seinem Innen- und Außen-Revier, wohl mehr denn 50. Daß sie der Landschaft zu besonderer Zierde gereichten, läßt sich nicht behaupten. Der Fabrikschornstein mag alles sein, nur ein Ver- schönerungsmittel ist er nicht, am wenigsten wenn er schön thut, wenn er möchte. Und wie dieser reiche Betrieb, der unbestreibar, trotz Stillstände und Rückschläge ein sich steigerndes Prosperiren Einzelner oder selbst Vieler geschaffen hat, die Land- schaft nicht schmückt, so schmückt er auch nicht die Dörfer, in denen er sich niedergelassen hat. Er nimmt ihnen ihren eigent- lichen Charakter, in richtigem unsentimentalen Verstande ihre Unschuld und giebt ihnen ein Element, dessen Abwesenheit bisher, und wenn sie noch so arm waren, ihr Zauber und ihre Zierde war, -- er giebt ihnen ein Proletariat. Ob dasselbe städtisch oder dörfisch auftritt, ob es mehr verbittert oder mehr elend ist, sind Unterschiede, die an dem Traurigen der Erscheinung nicht viel zu ändern vermögen.
Auch Dorf Glindow hat von diesem allem sein geschüttelt Maß. An und für sich ausgestattet mit dem vollen Reiz eines havelländischen Dorfes, hingestreckt zwischen See und Hügel, schieben sich doch überall in das alt-dörfliche Leben die Bilder allermodernsten, frohndiensthaften Industrialismus hinein und die schönen alten Bäume, die mit ihren mächtigen Kronen so vieles malerisch zu überschatten und zu verdecken verstehen, sie mühen sich hier umsonst, diesen trübseligen Anblick dem Auge zu entziehen.
Am See hin, um die Veranden der Ziegel-Lords rankt sich der wilde Wein, Laubengänge, Clematis hier und Aristo- lochia dort, ziehen sich durch den Parkgarten, Tauben stolziren auf dem Dachfirst oder umflattern ihr japanisches Haus, -- aber diese lachenden Bilder lassen die Kehrseite nur um so dunkler erscheinen: die Lehmstube mit dem verklebten Fenster, die ab- gehärmte Frau mit dem Säugling in Loden, die hageren Kinder, die lässig durch den Enten-Tümpel gehn.
Es scheint, sie spielen; aber sie lachen nicht; ihre Sinne sind trübe wie das Wasser, worin sie waten und plätschern.
ſeinem Innen- und Außen-Revier, wohl mehr denn 50. Daß ſie der Landſchaft zu beſonderer Zierde gereichten, läßt ſich nicht behaupten. Der Fabrikſchornſtein mag alles ſein, nur ein Ver- ſchönerungsmittel iſt er nicht, am wenigſten wenn er ſchön thut, wenn er möchte. Und wie dieſer reiche Betrieb, der unbeſtreibar, trotz Stillſtände und Rückſchläge ein ſich ſteigerndes Prosperiren Einzelner oder ſelbſt Vieler geſchaffen hat, die Land- ſchaft nicht ſchmückt, ſo ſchmückt er auch nicht die Dörfer, in denen er ſich niedergelaſſen hat. Er nimmt ihnen ihren eigent- lichen Charakter, in richtigem unſentimentalen Verſtande ihre Unſchuld und giebt ihnen ein Element, deſſen Abweſenheit bisher, und wenn ſie noch ſo arm waren, ihr Zauber und ihre Zierde war, — er giebt ihnen ein Proletariat. Ob daſſelbe ſtädtiſch oder dörfiſch auftritt, ob es mehr verbittert oder mehr elend iſt, ſind Unterſchiede, die an dem Traurigen der Erſcheinung nicht viel zu ändern vermögen.
