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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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und werden zu glücklichen Zeugen all der kleinen Erziehungs- und
Unterhaltungs-Scenen, die sich mehr und mehr zu einer gemüth-
lichen Familien-Komödie gestalten.

Unmittelbar vor uns, auf einer für unsere Füße frei ge-
bliebenen Stelle, liegt ein Spielzeug, jenes mit Glöckchen und
Schellen behängte Blech-Instrument, das unter dem Namen der
"Janitschar" das Entzücken aller Kinderherzen bildet. Der Raum
ist so eng, daß wir's trotz äußerster Vorsicht nicht vermeiden
können die Glöckchen gelegentlich zu berühren, und jedesmal wenn
es klingelt und tingelt drehen sich alle fünf Köpfe nach uns um,
in leiser Ahnung, daß es auf dem Häckselsacke nicht ganz richtig
sei. Diese Kopfwendungen, die der starken Frau jedesmal äußerst
schwer werden, geben uns eine gute Gelegenheit unsere bis dahin
nur von Rücken und Seite her gesehene Reisegesellschaft auch en
face
kennen zu lernen und uns über den Ausdruck des Behagens
als eines charakteristischen Familienzuges zu vergewissern. Die
beiden Jungen sind unzweifelhaft Zwillinge; der Mutter, einer
hübschen blonden Frau, rollen die Schweißtropfen wie Freuden-
thränen von der Stirn und ihr Ehegemahl zur Rechten zeigt uns jenes
wohlbekannte, aus Würdigkeit und Sonnenbrand zusammengesetzte
Gesicht, das alle ländliche Beamte zu haben pflegen, denen der
Dienst in der Amts- und Gerichtsstube die Zeit zu Schnepfen-
und Entenjagd nicht allzu sehr verkürzt. Und so fehlt denn nichts
mehr als die namentliche Vorstellung: Amts-Actuarius Bernhard
aus Löhme, nebst Frau und Familie, die sich gleich nach Tisch
auf den Weg gemacht haben, um dem befreundeten Pfarrhause
zu Werneuchen, wo heute Geburtstag ist, einen Besuch abzustatten.

Die beiden Braunen traben tüchtig weiter, der kleine Streit
zwischen dem Ehepaar, ob "Päth Ulrich" heute 9 oder erst 8 Jahre
geworden sei, ist endlich selbstverständlich zu Gunsten der Frauen-
ansicht entschieden, und der seit einer Viertelstunde seine Peitsche
"Gewehr bei Fuß" habende Kutscher nimmt sie jetzt wieder in
die Hand, um angethan mit allen Abzeichen seiner Würde in
Werneuchen einzufahren. Schon holpert und stolpert der Wagen
auf dem tiefausgefahrenen Steinpflaster, der Kutscher knallt oder
streicht mit bemerkenswerther Eleganz die Stechfliegen von dem
Hals der Pferde, das rothe Dach des Regenschirms wird einge-

und werden zu glücklichen Zeugen all der kleinen Erziehungs- und
Unterhaltungs-Scenen, die ſich mehr und mehr zu einer gemüth-
lichen Familien-Komödie geſtalten.

Unmittelbar vor uns, auf einer für unſere Füße frei ge-
bliebenen Stelle, liegt ein Spielzeug, jenes mit Glöckchen und
Schellen behängte Blech-Inſtrument, das unter dem Namen der
„Janitſchar“ das Entzücken aller Kinderherzen bildet. Der Raum
iſt ſo eng, daß wir’s trotz äußerſter Vorſicht nicht vermeiden
können die Glöckchen gelegentlich zu berühren, und jedesmal wenn
es klingelt und tingelt drehen ſich alle fünf Köpfe nach uns um,
in leiſer Ahnung, daß es auf dem Häckſelſacke nicht ganz richtig
ſei. Dieſe Kopfwendungen, die der ſtarken Frau jedesmal äußerſt
ſchwer werden, geben uns eine gute Gelegenheit unſere bis dahin
nur von Rücken und Seite her geſehene Reiſegeſellſchaft auch en
face
kennen zu lernen und uns über den Ausdruck des Behagens
als eines charakteriſtiſchen Familienzuges zu vergewiſſern. Die
beiden Jungen ſind unzweifelhaft Zwillinge; der Mutter, einer
hübſchen blonden Frau, rollen die Schweißtropfen wie Freuden-
thränen von der Stirn und ihr Ehegemahl zur Rechten zeigt uns jenes
wohlbekannte, aus Würdigkeit und Sonnenbrand zuſammengeſetzte
Geſicht, das alle ländliche Beamte zu haben pflegen, denen der
Dienſt in der Amts- und Gerichtsſtube die Zeit zu Schnepfen-
und Entenjagd nicht allzu ſehr verkürzt. Und ſo fehlt denn nichts
mehr als die namentliche Vorſtellung: Amts-Actuarius Bernhard
aus Löhme, nebſt Frau und Familie, die ſich gleich nach Tiſch
auf den Weg gemacht haben, um dem befreundeten Pfarrhauſe
zu Werneuchen, wo heute Geburtstag iſt, einen Beſuch abzuſtatten.

