kamm, der an Sachsen Fehde erklärte und seinen Absagebrief auf einer Pique-Zehn (die noch diesen Augenblick im Weimarer Museum zu sehen ist) ins Meißnische Land hineinschickte, nie und nimmer diese Krugstelle sein eigen nannte, vielmehr ledig- lich die Silberbarren hier vergrub, die er, übelberathen, dem kurfürstlichen Factor Conrad Drahtzieher abgenommen hatte; aber lange vor Michael Kohlhaas,*) der hier also ein Gast war wie andere mehr, ja, lange bevor es einen Kurfürsten von Sachsen gab, den er befehden konnte, war hier an dem alten Grenzlande wer will sagen eine Opfer-, eine Grabes- oder eine Kampfesstätte. Jeder Fuß breit Acker giebt die Zeichen heraus: hier war altes Leben, alte Cultur.
Ein ganzes Alterthums-Museum ist bereits aus dem schma- len Ackerstreifen, der an Fluß und See sich hinzieht, heraus- gepflügt, herausgegraben worden und wie eine unerschöpfliche Erzader im Gestein läuft hier eine unerschöpfliche Schicht von Reliquien und Funden unter der Erde fort. Alle Zeitalter werden dabei durcheinander gewürfelt und neben dem Stein- hammer, dem wir schlecht gerechnet seine tausend Jahre geben, liegen zahllose Geräthschaften in Erz und Eisen, die sich mit dem halben Altersmaß begnügen müssen.
Der zeitige Besitzer von Kohlhasenbrück, ein breiter West- phale, den die Fügungen des Lebens von der rothen Erde auf den gelben Sand verschlagen haben, treibt hier Alterthums- kunde auf eigene Hand. Er bestellt seinen Acker doppelt und neben dem Pfluge, der die Erde nur ritzt, geht der Forscher-
*) Kohlhase, wie bereits im Text bemerkt, hat niemals dieses Terrain besessen, ist niemals an diesem Orte wohnhaft gewesen. Er bewohnte in Berlin das Haus Fischerstraße 27, das noch im Jahre 1866 in seiner alten Gestalt existirte und Stallung für 40 Pferde auf- wies. Erst 1867, nachdem es noch im Jahre zuvor als Lazareth für die vielen Verwundeten benutzt worden war, erfuhr es einen totalen Umbau und ist ein Gasthaus modernen Styls geworden. Beim Umbau wurden einzelne Münzen aus der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts gefunden.
kamm, der an Sachſen Fehde erklärte und ſeinen Abſagebrief auf einer Pique-Zehn (die noch dieſen Augenblick im Weimarer Muſeum zu ſehen iſt) ins Meißniſche Land hineinſchickte, nie und nimmer dieſe Krugſtelle ſein eigen nannte, vielmehr ledig- lich die Silberbarren hier vergrub, die er, übelberathen, dem kurfürſtlichen Factor Conrad Drahtzieher abgenommen hatte; aber lange vor Michael Kohlhaas,*) der hier alſo ein Gaſt war wie andere mehr, ja, lange bevor es einen Kurfürſten von Sachſen gab, den er befehden konnte, war hier an dem alten Grenzlande wer will ſagen eine Opfer-, eine Grabes- oder eine Kampfesſtätte. Jeder Fuß breit Acker giebt die Zeichen heraus: hier war altes Leben, alte Cultur.
Ein ganzes Alterthums-Muſeum iſt bereits aus dem ſchma- len Ackerſtreifen, der an Fluß und See ſich hinzieht, heraus- gepflügt, herausgegraben worden und wie eine unerſchöpfliche Erzader im Geſtein läuft hier eine unerſchöpfliche Schicht von Reliquien und Funden unter der Erde fort. Alle Zeitalter werden dabei durcheinander gewürfelt und neben dem Stein- hammer, dem wir ſchlecht gerechnet ſeine tauſend Jahre geben, liegen zahlloſe Geräthſchaften in Erz und Eiſen, die ſich mit dem halben Altersmaß begnügen müſſen.
Der zeitige Beſitzer von Kohlhaſenbrück, ein breiter Weſt- phale, den die Fügungen des Lebens von der rothen Erde auf den gelben Sand verſchlagen haben, treibt hier Alterthums- kunde auf eigene Hand. Er beſtellt ſeinen Acker doppelt und neben dem Pfluge, der die Erde nur ritzt, geht der Forſcher-
*) Kohlhaſe, wie bereits im Text bemerkt, hat niemals dieſes Terrain beſeſſen, iſt niemals an dieſem Orte wohnhaft geweſen. Er bewohnte in Berlin das Haus Fiſcherſtraße 27, das noch im Jahre 1866 in ſeiner alten Geſtalt exiſtirte und Stallung für 40 Pferde auf- wies. Erſt 1867, nachdem es noch im Jahre zuvor als Lazareth für die vielen Verwundeten benutzt worden war, erfuhr es einen totalen Umbau und iſt ein Gaſthaus modernen Styls geworden. Beim Umbau wurden einzelne Münzen aus der Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts gefunden.
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kamm, der an Sachſen Fehde erklärte und ſeinen Abſagebrief
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und nimmer dieſe Krugſtelle ſein eigen nannte, vielmehr ledig-
lich die Silberbarren hier vergrub, die er, übelberathen, dem
kurfürſtlichen Factor Conrad Drahtzieher abgenommen hatte;
aber lange vor Michael Kohlhaas, *) der hier alſo ein Gaſt
war wie andere mehr, ja, lange bevor es einen Kurfürſten von
Sachſen gab, den er befehden konnte, war hier an dem alten
Grenzlande wer will ſagen eine Opfer-, eine Grabes- oder
eine Kampfesſtätte. Jeder Fuß breit Acker giebt die Zeichen
heraus: hier war altes Leben, alte Cultur.
Ein ganzes Alterthums-Muſeum iſt bereits aus dem ſchma-
len Ackerſtreifen, der an Fluß und See ſich hinzieht, heraus-
gepflügt, herausgegraben worden und wie eine unerſchöpfliche
Erzader im Geſtein läuft hier eine unerſchöpfliche Schicht von
Reliquien und Funden unter der Erde fort. Alle Zeitalter
werden dabei durcheinander gewürfelt und neben dem Stein-
hammer, dem wir ſchlecht gerechnet ſeine tauſend Jahre geben,
liegen zahlloſe Geräthſchaften in Erz und Eiſen, die ſich mit
dem halben Altersmaß begnügen müſſen.
Der zeitige Beſitzer von Kohlhaſenbrück, ein breiter Weſt-
phale, den die Fügungen des Lebens von der rothen Erde auf
den gelben Sand verſchlagen haben, treibt hier Alterthums-
kunde auf eigene Hand. Er beſtellt ſeinen Acker doppelt und
neben dem Pfluge, der die Erde nur ritzt, geht der Forſcher-
*) Kohlhaſe, wie bereits im Text bemerkt, hat niemals dieſes
Terrain beſeſſen, iſt niemals an dieſem Orte wohnhaft geweſen. Er
bewohnte in Berlin das Haus Fiſcherſtraße 27, das noch im Jahre
1866 in ſeiner alten Geſtalt exiſtirte und Stallung für 40 Pferde auf-
wies. Erſt 1867, nachdem es noch im Jahre zuvor als Lazareth für
die vielen Verwundeten benutzt worden war, erfuhr es einen totalen
Umbau und iſt ein Gaſthaus modernen Styls geworden. Beim Umbau
wurden einzelne Münzen aus der Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/372>, abgerufen am 18.06.2024.
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