Auch Dorf Glindow hat von dieſem allem ſein geſchüttelt Maß. An und für ſich ausgeſtattet mit dem vollen Reiz eines havelländiſchen Dorfes, hingeſtreckt zwiſchen See und Hügel, ſchieben ſich doch überall in das alt-dörfliche Leben die Bilder allermodernſten, frohndienſthaften Induſtrialismus hinein und die ſchönen alten Bäume, die mit ihren mächtigen Kronen ſo vieles maleriſch zu überſchatten und zu verdecken verſtehen, ſie mühen ſich hier umſonſt, dieſen trübſeligen Anblick dem Auge zu entziehen.
Am See hin, um die Veranden der Ziegel-Lords rankt ſich der wilde Wein, Laubengänge, Clematis hier und Aristo- lochia dort, ziehen ſich durch den Parkgarten, Tauben ſtolziren auf dem Dachfirſt oder umflattern ihr japaniſches Haus, — aber dieſe lachenden Bilder laſſen die Kehrſeite nur um ſo dunkler erſcheinen: die Lehmſtube mit dem verklebten Fenſter, die ab- gehärmte Frau mit dem Säugling in Loden, die hageren Kinder, die läſſig durch den Enten-Tümpel gehn.
Es ſcheint, ſie ſpielen; aber ſie lachen nicht; ihre Sinne ſind trübe wie das Waſſer, worin ſie waten und plätſchern.
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ſeinem Innen- und Außen-Revier, wohl mehr denn 50. Daß
ſie der Landſchaft zu beſonderer Zierde gereichten, läßt ſich nicht
behaupten. Der Fabrikſchornſtein mag alles ſein, nur ein Ver-
ſchönerungsmittel iſt er nicht, am wenigſten wenn er ſchön
thut, wenn er möchte. Und wie dieſer reiche Betrieb, der
unbeſtreibar, trotz Stillſtände und Rückſchläge ein ſich ſteigerndes
Prosperiren Einzelner oder ſelbſt Vieler geſchaffen hat, die Land-
ſchaft nicht ſchmückt, ſo ſchmückt er auch nicht die Dörfer, in
denen er ſich niedergelaſſen hat. Er nimmt ihnen ihren eigent-
lichen Charakter, in richtigem unſentimentalen Verſtande ihre
Unſchuld und giebt ihnen ein Element, deſſen Abweſenheit
bisher, und wenn ſie noch ſo arm waren, ihr Zauber und
ihre Zierde war, — er giebt ihnen ein Proletariat. Ob daſſelbe
ſtädtiſch oder dörfiſch auftritt, ob es mehr verbittert oder mehr
elend iſt, ſind Unterſchiede, die an dem Traurigen der Erſcheinung
nicht viel zu ändern vermögen.
Auch Dorf Glindow hat von dieſem allem ſein geſchüttelt
Maß. An und für ſich ausgeſtattet mit dem vollen Reiz eines
havelländiſchen Dorfes, hingeſtreckt zwiſchen See und Hügel,
ſchieben ſich doch überall in das alt-dörfliche Leben die Bilder
allermodernſten, frohndienſthaften Induſtrialismus hinein und
die ſchönen alten Bäume, die mit ihren mächtigen Kronen ſo
vieles maleriſch zu überſchatten und zu verdecken verſtehen, ſie
mühen ſich hier umſonſt, dieſen trübſeligen Anblick dem Auge zu
entziehen.
Am See hin, um die Veranden der Ziegel-Lords rankt
ſich der wilde Wein, Laubengänge, Clematis hier und Aristo-
lochia dort, ziehen ſich durch den Parkgarten, Tauben ſtolziren
auf dem Dachfirſt oder umflattern ihr japaniſches Haus, —
aber dieſe lachenden Bilder laſſen die Kehrſeite nur um ſo dunkler
erſcheinen: die Lehmſtube mit dem verklebten Fenſter, die ab-
gehärmte Frau mit dem Säugling in Loden, die hageren Kinder,
die läſſig durch den Enten-Tümpel gehn.
Es ſcheint, ſie ſpielen; aber ſie lachen nicht; ihre Sinne
ſind trübe wie das Waſſer, worin ſie waten und plätſchern.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/264>, abgerufen am 24.11.2024.
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