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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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wer, sag' ich, solche und ähnliche Strophen findet, wird freilich
zunächst den Kopf schütteln und seine Ungläubigkeit ausdrücken,
daß es mit so zopfigen Alexandrinern irgend etwas auf sich habe.
Und in gewissem Sinne mit Recht. Wir dürfen diese Dinge
aber nicht mit einem Maßstabe messen, den wir dem gegenwärtigen
Stande unserer Literatur entnehmen, sondern müssen uns viel-
mehr die Frage vorlegen: was waren diese Gedichte in und zu
ihrer Zeit? Und zu ihrer Zeit waren sie sehr viel. Wenn ihnen
jetzt, wie das gelegentlich geschieht, mit herablassender Miene zu-
gestanden wird, daß sie das Verdienst der gewählten Sprache,
der Reinheit und Eleganz hätten, so genügt diese Anerkennung
keineswegs; denn es ist das ein Zugeständniß, das so ziemlich
allen modernen Dichtern gemacht werden kann, während unter
diesen doch nur wenige sind, die für ihre Zeit das Maß von
Bedeutung beanspruchen dürfen, das Canitz für die seinige besitzt.
Er war einer von denen, denen die Aufgabe zufiel, uns erst eine
Sprache und innerhalb derselben ein Gesetz zu geben. Dies Ge-
schenk, diese Hinterlassenschaft ist nicht hoch genug zu schätzen.
Wir stehen auf den Schultern derer, die damals thätig waren,
und wenn Canitz auch nicht in die Reihe der epochemachenden,
literarischen Reformatoren jener Zeit gehört, die sich, wie nament-
lich Opitz, für die Gesammtentwicklung deutscher Sprache und
Dichtung von nachhaltiger Bedeutung erwiesen haben, so war er
doch wenigstens für unsre Mark das, was andre für weiter ge-
zogene Kreise waren. Er zeigte zuerst, daß die Mark und die
Musen nicht völlige Gegensätze seien.

Aber die Verdienste Canitz' sind keineswegs nur sprach-
licher
Natur; seine Gedichte haben auch ihren dichterischen
Werth. Es ist wahr, daß er das Dichten zum Theil wie andre
angenehme Unterhaltung trieb und er selber nannt' es in seinen
Briefen "die Kurzweil des Reimens," aber wir würden ihm doch
sehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen Reime-
reien, wie sie bei Festspielen, den sogenannten "Wirthschaften" da-

geschah dies bei dem berühmten Sturm auf Ofen 1686; die Brandenburger,
von den Türken die "Feuermänner" geheißen, wurden von General v. Schö-
ning
geführt.)

wer, ſag’ ich, ſolche und ähnliche Strophen findet, wird freilich
zunächſt den Kopf ſchütteln und ſeine Ungläubigkeit ausdrücken,
daß es mit ſo zopfigen Alexandrinern irgend etwas auf ſich habe.
Und in gewiſſem Sinne mit Recht. Wir dürfen dieſe Dinge
aber nicht mit einem Maßſtabe meſſen, den wir dem gegenwärtigen
Stande unſerer Literatur entnehmen, ſondern müſſen uns viel-
mehr die Frage vorlegen: was waren dieſe Gedichte in und zu
ihrer Zeit? Und zu ihrer Zeit waren ſie ſehr viel. Wenn ihnen
jetzt, wie das gelegentlich geſchieht, mit herablaſſender Miene zu-
geſtanden wird, daß ſie das Verdienſt der gewählten Sprache,
der Reinheit und Eleganz hätten, ſo genügt dieſe Anerkennung
keineswegs; denn es iſt das ein Zugeſtändniß, das ſo ziemlich
allen modernen Dichtern gemacht werden kann, während unter
dieſen doch nur wenige ſind, die für ihre Zeit das Maß von
Bedeutung beanſpruchen dürfen, das Canitz für die ſeinige beſitzt.
Er war einer von denen, denen die Aufgabe zufiel, uns erſt eine
Sprache und innerhalb derſelben ein Geſetz zu geben. Dies Ge-
ſchenk, dieſe Hinterlaſſenſchaft iſt nicht hoch genug zu ſchätzen.
Wir ſtehen auf den Schultern derer, die damals thätig waren,
und wenn Canitz auch nicht in die Reihe der epochemachenden,
literariſchen Reformatoren jener Zeit gehört, die ſich, wie nament-
lich Opitz, für die Geſammtentwicklung deutſcher Sprache und
Dichtung von nachhaltiger Bedeutung erwieſen haben, ſo war er
doch wenigſtens für unſre Mark das, was andre für weiter ge-
zogene Kreiſe waren. Er zeigte zuerſt, daß die Mark und die
Muſen nicht völlige Gegenſätze ſeien.