Die beiden Braunen traben tüchtig weiter, der kleine Streit
zwiſchen dem Ehepaar, ob „Päth Ulrich“ heute 9 oder erſt 8 Jahre
geworden ſei, iſt endlich ſelbſtverſtändlich zu Gunſten der Frauen-
anſicht entſchieden, und der ſeit einer Viertelſtunde ſeine Peitſche
„Gewehr bei Fuß“ habende Kutſcher nimmt ſie jetzt wieder in
die Hand, um angethan mit allen Abzeichen ſeiner Würde in
Werneuchen einzufahren. Schon holpert und ſtolpert der Wagen
auf dem tiefausgefahrenen Steinpflaſter, der Kutſcher knallt oder
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[215/0231] und werden zu glücklichen Zeugen all der kleinen Erziehungs- und Unterhaltungs-Scenen, die ſich mehr und mehr zu einer gemüth- lichen Familien-Komödie geſtalten. Unmittelbar vor uns, auf einer für unſere Füße frei ge- bliebenen Stelle, liegt ein Spielzeug, jenes mit Glöckchen und Schellen behängte Blech-Inſtrument, das unter dem Namen der „Janitſchar“ das Entzücken aller Kinderherzen bildet. Der Raum iſt ſo eng, daß wir’s trotz äußerſter Vorſicht nicht vermeiden können die Glöckchen gelegentlich zu berühren, und jedesmal wenn es klingelt und tingelt drehen ſich alle fünf Köpfe nach uns um, in leiſer Ahnung, daß es auf dem Häckſelſacke nicht ganz richtig ſei. Dieſe Kopfwendungen, die der ſtarken Frau jedesmal äußerſt ſchwer werden, geben uns eine gute Gelegenheit unſere bis dahin nur von Rücken und Seite her geſehene Reiſegeſellſchaft auch en face kennen zu lernen und uns über den Ausdruck des Behagens als eines charakteriſtiſchen Familienzuges zu vergewiſſern. Die beiden Jungen ſind unzweifelhaft Zwillinge; der Mutter, einer hübſchen blonden Frau, rollen die Schweißtropfen wie Freuden- thränen von der Stirn und ihr Ehegemahl zur Rechten zeigt uns jenes wohlbekannte, aus Würdigkeit und Sonnenbrand zuſammengeſetzte Geſicht, das alle ländliche Beamte zu haben pflegen, denen der Dienſt in der Amts- und Gerichtsſtube die Zeit zu Schnepfen- und Entenjagd nicht allzu ſehr verkürzt. Und ſo fehlt denn nichts mehr als die namentliche Vorſtellung: Amts-Actuarius Bernhard aus Löhme, nebſt Frau und Familie, die ſich gleich nach Tiſch auf den Weg gemacht haben, um dem befreundeten Pfarrhauſe zu Werneuchen, wo heute Geburtstag iſt, einen Beſuch abzuſtatten. Die beiden Braunen traben tüchtig weiter, der kleine Streit zwiſchen dem Ehepaar, ob „Päth Ulrich“ heute 9 oder erſt 8 Jahre geworden ſei, iſt endlich ſelbſtverſtändlich zu Gunſten der Frauen- anſicht entſchieden, und der ſeit einer Viertelſtunde ſeine Peitſche „Gewehr bei Fuß“ habende Kutſcher nimmt ſie jetzt wieder in die Hand, um angethan mit allen Abzeichen ſeiner Würde in Werneuchen einzufahren. Schon holpert und ſtolpert der Wagen auf dem tiefausgefahrenen Steinpflaſter, der Kutſcher knallt oder ſtreicht mit bemerkenswerther Eleganz die Stechfliegen von dem Hals der Pferde, das rothe Dach des Regenſchirms wird einge-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/231>, abgerufen am 14.05.2024.