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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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einer schadhaften Klingel durch die Straße klingt, so erhorcht
es die ganze Straße!

Unser Wagen war ein Ereigniß. Einer stürzte halbrasirt
ans Fenster; der rückwärts gewandte Gruß, den wir ihm zu-
schickten, traf noch seine seifenschaumene Hälfte. Weiter. End-
lich mündeten wir auf eine platzartig erweiterte, lindenumstellte
Straße ein, die den Namen "Freiheit" führt. Wir nahmen
es als selbstverständlich hin. Warum sollte hier nicht Frei-
heit sein?

Der Eindruck des Stillen und Oeden, den die ganze
Stadt macht, an dieser Stelle steigert er sich, denn hier war
'mal Leben, ein Leben, das nun abgestorben ist.

Unter den Fenstern des ersten Stockes hin, ziehen sich
lange Wirthshausschilder "Stadt Halle," "Stadt Leipzig," --
sie lesen sich fast wie Epitaphien, Grabschriften über einer Zeit,
die nicht mehr ist. Hier führte einst die große Straße von
Sachsen vorüber, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund
hatte damals eine Bedeutung, wie etwa Wittenberge heut, oder
irgend sonst ein Platz, an dem jeder Koffer untersucht und die
Sprache des deutschen Biedermannes in der Mauth- und Zoll-
Nüance gesprochen wird. Das ist nun alles dahin. Die
Fenster sind zu und zeigen Rouleaux, deren in der Schräge
schwebende Landschaften (immer Alpen) auf ein völlig gestörtes
Räderwerk deuten; die Krippen stehen leer; müde vom Warten
haben sie sich an die Wand gelehnt. Die Hühner picken drum
herum. Wo sie's hernehmen, Gott weiß.

Ein eignes Geschick ist um gewisse Punkte, wie um gewisse
Menschen her. Sie sind anmuthig, alles scheint für sie zu
sprechen und sie können es zu nichts bringen. So Saarmund.
Einer der vielen Orte, die nicht leben, nicht sterben können;
nur dazu da, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein sentimen-
tales Gefühl zu wecken.

An einem der Prellsteine von "Stadt Leipzig," wo der
Weg nach rechts hin abbiegt, stand ein mittelalterlicher Mann
mit einem guten, zuverlässigen Gesicht. Seine Kappe hatte den

einer ſchadhaften Klingel durch die Straße klingt, ſo erhorcht
es die ganze Straße!

Unſer Wagen war ein Ereigniß. Einer ſtürzte halbraſirt
ans Fenſter; der rückwärts gewandte Gruß, den wir ihm zu-
ſchickten, traf noch ſeine ſeifenſchaumene Hälfte. Weiter. End-
lich mündeten wir auf eine platzartig erweiterte, lindenumſtellte
Straße ein, die den Namen „Freiheit“ führt. Wir nahmen
es als ſelbſtverſtändlich hin. Warum ſollte hier nicht Frei-
heit ſein?

Der Eindruck des Stillen und Oeden, den die ganze
Stadt macht, an dieſer Stelle ſteigert er ſich, denn hier war
’mal Leben, ein Leben, das nun abgeſtorben iſt.

Unter den Fenſtern des erſten Stockes hin, ziehen ſich
lange Wirthshausſchilder „Stadt Halle,“ „Stadt Leipzig,“ —
ſie leſen ſich faſt wie Epitaphien, Grabſchriften über einer Zeit,
die nicht mehr iſt. Hier führte einſt die große Straße von
Sachſen vorüber, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund
hatte damals eine Bedeutung, wie etwa Wittenberge heut, oder
irgend ſonſt ein Platz, an dem jeder Koffer unterſucht und die
Sprache des deutſchen Biedermannes in der Mauth- und Zoll-
Nüance geſprochen wird. Das iſt nun alles dahin. Die
Fenſter ſind zu und zeigen Rouleaux, deren in der Schräge
ſchwebende Landſchaften (immer Alpen) auf ein völlig geſtörtes
Räderwerk deuten; die Krippen ſtehen leer; müde vom Warten
haben ſie ſich an die Wand gelehnt. Die Hühner picken drum
herum. Wo ſie’s hernehmen, Gott weiß.

Ein eignes Geſchick iſt um gewiſſe Punkte, wie um gewiſſe
Menſchen her. Sie ſind anmuthig, alles ſcheint für ſie zu
ſprechen und ſie können es zu nichts bringen. So Saarmund.
Einer der vielen Orte, die nicht leben, nicht ſterben können;
nur dazu da, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein ſentimen-
tales Gefühl zu wecken.

An einem der Prellſteine von „Stadt Leipzig,“ wo der
Weg nach rechts hin abbiegt, ſtand ein mittelalterlicher Mann
mit einem guten, zuverläſſigen Geſicht. Seine Kappe hatte den

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[367/0385] einer ſchadhaften Klingel durch die Straße klingt, ſo erhorcht es die ganze Straße! Unſer Wagen war ein Ereigniß. Einer ſtürzte halbraſirt ans Fenſter; der rückwärts gewandte Gruß, den wir ihm zu- ſchickten, traf noch ſeine ſeifenſchaumene Hälfte. Weiter. End- lich mündeten wir auf eine platzartig erweiterte, lindenumſtellte Straße ein, die den Namen „Freiheit“ führt. Wir nahmen es als ſelbſtverſtändlich hin. Warum ſollte hier nicht Frei- heit ſein? Der Eindruck des Stillen und Oeden, den die ganze Stadt macht, an dieſer Stelle ſteigert er ſich, denn hier war ’mal Leben, ein Leben, das nun abgeſtorben iſt. Unter den Fenſtern des erſten Stockes hin, ziehen ſich lange Wirthshausſchilder „Stadt Halle,“ „Stadt Leipzig,“ — ſie leſen ſich faſt wie Epitaphien, Grabſchriften über einer Zeit, die nicht mehr iſt. Hier führte einſt die große Straße von Sachſen vorüber, hier war ein Hauptzollamt, und Saarmund hatte damals eine Bedeutung, wie etwa Wittenberge heut, oder irgend ſonſt ein Platz, an dem jeder Koffer unterſucht und die Sprache des deutſchen Biedermannes in der Mauth- und Zoll- Nüance geſprochen wird. Das iſt nun alles dahin. Die Fenſter ſind zu und zeigen Rouleaux, deren in der Schräge ſchwebende Landſchaften (immer Alpen) auf ein völlig geſtörtes Räderwerk deuten; die Krippen ſtehen leer; müde vom Warten haben ſie ſich an die Wand gelehnt. Die Hühner picken drum herum. Wo ſie’s hernehmen, Gott weiß. Ein eignes Geſchick iſt um gewiſſe Punkte, wie um gewiſſe Menſchen her. Sie ſind anmuthig, alles ſcheint für ſie zu ſprechen und ſie können es zu nichts bringen. So Saarmund. Einer der vielen Orte, die nicht leben, nicht ſterben können; nur dazu da, im Herzen eines Vorüberfahrenden ein ſentimen- tales Gefühl zu wecken. An einem der Prellſteine von „Stadt Leipzig,“ wo der Weg nach rechts hin abbiegt, ſtand ein mittelalterlicher Mann mit einem guten, zuverläſſigen Geſicht. Seine Kappe hatte den

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/385>, abgerufen am 24.11.2024.