelligkeit auf 3-, auf 5000, hält sich,
sinkt, steigt wieder und tritt mit 1000 Tienen, ganz wie er
begonnen, schließlich vom Schauplatz ab. Als Durchschnitts-
Minimum wird man 3000, als Maximum 4000 Tienen täg-
lich (die Tiene zu drei Metzen) annehmen dürfen. Der Preis
einer Tiene ist 15 Sgr. Dies würde, bei Zugrundelegung des
Minimalsatzes, in 4 Monaten oder 120 Tagen einen Gesammt-
absatz von 120 mal 3000, also von 360,000 Tienen*) ergeben.

*) Ein sehr bedeutender Theil des Werderschen Obstes, namentlich
aus den an der Eisenbahn gelegenen Obstbergen, geht nicht zu Schiff,
sondern vermittelst Bahn nach Berlin. Auch dieser Verkehr ist außer-
ordentlich bedeutend. Ob er in den Zahlen, die wir vorstehend verzeich-
net haben, mit einbegriffen ist oder nicht, vermögen wir nicht mit
Bestimmtheit zu sagen.

Noch einiges Statiſtiſches. Auch Zahlen haben eine gewiſſe
Romantik. Wie viele Menſchen erdrückt oder todtgeſchoſſen
wurden, hat zu allen Zeiten einen geheimnißvollen Zauber
ausgeübt; an Intereſſe ſteht dem vielleicht am nächſten, wie viel
gegeſſen worden iſt. So ſei es denn auch uns vergönnt, erſt
mit kurzen Notizen zu debütiren, und dann eine halbe Seite
lang in Zahlen zu ſchwelgen.

Mit dem erſten Juni beginnt die Saiſon. Sie beginnt
von Raritäten abgeſehen, mit Erdbeeren. Dann folgen die
ſüßen Kirſchen aller Grade und Farben; Johannisbeeren, Stachel-
beeren, Himbeeren ſchließen ſich an. Ende Juli iſt die Saiſon
auf ihrer Höhe. Der Verkehr läßt nach, aber nur, um Mitte
Auguſt einen neuen Aufſchwung zu nehmen. Die ſauren Kirſchen
eröffnen den Zug; Aprikoſen und Pfirſich folgen; zur Pflaumen-
zeit wird noch einmal die ſchwindelnde Höhe der letzten Juli-
Wochen erreicht. Mit der Traube ſchließt die Saiſon. Man
kann von einer Sommer- und Herbſt-Campagne ſprechen. Der
Höhenpunkt jener fällt in die Mitte Juli, der Höhenpunkt dieſer
in die Mitte September. Die Knupperkirſche einerſeits, die blaue
Pflaume andererſeits, — ſie ſind es, die über die Saiſon ent-
ſcheiden.

Der Verſandt iſt enorm. Er beginnt mit 1000 Tienen,
ſteigt in rapider Schnelligkeit auf 3-, auf 5000, hält ſich,
ſinkt, ſteigt wieder und tritt mit 1000 Tienen, ganz wie er
begonnen, ſchließlich vom Schauplatz ab. Als Durchſchnitts-
Minimum wird man 3000, als Maximum 4000 Tienen täg-
lich (die Tiene zu drei Metzen) annehmen dürfen. Der Preis
einer Tiene iſt 15 Sgr. Dies würde, bei Zugrundelegung des
Minimalſatzes, in 4 Monaten oder 120 Tagen einen Geſammt-
abſatz von 120 mal 3000, alſo von 360,000 Tienen*) ergeben.

*) Ein ſehr bedeutender Theil des Werderſchen Obſtes, namentlich
aus den an der Eiſenbahn gelegenen Obſtbergen, geht nicht zu Schiff,
ſondern vermittelſt Bahn nach Berlin. Auch dieſer Verkehr iſt außer-
ordentlich bedeutend. Ob er in den Zahlen, die wir vorſtehend verzeich-
net haben, mit einbegriffen iſt oder nicht, vermögen wir nicht mit
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[229/0247] Noch einiges Statiſtiſches. Auch Zahlen haben eine gewiſſe Romantik. Wie viele Menſchen erdrückt oder todtgeſchoſſen wurden, hat zu allen Zeiten einen geheimnißvollen Zauber ausgeübt; an Intereſſe ſteht dem vielleicht am nächſten, wie viel gegeſſen worden iſt. So ſei es denn auch uns vergönnt, erſt mit kurzen Notizen zu debütiren, und dann eine halbe Seite lang in Zahlen zu ſchwelgen. Mit dem erſten Juni beginnt die Saiſon. Sie beginnt von Raritäten abgeſehen, mit Erdbeeren. Dann folgen die ſüßen Kirſchen aller Grade und Farben; Johannisbeeren, Stachel- beeren, Himbeeren ſchließen ſich an. Ende Juli iſt die Saiſon auf ihrer Höhe. Der Verkehr läßt nach, aber nur, um Mitte Auguſt einen neuen Aufſchwung zu nehmen. Die ſauren Kirſchen eröffnen den Zug; Aprikoſen und Pfirſich folgen; zur Pflaumen- zeit wird noch einmal die ſchwindelnde Höhe der letzten Juli- Wochen erreicht. Mit der Traube ſchließt die Saiſon. Man kann von einer Sommer- und Herbſt-Campagne ſprechen. Der Höhenpunkt jener fällt in die Mitte Juli, der Höhenpunkt dieſer in die Mitte September. Die Knupperkirſche einerſeits, die blaue Pflaume andererſeits, — ſie ſind es, die über die Saiſon ent- ſcheiden. Der Verſandt iſt enorm. Er beginnt mit 1000 Tienen, ſteigt in rapider Schnelligkeit auf 3-, auf 5000, hält ſich, ſinkt, ſteigt wieder und tritt mit 1000 Tienen, ganz wie er begonnen, ſchließlich vom Schauplatz ab. Als Durchſchnitts- Minimum wird man 3000, als Maximum 4000 Tienen täg- lich (die Tiene zu drei Metzen) annehmen dürfen. Der Preis einer Tiene iſt 15 Sgr. Dies würde, bei Zugrundelegung des Minimalſatzes, in 4 Monaten oder 120 Tagen einen Geſammt- abſatz von 120 mal 3000, alſo von 360,000 Tienen *) ergeben. *) Ein ſehr bedeutender Theil des Werderſchen Obſtes, namentlich aus den an der Eiſenbahn gelegenen Obſtbergen, geht nicht zu Schiff, ſondern vermittelſt Bahn nach Berlin. Auch dieſer Verkehr iſt außer- ordentlich bedeutend. Ob er in den Zahlen, die wir vorſtehend verzeich- net haben, mit einbegriffen iſt oder nicht, vermögen wir nicht mit Beſtimmtheit zu ſagen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/247>, abgerufen am 24.11.2024.