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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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um die Spitze des Lido herum, biegt er ein in die Lagunenstadt.
Welche Welt thut sich vor ihm auf; die Kuppeln und die Thürme
blinken im Sonnenlicht, und als zöge man hinaus, um festlich einen
Fürsten einzuholen, so schwimmt ihm die Meeres-Königin auf hundert
Barken entgegen. Aber was wie Wunder und Märchen erscheint,
ist nur ein glückliches Ohngefähr; die heiteren Reisegötter führen
ihn in die Lagunenstadt just am Tage der Meervermählung, wo
der Doge sammt seinen Senatoren im Bucentauro hinausgleitet,
um den Ring, das Zeugniß und die Besieglung des Bundes, in
das Meer zu senken.

Die Bilder Venedigs schwinden, aber der Kahn des Traumes
führt ihn weiter, jetzt zurück auf die hohe See, jetzt an dem
Küstenbogen entlang, der zwischen Sorrent und Neapel sich spannt,
und jetzt den Rhein hinunter und jetzt die Themse hinauf, hinauf
bis an die Londonbrücke, wo die Barken den Strom sperren und
die hundert Masten der Schiffe seinen Blick bezaubern und
verwirren. Die Treppe steigt er hinan, die halb ausge-
waschen zum Quai hinaufführt, und das Geräusch der City nimmt
ihn auf. Immer wachsenderes Gedränge umwogt ihn hier, und
endlich Stand nehmend auf der Hügelkuppe von Ludgate Hill, wo
eben die Quadersteine geschnitten werden, aus denen dereinst die
neue Paulskirche sich aufrichten soll, sieht er jetzt, von einem der
hohen Steinblöcke aus, die Lordmayors-Prozession in alterthüm-
lichem Pomp an sich vorüberziehen. Die Themseschiffer in rothen
Röcken eröffnen den Zug, dann schmettern Pauken und Trom-
peten, bis endlich aller andre Lärm in dem Jubelgeschrei des
Volkes erstickt, denn schwerfällig, aus Eichenholz geschnitzt, schwankt
eben die vergoldete Kutsche heran und der erwählte Cityherrscher grüßt
mit gravitätischem Kopfnicken nach rechts und links.

Vereinzelte Kuckuksrufe klingen jetzt leis und wie aus weiter
Ferne her herüber und siehe da, der kranke Poet unterbricht sich in
seinem Figurenzeichen und horcht auf. Aber wie die Seele gern
wieder anknüpft an das, was ihr lieb geworden, so fällt er alsbald
auch in altes Sinnen und Träumen zurück.

Immer lachendere Bilder ziehen herauf. Es ist wieder ein
Festzug, eine Prozession, aber diesmal auf heimischem Grund und

um die Spitze des Lido herum, biegt er ein in die Lagunenſtadt.
Welche Welt thut ſich vor ihm auf; die Kuppeln und die Thürme
blinken im Sonnenlicht, und als zöge man hinaus, um feſtlich einen
Fürſten einzuholen, ſo ſchwimmt ihm die Meeres-Königin auf hundert
Barken entgegen. Aber was wie Wunder und Märchen erſcheint,
iſt nur ein glückliches Ohngefähr; die heiteren Reiſegötter führen
ihn in die Lagunenſtadt juſt am Tage der Meervermählung, wo
der Doge ſammt ſeinen Senatoren im Bucentauro hinausgleitet,
um den Ring, das Zeugniß und die Beſieglung des Bundes, in
das Meer zu ſenken.

