Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.Undanks oder doch der Gleichgültigkeit gegen die allgemeinen In- Canitzen's letztes und vielleicht bedeutendstes diplomatisches *) Ich hätte hier statt des v. Plothoschen auch ein anderes Beispiel citiren
können, ein Beispiel aus der Canitz'schen Zeit und noch dazu ein Vor- kommniß, in dem der Spezialfreund unseres Poeten, der schon an anderer Stelle genannte Johann von Besser, die Hauptrolle spielt. Besser war 1686 kurbrandenburgischer Gesandter in London, und es handelte sich, nach erfolgtem Tode Karl's II. für das ganze diplomatische Corps darum, dem nun- mehrigen Könige Jacob II. die Glückwünsche ihrer resp. Höfe zu überreichen. Der alte venetianische Gesandte Vignola verlangte den Vortritt vor Besser; Besser aber Undanks oder doch der Gleichgültigkeit gegen die allgemeinen In- Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendſtes diplomatiſches *) Ich hätte hier ſtatt des v. Plothoſchen auch ein anderes Beiſpiel citiren
können, ein Beiſpiel aus der Canitz’ſchen Zeit und noch dazu ein Vor- kommniß, in dem der Spezialfreund unſeres Poeten, der ſchon an anderer Stelle genannte Johann von Beſſer, die Hauptrolle ſpielt. Beſſer war 1686 kurbrandenburgiſcher Geſandter in London, und es handelte ſich, nach erfolgtem Tode Karl’s II. für das ganze diplomatiſche Corps darum, dem nun- mehrigen Könige Jacob II. die Glückwünſche ihrer reſp. Höfe zu überreichen. Der alte venetianiſche Geſandte Vignola verlangte den Vortritt vor Beſſer; Beſſer aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0222" n="206"/> Undanks oder doch der Gleichgültigkeit gegen die allgemeinen In-<lb/> tereſſen auf ſich geladen hätte. Canitz drängte ſich nicht zu Dienſten,<lb/> aber ſo oft er ſie übernahm, zeigte er ſich ihnen gewachſen. Leicht<lb/> und gewiſſenhaft zugleich ging er an die Löſung empfangener<lb/> Aufgaben und die graziöſe Hand, mit der er die Fragen be-<lb/> rührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand zu ſein. Faſt an allen<lb/> deutſchen Höfen war er eine wohlgekannte und wohlgelittene Per-<lb/> ſönlichkeit und Kaiſer Leopold bezeugte ihm vielfach ſeine Gnade<lb/> und ſein beſonderes Wohlwollen.</p><lb/> <p>Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendſtes diplomatiſches<lb/> Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden,<lb/> um den Ryßwicker Friedensſchluß, der ſo viele Intereſſen verletzte<lb/> und ſo viele Gefahren heraufbeſchwor, wieder zu ſprengen. Canitz<lb/> zeichnete ſich auch hier durch jene Klugheit und feine Beſonnenheit<lb/> aus, die, weil ſie gefliſſentlich <hi rendition="#g">leiſe</hi> die Fäden zu ſchürzen oder<lb/> zu entwirren ſucht, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat,<lb/> der ſo leicht in all jenen Fällen ſich einſtellt, wo ein Diplomat<lb/> ſo undiplomatiſch wie möglich den Knoten zerhaut. Das heraus-<lb/> fordernde Wort eines Rückſichtsloſen, deſſen Punktum bereits ein<lb/> erſter Kanonenſchuß iſt, wird jubelnd aufbewahrt, während die<lb/> kluge Haltung Deſſen, der eine heranziehende Gefahr beſchwört,<lb/> gemeinhin unbeachtet bleibt. Alles, was ſich vor aller Welt Augen<lb/> zu einem beſtimmten Bilde abrundet, iſt immer im Vortheil über<lb/> das Unplaſtiſche, das ſich in vertraulichem Rath oder gar<lb/> in einer bloßen Aktenſtückszeile vollzieht, und jener Erich Chriſtoph<lb/> v. Plotho, der zu Regensburg mit jenem berühmt gewordenen:<lb/> „was! inſinuiren??“ den kaiſerlichen Notar, <hi rendition="#aq">Dr.