Sieh nur, sieh, wie behend sich die Menge Durch die Gärten und Felder zerschlägt, Wie der Fluß, in Breit' und Länge, So manchen lustigen Nachen trägt, Und, bis zum Sinken überladen, Entfernt sich dieser letzte Kahn. Faust.
So viel über die "Werdersche." Wir kehren zu den "Werderschen" zurück.
Vom Knie bis zur Stadt ist nur noch eine kurze Strecke. Wir schritten auf die Brücke zu, die zugleich die Werft, der Hafen- und Stapelplatz von Werder ist. Hier wird aus- und eingeladen, und die Bilder, die diesen Doppelverkehr begleiten, geben dieser Stelle ihren Werth und ihre Eigenthümlichkeit. Der gesammte Hafenverkehr beschränkt sich auf die Nachmittags- stunden; zwischen 5 und 6, in einer Art Kreislauf-Thätigkeit, leeren sich die Räume des aus der Hauptstadt zurückkehrenden Dampfers und seines Bei-Kahns wie im Fluge, aber sie leeren sich nur, um sich unverzüglich wieder mit Töpfen und Tienen zu füllen.
Es ist jetzt 5 Uhr. Der Dampfer legt an; die Entfrach- tung nimmt ihren Anfang. Ueber das Laufbrett hin, auf und zurück, in immer schnellerem Tempo, bewegen sich die Bootsleute, magere, aber nervige Figuren, deren Beschäftigung zwischen Land-Dienst und See-Dienst eine glückliche Mitte hält. Wenn ich ihnen eine gewisse Matrosen-Grazie zuschriebe, so wäre das nicht genug. Sie nähern sich vielmehr dem Akrobatenthum, den Vorstadt-Rappos, die 6 Stühle übereinander thürmen und, den ganzen Thurmbau auf's Kinn oder die flache Hand gestellt, über ein Seil hin ihre doppelte Balancirkunst üben: der Bau darf nicht fallen und sie selber auch nicht. So hier. Einen Thurmbau in Händen, der sich aus lauter in einander gestülp- ten Tienen zusammensetzt und halbmannshoch über ihren eigenen Kopf hinauswächst, so laufen sie über das schwanke Brett und stellen die Tienen-Thürme in langen Reihen am Ufer auf. Im ersten Augenblick scheint dabei eine Willkür oder ein Zufall zu walten; ein schärferes Aufmerken aber läßt uns in dem scheinbaren Chaos bald die minutiöseste Ordnung erkennen und
Sieh nur, ſieh, wie behend ſich die Menge Durch die Gärten und Felder zerſchlägt, Wie der Fluß, in Breit’ und Länge, So manchen luſtigen Nachen trägt, Und, bis zum Sinken überladen, Entfernt ſich dieſer letzte Kahn. Fauſt.
So viel über die „Werderſche.“ Wir kehren zu den „Werderſchen“ zurück.
Vom Knie bis zur Stadt iſt nur noch eine kurze Strecke. Wir ſchritten auf die Brücke zu, die zugleich die Werft, der Hafen- und Stapelplatz von Werder iſt. Hier wird aus- und eingeladen, und die Bilder, die dieſen Doppelverkehr begleiten, geben dieſer Stelle ihren Werth und ihre Eigenthümlichkeit. Der geſammte Hafenverkehr beſchränkt ſich auf die Nachmittags- ſtunden; zwiſchen 5 und 6, in einer Art Kreislauf-Thätigkeit, leeren ſich die Räume des aus der Hauptſtadt zurückkehrenden Dampfers und ſeines Bei-Kahns wie im Fluge, aber ſie leeren ſich nur, um ſich unverzüglich wieder mit Töpfen und Tienen zu füllen.
Es iſt jetzt 5 Uhr. Der Dampfer legt an; die Entfrach- tung nimmt ihren Anfang. Ueber das Laufbrett hin, auf und zurück, in immer ſchnellerem Tempo, bewegen ſich die Bootsleute, magere, aber nervige Figuren, deren Beſchäftigung zwiſchen Land-Dienſt und See-Dienſt eine glückliche Mitte hält. Wenn ich ihnen eine gewiſſe Matroſen-Grazie zuſchriebe, ſo wäre das nicht genug. Sie nähern ſich vielmehr dem Akrobatenthum, den Vorſtadt-Rappos, die 6 Stühle übereinander thürmen und, den ganzen Thurmbau auf’s Kinn oder die flache Hand geſtellt, über ein Seil hin ihre doppelte Balancirkunſt üben: der Bau darf nicht fallen und ſie ſelber auch nicht. So hier. Einen Thurmbau in Händen, der ſich aus lauter in einander geſtülp- ten Tienen zuſammenſetzt und halbmannshoch über ihren eigenen Kopf hinauswächſt, ſo laufen ſie über das ſchwanke Brett und ſtellen die Tienen-Thürme in langen Reihen am Ufer auf. Im erſten Augenblick ſcheint dabei eine Willkür oder ein Zufall zu walten; ein ſchärferes Aufmerken aber läßt uns in dem ſcheinbaren Chaos bald die minutiöſeſte Ordnung erkennen und
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Sieh nur, ſieh, wie behend ſich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerſchlägt,
Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
So manchen luſtigen Nachen trägt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt ſich dieſer letzte Kahn.
Fauſt.
So viel über die „Werderſche.“ Wir kehren zu den
„Werderſchen“ zurück.
Vom Knie bis zur Stadt iſt nur noch eine kurze Strecke.
Wir ſchritten auf die Brücke zu, die zugleich die Werft, der
Hafen- und Stapelplatz von Werder iſt. Hier wird aus- und
eingeladen, und die Bilder, die dieſen Doppelverkehr begleiten,
geben dieſer Stelle ihren Werth und ihre Eigenthümlichkeit.
Der geſammte Hafenverkehr beſchränkt ſich auf die Nachmittags-
ſtunden; zwiſchen 5 und 6, in einer Art Kreislauf-Thätigkeit, leeren
ſich die Räume des aus der Hauptſtadt zurückkehrenden Dampfers
und ſeines Bei-Kahns wie im Fluge, aber ſie leeren ſich nur,
um ſich unverzüglich wieder mit Töpfen und Tienen zu füllen.
Es iſt jetzt 5 Uhr. Der Dampfer legt an; die Entfrach-
tung nimmt ihren Anfang. Ueber das Laufbrett hin, auf und
zurück, in immer ſchnellerem Tempo, bewegen ſich die Bootsleute,
magere, aber nervige Figuren, deren Beſchäftigung zwiſchen
Land-Dienſt und See-Dienſt eine glückliche Mitte hält. Wenn
ich ihnen eine gewiſſe Matroſen-Grazie zuſchriebe, ſo wäre das
nicht genug. Sie nähern ſich vielmehr dem Akrobatenthum,
den Vorſtadt-Rappos, die 6 Stühle übereinander thürmen und,
den ganzen Thurmbau auf’s Kinn oder die flache Hand geſtellt,
über ein Seil hin ihre doppelte Balancirkunſt üben: der Bau
darf nicht fallen und ſie ſelber auch nicht. So hier. Einen
Thurmbau in Händen, der ſich aus lauter in einander geſtülp-
ten Tienen zuſammenſetzt und halbmannshoch über ihren eigenen
Kopf hinauswächſt, ſo laufen ſie über das ſchwanke Brett und
ſtellen die Tienen-Thürme in langen Reihen am Ufer auf.
Im erſten Augenblick ſcheint dabei eine Willkür oder ein Zufall
zu walten; ein ſchärferes Aufmerken aber läßt uns in dem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/252>, abgerufen am 24.11.2024.
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