Die Bilder Venedigs ſchwinden, aber der Kahn des Traumes
führt ihn weiter, jetzt zurück auf die hohe See, jetzt an dem
Küſtenbogen entlang, der zwiſchen Sorrent und Neapel ſich ſpannt,
und jetzt den Rhein hinunter und jetzt die Themſe hinauf, hinauf
bis an die Londonbrücke, wo die Barken den Strom ſperren und
die hundert Maſten der Schiffe ſeinen Blick bezaubern und
verwirren. Die Treppe ſteigt er hinan, die halb ausge-
waſchen zum Quai hinaufführt, und das Geräuſch der City nimmt
ihn auf. Immer wachſenderes Gedränge umwogt ihn hier, und
endlich Stand nehmend auf der Hügelkuppe von Ludgate Hill, wo
eben die Quaderſteine geſchnitten werden, aus denen dereinſt die
neue Paulskirche ſich aufrichten ſoll, ſieht er jetzt, von einem der
hohen Steinblöcke aus, die Lordmayors-Prozeſſion in alterthüm-
lichem Pomp an ſich vorüberziehen. Die Themſeſchiffer in rothen
Röcken eröffnen den Zug, dann ſchmettern Pauken und Trom-
peten, bis endlich aller andre Lärm in dem Jubelgeſchrei des
Volkes erſtickt, denn ſchwerfällig, aus Eichenholz geſchnitzt, ſchwankt
eben die vergoldete Kutſche heran und der erwählte Cityherrſcher grüßt
mit gravitätiſchem Kopfnicken nach rechts und links.

Vereinzelte Kuckuksrufe klingen jetzt leis und wie aus weiter
Ferne her herüber und ſiehe da, der kranke Poet unterbricht ſich in
ſeinem Figurenzeichen und horcht auf. Aber wie die Seele gern
wieder anknüpft an das, was ihr lieb geworden, ſo fällt er alsbald
auch in altes Sinnen und Träumen zurück.

Immer lachendere Bilder ziehen herauf. Es iſt wieder ein
Feſtzug, eine Prozeſſion, aber diesmal auf heimiſchem Grund und

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[201/0217] um die Spitze des Lido herum, biegt er ein in die Lagunenſtadt. Welche Welt thut ſich vor ihm auf; die Kuppeln und die Thürme blinken im Sonnenlicht, und als zöge man hinaus, um feſtlich einen Fürſten einzuholen, ſo ſchwimmt ihm die Meeres-Königin auf hundert Barken entgegen. Aber was wie Wunder und Märchen erſcheint, iſt nur ein glückliches Ohngefähr; die heiteren Reiſegötter führen ihn in die Lagunenſtadt juſt am Tage der Meervermählung, wo der Doge ſammt ſeinen Senatoren im Bucentauro hinausgleitet, um den Ring, das Zeugniß und die Beſieglung des Bundes, in das Meer zu ſenken. Die Bilder Venedigs ſchwinden, aber der Kahn des Traumes führt ihn weiter, jetzt zurück auf die hohe See, jetzt an dem Küſtenbogen entlang, der zwiſchen Sorrent und Neapel ſich ſpannt, und jetzt den Rhein hinunter und jetzt die Themſe hinauf, hinauf bis an die Londonbrücke, wo die Barken den Strom ſperren und die hundert Maſten der Schiffe ſeinen Blick bezaubern und verwirren. Die Treppe ſteigt er hinan, die halb ausge- waſchen zum Quai hinaufführt, und das Geräuſch der City nimmt ihn auf. Immer wachſenderes Gedränge umwogt ihn hier, und endlich Stand nehmend auf der Hügelkuppe von Ludgate Hill, wo eben die Quaderſteine geſchnitten werden, aus denen dereinſt die neue Paulskirche ſich aufrichten ſoll, ſieht er jetzt, von einem der hohen Steinblöcke aus, die Lordmayors-Prozeſſion in alterthüm- lichem Pomp an ſich vorüberziehen. Die Themſeſchiffer in rothen Röcken eröffnen den Zug, dann ſchmettern Pauken und Trom- peten, bis endlich aller andre Lärm in dem Jubelgeſchrei des Volkes erſtickt, denn ſchwerfällig, aus Eichenholz geſchnitzt, ſchwankt eben die vergoldete Kutſche heran und der erwählte Cityherrſcher grüßt mit gravitätiſchem Kopfnicken nach rechts und links. Vereinzelte Kuckuksrufe klingen jetzt leis und wie aus weiter Ferne her herüber und ſiehe da, der kranke Poet unterbricht ſich in ſeinem Figurenzeichen und horcht auf. Aber wie die Seele gern wieder anknüpft an das, was ihr lieb geworden, ſo fällt er alsbald auch in altes Sinnen und Träumen zurück. Immer lachendere Bilder ziehen herauf. Es iſt wieder ein Feſtzug, eine Prozeſſion, aber diesmal auf heimiſchem Grund und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/217>, abgerufen am 26.11.2024.