Aber die Verdienſte Canitz’ ſind keineswegs nur ſprach-
licher
Natur; ſeine Gedichte haben auch ihren dichteriſchen
Werth. Es iſt wahr, daß er das Dichten zum Theil wie andre
angenehme Unterhaltung trieb und er ſelber nannt’ es in ſeinen
Briefen „die Kurzweil des Reimens,“ aber wir würden ihm doch
ſehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen Reime-
reien, wie ſie bei Feſtſpielen, den ſogenannten „Wirthſchaften“ da-

geſchah dies bei dem berühmten Sturm auf Ofen 1686; die Brandenburger,
von den Türken die „Feuermänner“ geheißen, wurden von General v. Schö-
ning
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[208/0224] wer, ſag’ ich, ſolche und ähnliche Strophen findet, wird freilich zunächſt den Kopf ſchütteln und ſeine Ungläubigkeit ausdrücken, daß es mit ſo zopfigen Alexandrinern irgend etwas auf ſich habe. Und in gewiſſem Sinne mit Recht. Wir dürfen dieſe Dinge aber nicht mit einem Maßſtabe meſſen, den wir dem gegenwärtigen Stande unſerer Literatur entnehmen, ſondern müſſen uns viel- mehr die Frage vorlegen: was waren dieſe Gedichte in und zu ihrer Zeit? Und zu ihrer Zeit waren ſie ſehr viel. Wenn ihnen jetzt, wie das gelegentlich geſchieht, mit herablaſſender Miene zu- geſtanden wird, daß ſie das Verdienſt der gewählten Sprache, der Reinheit und Eleganz hätten, ſo genügt dieſe Anerkennung keineswegs; denn es iſt das ein Zugeſtändniß, das ſo ziemlich allen modernen Dichtern gemacht werden kann, während unter dieſen doch nur wenige ſind, die für ihre Zeit das Maß von Bedeutung beanſpruchen dürfen, das Canitz für die ſeinige beſitzt. Er war einer von denen, denen die Aufgabe zufiel, uns erſt eine Sprache und innerhalb derſelben ein Geſetz zu geben. Dies Ge- ſchenk, dieſe Hinterlaſſenſchaft iſt nicht hoch genug zu ſchätzen. Wir ſtehen auf den Schultern derer, die damals thätig waren, und wenn Canitz auch nicht in die Reihe der epochemachenden, literariſchen Reformatoren jener Zeit gehört, die ſich, wie nament- lich Opitz, für die Geſammtentwicklung deutſcher Sprache und Dichtung von nachhaltiger Bedeutung erwieſen haben, ſo war er doch wenigſtens für unſre Mark das, was andre für weiter ge- zogene Kreiſe waren. Er zeigte zuerſt, daß die Mark und die Muſen nicht völlige Gegenſätze ſeien. Aber die Verdienſte Canitz’ ſind keineswegs nur ſprach- licher Natur; ſeine Gedichte haben auch ihren dichteriſchen Werth. Es iſt wahr, daß er das Dichten zum Theil wie andre angenehme Unterhaltung trieb und er ſelber nannt’ es in ſeinen Briefen „die Kurzweil des Reimens,“ aber wir würden ihm doch ſehr Unrecht thun, wenn wir nach jenen zahlreichen Reime- reien, wie ſie bei Feſtſpielen, den ſogenannten „Wirthſchaften“ da- *) *) geſchah dies bei dem berühmten Sturm auf Ofen 1686; die Brandenburger, von den Türken die „Feuermänner“ geheißen, wurden von General v. Schö- ning geführt.)

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/224>, abgerufen am 26.11.2024.