</hi> April, die Treppe<lb/> hinunterwarf, hat ein ganzes Dutzend Diplomaten in Schatten<lb/> geſtellt.<note xml:id="note-0222" next="#note-0223" place="foot" n="*)">Ich hätte hier ſtatt des v. Plothoſchen auch ein anderes Beiſpiel citiren<lb/> können, ein Beiſpiel aus der <hi rendition="#g">Canitz</hi>’ſchen Zeit und noch dazu ein Vor-<lb/> kommniß, in dem der Spezialfreund unſeres Poeten, der ſchon an anderer<lb/> Stelle genannte <hi rendition="#g">Johann von Beſſer</hi>, die Hauptrolle ſpielt. Beſſer war<lb/> 1686 kurbrandenburgiſcher Geſandter in London, und es handelte ſich, nach<lb/> erfolgtem Tode Karl’s <hi rendition="#aq">II.</hi> für das ganze diplomatiſche Corps darum, dem nun-<lb/> mehrigen Könige Jacob <hi rendition="#aq">II.</hi> die Glückwünſche ihrer reſp. Höfe zu überreichen. Der<lb/> alte venetianiſche Geſandte Vignola verlangte den Vortritt vor Beſſer; Beſſer aber</note> Ueberall da, wo das Wort Friedrichs des Großen gilt:<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0222]
Undanks oder doch der Gleichgültigkeit gegen die allgemeinen In-
tereſſen auf ſich geladen hätte. Canitz drängte ſich nicht zu Dienſten,
aber ſo oft er ſie übernahm, zeigte er ſich ihnen gewachſen. Leicht
und gewiſſenhaft zugleich ging er an die Löſung empfangener
Aufgaben und die graziöſe Hand, mit der er die Fragen be-
rührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand zu ſein. Faſt an allen
deutſchen Höfen war er eine wohlgekannte und wohlgelittene Per-
ſönlichkeit und Kaiſer Leopold bezeugte ihm vielfach ſeine Gnade
und ſein beſonderes Wohlwollen.
Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendſtes diplomatiſches
Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden,
um den Ryßwicker Friedensſchluß, der ſo viele Intereſſen verletzte
und ſo viele Gefahren heraufbeſchwor, wieder zu ſprengen. Canitz
zeichnete ſich auch hier durch jene Klugheit und feine Beſonnenheit
aus, die, weil ſie gefliſſentlich leiſe die Fäden zu ſchürzen oder
zu entwirren ſucht, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat,
der ſo leicht in all jenen Fällen ſich einſtellt, wo ein Diplomat
ſo undiplomatiſch wie möglich den Knoten zerhaut. Das heraus-
fordernde Wort eines Rückſichtsloſen, deſſen Punktum bereits ein
erſter Kanonenſchuß iſt, wird jubelnd aufbewahrt, während die
kluge Haltung Deſſen, der eine heranziehende Gefahr beſchwört,
gemeinhin unbeachtet bleibt. Alles, was ſich vor aller Welt Augen
zu einem beſtimmten Bilde abrundet, iſt immer im Vortheil über
das Unplaſtiſche, das ſich in vertraulichem Rath oder gar
in einer bloßen Aktenſtückszeile vollzieht, und jener Erich Chriſtoph
v. Plotho, der zu Regensburg mit jenem berühmt gewordenen:
„was! inſinuiren??“ den kaiſerlichen Notar, Dr. April, die Treppe
hinunterwarf, hat ein ganzes Dutzend Diplomaten in Schatten
geſtellt. *) Ueberall da, wo das Wort Friedrichs des Großen gilt:
*) Ich hätte hier ſtatt des v. Plothoſchen auch ein anderes Beiſpiel citiren
können, ein Beiſpiel aus der Canitz’ſchen Zeit und noch dazu ein Vor-
kommniß, in dem der Spezialfreund unſeres Poeten, der ſchon an anderer
Stelle genannte Johann von Beſſer, die Hauptrolle ſpielt. Beſſer war
1686 kurbrandenburgiſcher Geſandter in London, und es handelte ſich, nach
erfolgtem Tode Karl’s II. für das ganze diplomatiſche Corps darum, dem nun-
mehrigen Könige Jacob II. die Glückwünſche ihrer reſp. Höfe zu überreichen. Der
alte venetianiſche Geſandte Vignola verlangte den Vortritt vor Beſſer; Beſſer aber
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