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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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eine ist zu fordern, daß kein schwulstiges, unanständiges
oder gar lächerliches Wesen zu Tage komme." Im Uebri-
gen scheint er sich selber nur eine Durchschnitts-Begabung
zugeschrieben zu haben. "Ich habe, so schreibt er, nicht eine
große Zierlichkeit und Pracht, sondern eine fließende und
bewegliche Deutlichkeit
erwählet, damit mich Jeder-
mann, auch zur Noth ein Kind, verstehen möchte. Das macht
zwar kein sonderliches Ansehen, ist aber desto nutzbarer. Wir
sollen unserm Erlöser nicht allein die Gelehrten und Großen
zuführen, sondern unter den Geringen und Einfältigen wuchert
sein Evangelium am meisten. Allzu hohe Lieder aber nutzen
Niemandem, oder doch nur wenigen."

So er selbst. Die Urtheile Neurer über den Werth seiner
Dichtungen weichen erheblich von einander ab. Koch schreibt:
"Woltersdorf ist ein lebendiges Zeugniß der dichtenden Kraft
des heiligen Geistes in der lutherischen Kirche," wogegen Hagen-
bach nicht nur an der Weitschweifigkeit dieser Lieder, die wegen
ihrer Länge nie gesungen werden können, Anstoß nimmt, son-
dern auch "Fluß und Guß, mit einem Wort die rechte Run-
dung und Vollendung in ihnen vermißt." Selbst R. Besser,
in seinem "Leben E. G. Woltersdorfs" kann nicht umhin
auf eine gewisse Unselbstständigkeit Woltersdorfs hinzuweisen und
sagt in seiner anschaulichen Ausdrucksweise: "er suchte wie
eine Hopfenrebe stets gern einen tragenden Halt für seine
Dichtungen."

Wir selbst haben die besten seiner Dichtungen, aus
denen wir einzelne Strophen in den Anmerkungen mittheilen,
mit Freudigkeit und nicht ohne Erhebung gelesen. Unsre
Laienschaft kommt uns dabei zu Statten. Je lebendiger
Jemand die großen Originale, die Kraft- und Kern-
lieder deutscher Nation, gegenwärtig hat, desto nüchterner wird
er sich gegen Lieder verhalten, die gerade für sein geübtes
Ohr nur ein Wiederklang sind. Wer weniger fest darin steht,
wird leichter befriedigt sein. In der weltlichen Dichtung sehen
wir sehr Aehnliches. Wer den Heine nicht kennt, erfreut sich

eine iſt zu fordern, daß kein ſchwulſtiges, unanſtändiges
oder gar lächerliches Weſen zu Tage komme.“ Im Uebri-
gen ſcheint er ſich ſelber nur eine Durchſchnitts-Begabung
zugeſchrieben zu haben. „Ich habe, ſo ſchreibt er, nicht eine
große Zierlichkeit und Pracht, ſondern eine fließende und
bewegliche Deutlichkeit
erwählet, damit mich Jeder-
mann, auch zur Noth ein Kind, verſtehen möchte. Das macht
zwar kein ſonderliches Anſehen, iſt aber deſto nutzbarer. Wir
ſollen unſerm Erlöſer nicht allein die Gelehrten und Großen
zuführen, ſondern unter den Geringen und Einfältigen wuchert
ſein Evangelium am meiſten. Allzu hohe Lieder aber nutzen
Niemandem, oder doch nur wenigen.“

So er ſelbſt. Die Urtheile Neurer über den Werth ſeiner
Dichtungen weichen erheblich von einander ab. Koch ſchreibt:
„Woltersdorf iſt ein lebendiges Zeugniß der dichtenden Kraft
des heiligen Geiſtes in der lutheriſchen Kirche,“ wogegen Hagen-
bach nicht nur an der Weitſchweifigkeit dieſer Lieder, die wegen
ihrer Länge nie geſungen werden können, Anſtoß nimmt, ſon-
dern auch „Fluß und Guß, mit einem Wort die rechte Run-
dung und Vollendung in ihnen vermißt.“ Selbſt R. Beſſer,
in ſeinem „Leben E. G. Woltersdorfs“ kann nicht umhin
auf eine gewiſſe Unſelbſtſtändigkeit Woltersdorfs hinzuweiſen und
ſagt in ſeiner anſchaulichen Ausdrucksweiſe: „er ſuchte wie
eine Hopfenrebe ſtets gern einen tragenden Halt für ſeine
Dichtungen.“

Wir ſelbſt haben die beſten ſeiner Dichtungen, aus
denen wir einzelne Strophen in den Anmerkungen mittheilen,
mit Freudigkeit und nicht ohne Erhebung geleſen. Unſre
Laienſchaft kommt uns dabei zu Statten. Je lebendiger
Jemand die großen Originale, die Kraft- und Kern-
lieder deutſcher Nation, gegenwärtig hat, deſto nüchterner wird
er ſich gegen Lieder verhalten, die gerade für ſein geübtes
Ohr nur ein Wiederklang ſind. Wer weniger feſt darin ſteht,
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[428/0446] eine iſt zu fordern, daß kein ſchwulſtiges, unanſtändiges oder gar lächerliches Weſen zu Tage komme.“ Im Uebri- gen ſcheint er ſich ſelber nur eine Durchſchnitts-Begabung zugeſchrieben zu haben. „Ich habe, ſo ſchreibt er, nicht eine große Zierlichkeit und Pracht, ſondern eine fließende und bewegliche Deutlichkeit erwählet, damit mich Jeder- mann, auch zur Noth ein Kind, verſtehen möchte. Das macht zwar kein ſonderliches Anſehen, iſt aber deſto nutzbarer. Wir ſollen unſerm Erlöſer nicht allein die Gelehrten und Großen zuführen, ſondern unter den Geringen und Einfältigen wuchert ſein Evangelium am meiſten. Allzu hohe Lieder aber nutzen Niemandem, oder doch nur wenigen.“ So er ſelbſt. Die Urtheile Neurer über den Werth ſeiner Dichtungen weichen erheblich von einander ab. Koch ſchreibt: „Woltersdorf iſt ein lebendiges Zeugniß der dichtenden Kraft des heiligen Geiſtes in der lutheriſchen Kirche,“ wogegen Hagen- bach nicht nur an der Weitſchweifigkeit dieſer Lieder, die wegen ihrer Länge nie geſungen werden können, Anſtoß nimmt, ſon- dern auch „Fluß und Guß, mit einem Wort die rechte Run- dung und Vollendung in ihnen vermißt.“ Selbſt R. Beſſer, in ſeinem „Leben E. G. Woltersdorfs“ kann nicht umhin auf eine gewiſſe Unſelbſtſtändigkeit Woltersdorfs hinzuweiſen und ſagt in ſeiner anſchaulichen Ausdrucksweiſe: „er ſuchte wie eine Hopfenrebe ſtets gern einen tragenden Halt für ſeine Dichtungen.“ Wir ſelbſt haben die beſten ſeiner Dichtungen, aus denen wir einzelne Strophen in den Anmerkungen mittheilen, mit Freudigkeit und nicht ohne Erhebung geleſen. Unſre Laienſchaft kommt uns dabei zu Statten. Je lebendiger Jemand die großen Originale, die Kraft- und Kern- lieder deutſcher Nation, gegenwärtig hat, deſto nüchterner wird er ſich gegen Lieder verhalten, die gerade für ſein geübtes Ohr nur ein Wiederklang ſind. Wer weniger feſt darin ſteht, wird leichter befriedigt ſein. In der weltlichen Dichtung ſehen wir ſehr Aehnliches. Wer den Heine nicht kennt, erfreut ſich

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/446>, abgerufen am 24.11.2024.